Chronik/Österreich

Semmeln statt Super 95: Tankstellen als Nahversorger

Shop sei Tank. Bis 27. Dezember haben Supermärkte zu. Dafür steigt die Nachfrage in den Tankstellen. Ein Liter Milch und eine Packung Gouda. Ein Baguette, vier Semmeln und zwei Kornspitz. Eine Flasche Rum. Erst der vierte Kunde in der Schlange ist für den ursprünglichen Zweck dieses Shops gekommen: Er bezahlt seine Tankfüllung.

Es ist eine Situation, die sich am Wochenende immer häufiger in den Tankstellen abspielt: Dutzende Menschen finden sich im Shop ein; der Großteil von ihnen kommt aber nicht zum Tanken.

Das bestätigt Friedrich Marbacher, Geschäftsführer von neun Shell-Tankstellen in Wien. 1991 fing Marbacher bei Shell als Raumgestalter zu arbeiten an. Seine Aufgabe: Ein ästhetisches Shopkonzept entwickeln. Denn Chips-Packerln neben Motoröl sahen nicht besonders einladend aus.

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Heute sind kleine Supermärkte an den Tankstellen nicht mehr wegzudenken. In einer Zeit, in der es einerseits kaum noch Greißler gibt und in der andererseits eine On-Demand-Generation aufwächst, die erwartet, einkaufen zu können, wann und wo sie wollen, auch wenn das außerhalb der regulären Einkaufszeiten ist, werden Tankstellen immer mehr zu Nahversorgern.

Hochsaison

Und heute, am 25. Dezember, beginnt ihre Hochsaison. Denn heuer folgt auf die Weihnachtsfeiertage ein Sonntag. Drei Tage hintereinander also, an denen nur die Supermärkte an Bahnhöfen offen haben.

Gleichzeitig sind das jene drei Tage im Jahr, in den eine Familienfeier auf die nächste folgt. Da kann es durchaus vorkommen, dass man sich bei der Milch oder dem Sekt verkalkuliert, den Sauerrahm für die Sauce im vorweihnachtlichen Trubel überhaupt vergisst oder ein Last-Minute-Geschenk besorgen muss.

Bei OMV-Shops steigt die Nachfrage rund um die Weihnachtsfeiertage – vor allem bei Qualitätswein, Sekt, Limonaden, aber auch Knabbereien oder Geschenkartikeln – um ein Fünftel.

Auch Friedrich Marbacher hat das Lager in seinen neun Tankstellen aufgestockt. Er erwartet vor allem bei Gebäck starke Nachfrage. Am geschäftigsten wird es wohl am 27. Dezember werden: "Mit jedem freien Tag steigt die Nachfrage", sagt Marbacher. Allerdings ist die Auswahl für die Wiener am Sonntag bereits wieder größer. Denn da öffnen auch die meisten Bäckerei-Filialen wieder.

Heiliger Abend

Auch wenn es in den kommenden Tagen sicherlich stressig wird, sieht Marbacher dieser Zeit mit Freude entgegen. Vielleicht auch deshalb, weil es an den Tagen auf der Tankstelle nie langweilig wird.

In Erinnerung geblieben ist ein Erlebnis vom Heiligen Abend . Ein Vater kam mit seinem sechsjährigen Sohn zur Tankstelle. Sie wuschen das Auto und ließen sich viel Zeit. Wohl, um der Mutter Zeit zu geben, den Baum zu schmücken.

Dann bekam der Vater einen Anruf. "Wahrscheinlich gab seine Frau Bescheid, dass sie fertig war", erzählt Marbacher. Jedenfalls stieg der Mann ins Auto und fuhr los. Ohne Sohn. Marbacher: "Der Kollege wusste erst nicht, was er tun sollte. Der Bub wusste nicht, wo er wohnte. Also gab ihm mein Kollege einen heißen Kakao und informierte die Polizei." Als die Polizei ihn ausfindig gemacht hatte, ist dem Mann das Fehlen seines Sohnes aber bereits aufgefallen. Er war schon wieder auf dem Weg zur Tankstelle.

Einkaufstipps

Tankstellen: Viele Tankstellen-Shops haben am 25., 26. und 27. Dezember durchgehend geöffnet, viele von ihnen zumindest von 6–23 Uhr.

Supermärkte: Nur die Supermärkte an Bahnhöfen – in Wien etwa der Merkur am Westbahnhof oder der Interspar Pronto am Hauptbahnhof – haben auch an den Feiertagen offen.

Bäckereien: Die meisten Bäckereien haben geschlossen. Ausnahmen: Die Filialen von Naglreiter haben am 26. und 27.12. offen, die Filialen von Linauer & Wagner nur am 26.

Infos: www.naglreiter.com und www.linauer.at

Abends und an Sonntagen bietet sich am Hauptbahnhof ein seltsames Bild: Mitten im Interspar-Pronto steht eine Gitterwand. Trotzdem ist das gesamte Geschäft zu besuchen. Pärchen reichen sich also über das Gitter hinweg Lebensmittel, um gemeinsam zu zahlen.

Hintergrund ist ein Bundesgesetz. Supermärkte am Bahnhof, die am Wochenende offen haben, dürfen maximal 80 Quadratmeter groß sein. Die Geschäftsfläche des Interspar Pronto ist jedoch größer – zumindest, solange der Gastrobereich dazugezählt wird.

Aus einem Supermarkt werden außerdem der regulären Öffnungszeiten also zwei: Streng genommen müssen Kunden auf der einen Seite ihre Wurstsemmel kaufen, dann am Gitter vorbeigehen, um auf der anderen Seite ihr Getränk, ihren Apfel oder einen Schokoriegel zu erwerben.