Lage in der Südsteiermark außer Kontrolle
Ich bin jetzt das letzte Taxi da. Deshalb kostet das 800 Euro für sie“, sagt ein Wiener Taxifahrer zu einer Gruppe Flüchtlingen. Kolonnenweise sind Taxler aus Wien gekommen, um im steirischen Spielfeld Geschäfte zu machen. Denn der staatlich organisierte Transport ist am Vormittag völlig zum Erliegen gekommen. Selbst Soldaten und Polizisten vor Ort üben heftige Kritik an Führung und Einsatzstäben.
„Wir haben fünf Tage an der Grenze verbracht, bekamen kaum etwas zu essen“, sagt der Syrer Hadi. Weitertransport wurde ihnen in dieser Zeit keiner angeboten. Obwohl Kolonnen von Militärfahrzeugen, Feuerwehrautos und Polizeitransporter am Freitagvormittag an der Grenze ankommen, hat die Einsatzleitung die Zufahrt für Reisebusse gesperrt. „Was sagen wir jetzt als öffentliche Begründung dafür?“, fragt ein Polizist einen anderen. „Es ist zu gefährlich, sollen wir sagen“, erklärt sein Kollege.
Erste Reibereien
Während die Polizei die Lage im Burgenland einigermaßen rasch unter Kontrolle bekam, wirken die Zustände in der Südsteiermark chaotisch und planlos. Unter den Flüchtlingen kommt es wegen des schleppenden Weitergangs zu Unruhe und auch zu ersten Reibereien. In der Nacht auf Freitag gerieten vier Afghanen und vier Syrer aneinander. Immer wieder brachen Gruppen durch die Absperrungen und wanderten über die Weinberge sowie die Bahngleise. Freitagvormittag musste erneut der Bahnverkehr eingestellt werden. Es kam auch zu brenzligen Situationen auf der Strecke.
Rund 7000 Flüchtlinge sind innerhalb von 24 Stunden im slowenischen Lager Sentilj angekommen, rund 2000 von ihnen weiter über die Grenze nach Österreich. 6000 weitere waren noch für Freitag avisiert. Doch gerade die Achse Spielfeld–Graz funktioniert derzeit überhaupt nicht. Es scheint sich immer mehr ein Flaschenhals am Übergang Spielfeld zu bilden. Grund dafür ist offenbar auch, dass der Bahnhof in Graz frei von gestrandeten Flüchtlingen bleiben soll. Beim Bundesheer, das die Transporte koordiniert, setzte man bisher auf Busse, von Spielfeld aus seien keine Fernverkehrszüge wie von Nickelsdorf aus möglich. Doch am Nachmittag waren gerade einmal zwölf Busse im Einsatz.
Verwirrung um Sonderzüge
Doch dann hieß es plötzlich, es gäbe doch Sonderzüge: Vom Bahnhof Leibnitz aus wären noch für Freitagabend zwei Sonderzüge geplant, hieß es von der Polizei. 1500 Menschen sollten nach Graz und Umgebung gebracht werden. Das machte die Runde in der Sammelstelle Spielfeld: 1500 bis 4500 Flüchtlinge sollen Richtung Leibnitz aufgebrochen sein zu Fuß über die B 67, exakte Zahlen hat keine Behörde mehr. Am frühen Abend trafen auch die ersten 200 auf dem Bahnhof in Leibnitz ein. Doch es fuhren bloß die regulären Shuttles nach Graz: „Bei uns sind keine Sonderzüge bestellt worden“, betonte ÖBB-Sprecher Christoph Posch. Wer Geld für Tickets hatte, kaufte sich eines und stieg ein.
Der schleppende Transport den ganzen Freitag über könnte weniger mit der Kapazität zu tun haben als mit der Möglichkeit, die vielen Menschen unterzubringen. In Graz waren alle Quartiere voll und es gab gestern auch keine Ausweichmöglichkeit mehr: Am Freitagnachmittag waren alle Quartiere in Österreich belegt. „Wir haben eine 100-prozentige Auslastung“, bestätigte Rot-Kreuz-Koordinator Gery Foitik. „Es werden wieder Menschen über Nacht in Spielfeld bleiben müssen.“ Zuletzt schliefen Hunderte auf dem kalten Asphalt, Betten gibt es in Spielfeld nicht für sie.
Weil Flüchtlinge auch zu Fuß Richtung Norden marschierten, war die Sammelstelle in Spielfeld am Abend aber leerer. 700 bis 1000 Menschen blieben zurück, doch in Sentilj in Slowenien warteten wieder 2000. Vor Ort wird getuschelt, dass das beheizte Zelt, das in Nickelsdorf steht, nach Spielfeld kommt. Möglicherweise sollen auch Flüchtlinge nach Nickelsdorf in die dort derzeit leer stehenden Zelte gebracht werden, sagte der burgenländische Polizeichef Hans-Peter Doskozil. Wie der Flüchtlingsstrom in der Steiermark gehandhabt werde, wollte er nicht kommentieren: „Ich beneide keinen Kollegen, der mit so einer Situation konfrontiert ist.“
In Spielfeld selbst kocht die Stimmung hoch. Die Feuerwehr sperrt sogar das Ortszentrum immer wieder ab, damit niemand in den Ort kommt. Bewohner sprechen von Bewaffnung. „Die Polizisten sitzen hier nur herum und sind überfordert. Die trauen sich zu zweit nicht einmal aussteigen“, sagt ein Einwohner, der nur seinen Vornamen preisgeben will. Die Beamten geraten immer mehr zwischen die Fronten. Auch bei den Zeitsoldaten regt sich Unmut, nachdem sie laut ihren Aussagen keine Überstunden ausbezahlt bekommen.
Der Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Gerhart Holzinger, übte am Freitag am Rande einer Pressekonferenz zu Entscheidungen des Höchstgerichts scharfe Kritik am Umgang der Politik mit der Flüchtlingsbewegung. Es eröffne sich grundsätzlich die Frage, wie wirksam das Recht sei. Holzinger stellt sich damit hinter den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP), der angesichts der chaotischen Zustände in Spielfeld das Sichern der Grenze als Kernaufgabe des Staates bezeichnet und einen verstärkten Einsatz der Sicherheitskräfte gefordert hatte.
Auch für den Präsidenten des Höchstgerichts kommt das späte Abrufen der Kapazitäten des Bundesheeres zu spät. Die Zivilgesellschaft leiste Großartiges, aber staatliche Strukturen könnten durch nichts ersetzt werden. „Kein Staat kann das bewältigen, ohne auf seine hoffentlich gut funktionierenden Strukturen wie Bundesheer und Polizei zurückzugreifen.“ Wenn man Basisdienste wie Empfang, Registrierung, Versorgung und Transport von Flüchtlingen nur den Hilfsorganisationen überlasse, müsse man sich fragen: „Wozu habe ich dann den Staat?“
Rechtzeitige Vorsorge
Holzinger vermisst einen Notfallplan der Regierung „für eine Situation, in der sich Zigtausende in Bewegung setzen.“ Die Art und Weise, wie bisher gehandelt wurde, „deutet nicht darauf hin, dass es einen solchen gibt.“ Der Präsident kritisierte auch das Aushungern von Polizei und Bundesheer und verlangte rechtzeitige Vorsorge. Ohne Heer komme man nicht aus, da müsse man gar nicht an einen Krieg denken. Es reiche schon, „dass die Sicherung der Grenzen in Gefahr kommt.“
Holzinger plädiert für eine europäische Lösung. Danach schaue es jedoch nicht aus, zumal es bei der Flüchtlingsfrage gegensätzliche Interessen gebe. Also bleibe Österreich nichts anderes über, als „unter Aufbietung aller Kräfte diese krisenhafte Situation zu bewältigen.“ Das müsse so geschehen, „dass in der Bevölkerung nicht der Eindruck entsteht, dass man überfordert ist“, verlangte der VfGH-Präsident.