Hochsaison im Gipsraum
Von Niki Nussbaumer
Nein, der britische Gentleman, der mit zwei Koffern aus dem Taxi steigt, hat sich nicht in der Adresse geirrt. Er weiß, dies ist ein „Hospital“ – und kein „Hotel“. Und er checkt nicht ein, sondern aus. Eine Woche lang lag seine Frau mit gebrochenem Bein im Spital – heute holt er sie ab und fliegt mit ihr heim nach Sheffield.
Krankenhaus Zell am See, Unfallchirurgie. Eine rothaarige Deutsche schleift ihr geschientes Bein den gelben Gang entlang. „Kreuzband, Meniskus – alles hin“, sagt sie frustriert. Die Stimmung in der Ambulanz ist angespannt, das „Publikum“ international, die Patienteninformation auf Deutsch, Englisch, Russisch und Arabisch.
15 Operationen pro Tag
Doch das KURIER-Team hat Glück: Es ist Mittag und das Wetter ist schlecht – und das bedeutet: weniger Betrieb. „Bei schönem Wetter sind viele in einer trügerischen Hochstimmung. Sie fahren öfter und schneller und es passieren mehr Unfälle“, erzählt Thöni, der selbst auf Langlaufen umgestiegen ist.
Aus jahrelanger Erfahrung weiß der Chirurg: Sind die Pisten sehr hart, verletzen sich die Wintersportler am Becken, am Schädel und an der Wirbelsäule. Sind die Pisten sehr weich, muss der Arzt vor allem Knieverletzungen behandeln.
Liegt besonders viel Schnee, kommen besonders wenige Patienten ins Krankenhaus. „Weil man weicher fällt und genügend Sturzräume vorhanden sind.“
Und fragt man die – vorwiegend deutschen – Patienten nach dem Grund ihres Unfalls, hört man oft: „Plötzlich war die Piste alle ...“
Viel hat sich verändert
Heinrich Thöni leitet die Unfallchirurgie in Zell am See seit 1992; Zigtausende Wintersportler hat er seitdem wieder zusammengeflickt. Viel hat sich in den vergangenen 21 Jahren verändert: Die Ski-Ausrüstung, der Fahrstil und die Art der Blessuren. Die Verletzungen an Knie und Schulter sind durch Carving-Skier und höheres Tempo schwerer und komplexer geworden. Gleichzeitig gingen die massiven Schädel-Hirn-Verletzungen – dank Helm – zurück. „Ein Patient, der heute mit einer Gehirnerschütterung eingeliefert wird, hätte früher ohne Helm einen Schädelbruch gehabt.“
Auch die Methoden der chirurgischen Eingriffe wurden modifiziert. Minimalinvasiv werde nun operiert; „das heißt, man muss nicht mehr so weit aufschneiden“, sagt Thöni. Das wiederum reduziere den Schmerz und das Infektionsrisiko.
83 Arme und Beine haben Daniel Muntean und sein Kollege am Vortag eingegipst – doch langweilig wird das dem gebürtigen Rumänen auch nach 16 Spitalsjahren nicht. „Jeder Bruch ist anders“, sagt der 46-Jährige. „Und ich habe viele Erfolgserlebnisse.“ Möglich macht das eine neue Generation von leichten „Gipsen“ in allen Farben, den sogenannten Softcasts aus Kunststoff.
So einen in Schwarz verpasste Muntean einer verzweifelten Snowboarderin, die mit einem gebrochenen Arm und zwei Ballkarten dastand. Der schwarze „Gips“ passte farblich zu ihren Handschuhen – und ließ sich wunderbar mit vielen Swarovski-Steinchen verzieren.
Gefährliches Hobby
Unfallzahlen: Im Winter 2011/2012 starben auf Österreichs Pisten 28 Menschen; zusätzlich kamen 16 Alpinisten unter Lawinen ums Leben. Jedes Jahr verletzen sich 44.000 Skifahrer und 12.000 Snowboarder in Österreich so schwer, dass sie im Spital behandelt werden müssen. 93 Prozent aller Unfälle sind Alleinunfälle. Die häufigsten Gründe sind Selbstüberschätzung und mangelnde körperliche Fitness. 67 Prozent der Skiunfälle ereignen sich am Nachmittag; Schuld daran sind aufkommende Müdigkeit, mangelnde Konzentration und Kraftlosigkeit.