Chronik/Österreich

Richter haben beim Urteilen die freie Wahl

Der Oberste Gerichtshof gibt den Richtern mehr Macht, was die Erledigung von Strafverfahren mit Diversion anbelangt. Der Staatsanwalt kann sich nicht gegen das vom Richter ausgewählte Diversionsmodell wehren.

Rund 32.000-mal im Jahr wird eine kriminelle Tat ohne formelle Verurteilung und ohne Vorstrafe aufgearbeitet. Die überwiegenden und zumeist klareren Fälle (rund 25.000) erledigt der Staatsanwalt gleich im Vorverfahren und greift dabei gern (9700 Fälle) zur Geldbuße. Bringt er die Sache vor Gericht, kann auch der Richter noch die Diversion anwenden, das passiert rund 4000 Mal im Jahr.

In beiden Fällen stehen neben der Geldbuße noch die Einstellung des Verfahrens mit Probezeit (und eventuellen Auflagen wie etwa Therapie), die Gemeinnützigen Leistungen (z. B. Hilfsdienste in einem Seniorenheim) sowie der von Neustart-Sozialarbeitern begleitete Außergerichtliche Tatausgleich (Täter und Opfer an einem Tisch). Diese Form gilt unter Praktikern als effektivste, sie wird aber von Jahr zu Jahr seltener angewendet.

Auswählen

Die Anklagebehörde war der Meinung, sie könne auf jeder Ebene mitentscheiden, welches Modell gewählt wird. Und sie glaubte, auch der Beschuldigte könne sich eine bestimmte Form der Diversion aussuchen. In beiden Punkten ist das ein Irrtum.

Der Anlassfall betraf eine jugendliche Ladendiebin. Die Geschädigten erklärten, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten, wenn die Diebin ihre Schuld eingesteht und 150 Euro zahlt. Der Richter verfügte einen Tatausgleich, die Staatsanwaltschaft aber hielt diese Form für nicht geeignet. Ein Ladendiebstahl sei kein zu lösender sozialer Konflikt, man halte etwa die Geldbuße oder Gemeinnützige Leistungen für geeigneter.

Grundsatzurteil

Der Fall landete vor dem Obersten Gerichtshof, dieser hielt grundsätzlich fest: Dem Beschuldigten kommt kein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Art der diversionellen Erledigung zu. Aber auch dem Staatsanwalt steht nicht das Recht zu, eine andere – als die vom Richter ausgewählte – Diversionsform durchzusetzen, möge er sie auch für zweckmäßiger halten. Der Ankläger kann sich nur grundsätzlich dagegen beschweren, dass überhaupt Diversion statt Strafe verfügt wurde, wenn er die Schuld für zu groß hält. Aber wenn der Richter einen Tatausgleich ausspricht, dann pickt das.