Mehr Gewalt innerhalb der Familie
Von Daniel Melcher
Ein Sorgerechtsstreit und eine Scheidung. Diese beiden Motive sollen bei den jüngsten Mordfällen in Niederösterreich der Auslöser gewesen sein. Bei beiden Delikten handelt es sich um Beziehungstaten. Seit Jahren ist in diesem Bereich eine Häufung erkennbar. Das untermauert auch eine detaillierte Analyse der neuen Kriminalstatistik.
Spannend ist hierbei, in welcher Beziehung Opfer und Täter zueinander standen. Das Bundeskriminalamt führt dazu entsprechende Erhebungen – nicht nach der Anzahl der Delikte oder Anzeigen, sondern nach der Summe der Beziehungen. Ein Beispiel: Wenn zwei Verdächtige einen Mord begehen, gibt es zwar eine Anzeige, aber drei Beziehungen.
Mehr Mordbeziehungen
2017 gab es bei den Morddelikten insgesamt 210 Beteiligte. Opfer und Täter standen in rund 43 Prozent (90 Mal) der Fälle in einem familiären Verhältnis, 31 Prozent der Straftaten geschahen im gemeinsamen Haushalt. In mehr als 23 Prozent der Delikte gab es ein Bekanntschaftsverhältnis. 3,8 Prozent der Tatverdächtigen lernten ihr Opfer zufällig, etwa in einem Lokal, kennen.
Auffällig ist der signifikante Anstieg der absoluten Zahlen. Wurden 2014 36 familiäre Beziehungen bei Morddelikten verzeichnet, waren es vergangenes Jahr 90. Prozentuell gesehen verschob sich das Verhältnis zwischen Opfer und Täter nicht wirklich. Denn Mord passiere seit jeher typischerweise im näheren Umfeld, sagt Soziologe Reinhard Kreissl.
Bei den Gewaltdelikten sind die entsprechenden Zahlen zurückgegangen. Wurde von 2014 bis 2016 ein klarer Anstieg verzeichnet (8467 auf 9530), war vergangenes Jahr ein leichter Rückgang bemerkbar. Das gleiche gilt für das Bekanntschaftsverhältnis. Jedoch werden prozentuell gesehen immer mehr Gewalttaten im familiären Umfeld verübt. Innerhalb der vergangenen vier Jahren stieg diese Zahl stetig an, erreichte letztes Jahr den höchsten Wert von 27,8 Prozent. 2014 waren 24,8 der Gewaltdelikte innerhalb der Familie verzeichnet worden.
Bei den Sexualdelikten gibt es ein gegensätzliches Bild. Die Täter-Opfer-Beziehungen in der Familie sind zwar innerhalb von vier Jahren von 563 auf 641 gestiegen, jedoch prozentuell gesehen gesunken.
Der Grund ist ein einfacher: In den letzten beiden Jahren hat es bei den Täter-Opfer-Beziehungen, bei denen es sich um ein Bekanntschaftsverhältnis handelte, einen starken Anstieg gegeben. Zwischen 2015 und 2016 gab es eine Erhöhung von 184 auf 866 Täter und Opfer, die sich nicht kannten.
Dabei spielt der „Po-Grapsch-Paragraf“ (StGB 218) eine tragende Rolle, den es erst seit 2016 gibt. Erstmals kann hier ein Jahresvergleich gezogen werden. Insgesamt stieg die Gesamtzahl von 1010 auf 1309. Bei Opfern und Tätern, die sich kannten, stiegen die Fälle um rund sechs Prozent an.
„Morddelikte und sexuelle Übergriffe passieren meist im sozialen Nahbereich. Das hat mit der Gelegenheitsstruktur zu tun und damit, dass die Dynamik sich in einer engen Beziehung eher dahingehend entwickelt“, sagt Soziologe Kreissl. Laut ihm würde aber auch die Hemmschwelle für die Anzeigen sinken, was auch Maria Schwarz-Schlöglmann vom Bundesverband für Gewaltschutzzentren Österreichs bekräftigt (siehe rechts).
Weniger Missbrauch
Bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sind die Delikte in der Familie beinahe gleich hoch geblieben. Das Wiener Jugendamt, die größte Kinderschutzeinrichtung Österreichs, betreut jährlich über 10.000 Fälle. Bei 200 muss die MA 11 wegen sexuellen Übergriffen an Kindern intervenieren.