Chronik/Österreich

Maximal vier Jahre Haft für Mörder

133 mutmaßliche oder verurteilte jugendliche Straftäter sitzen derzeit ohne große Aussicht auf nachhaltige Resozialisierung im Gefängnis. Und die vom Justizministerium Anfang des Jahres eingeführte Alternative zur U-Haft, die betreuten (nicht versperrten) Wohngruppen für jugendliche Straftäter, stehen fast leer. Der Höchststand betrug drei Insassen, einer wurde rückfällig, einer ist untergetaucht, ein einziges Mädchen ist noch da.

Die Reform des Jugendstrafvollzuges droht zu scheitern, noch bevor sie ab 1.1.2016 mit einem neuen Gesetz in Kraft tritt. Die Richter müssen dann explizit begründen, weshalb sie diese Form nicht wählen und stattdessen Haft verhängen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Frequenz dann erhöht (und sich die Gefängnisse leeren).

Mit 22 frei

Dabei zeigt das Schweizer Modell, dass es auch anders geht. So schlimm ein Verbrechen auch sein mag, das ein Jugendlicher begangen hat: In der Schweiz ist jeder jugendliche Straftäter spätestens mit 22 Jahren frei. Denn auch für die schwersten Delikte wie Vergewaltigung und Mord werden über die 15- bis 18-Jährigen maximal vier Jahre Haft verhängt.

In Österreich sind bis zu 15 Jahre Freiheitsentzug möglich und werden in der Praxis auch verhängt. Die Rückfallsquote ist gegenüber der Schweiz trotzdem mehr als doppelt so schlecht: Während im Nachbarstaat um die 30 Prozent aller aus einer Jugendhaftstrafe Entlassenen wieder ein Delikt verüben, sind es in Österreich rund 70 Prozent. Nur das eine Drittel, das im Gefängnis einen Lehrabschluss macht, bleibt mit 40 Prozent Rückfallsgefahr darunter.

Erziehung statt Strafe

Was machen die Schweizer besser? Es beginnt schon damit, dass sich nicht Ankläger und Richter um auffällige Jugendliche kümmern, sondern Jugendanwälte. Das Signal sei also, sagt der Wiener Jugendrichter Norbert Gerstberger, dass der „Richter (der nicht nur anders heißt, Anm.) auf der Seite des Jugendlichen steht.“ Das Jugendstrafrecht ist in der Schweiz auf dem Motto aufgebaut: Erziehung kommt vor Strafe. Es tritt bereits ab dem zehnten Lebensjahr in Kraft und beinhaltet einen umfangreichen Katalog an Maßnahmen und Einrichtungen (siehe Bericht unten).

Das ist kostspielig und ruft auch in der Schweiz regelmäßig den Unmut von Politikern hervor, insbesondere immer dann, wenn eine schwere Jugendstraftat verübt wurde. Der Bundesrat hat aber bereits zwei Mal Anträge auf Verschärfung des Jugendstrafrechts mit der Begründung abgewiesen, „dass Freiheitsstrafen Rückfälle jugendlicher Rechtsbrecher kaum verhindern können, sondern eher kontraproduktiv wirken.“

"Der Schweizer Pragmatismus funktioniert anders, weniger auf politischen Zuruf."


Alle Inhalte anzeigen
Jugendrichter Norbert Gerstberger, der sich das Schweizer Modell angeschaut hat, hält nichts von einer 1:1-Umsetzung in Österreich: „Man kann Teile übernehmen. Aber man kann die Schweiz nicht mit Österreich vergleichen.“ Dort gebe es keine Großstadtkriminalität, weil die größten Städte so groß wie ein Wiener Bezirk seien. „Da ist die gegenseitige soziale Kontrolle höher.“

In Wien sind laut Gerstberger in jüngster Zeit viele schwer wiegende Taten verübt worden, „bei denen man der rechtspolitischen Meinung sein kann, dass die Haft nicht ausgeschlossen sein sollte.“ Ab einem Raub mit Waffengewalt sei die Grenze zur U-Haft überschritten, man müsse auch „den Schutz der Gesellschaft beachten.“
Und schließlich, der Vergleich mit der Schweiz scheitert auch an der Kostenfrage: 320 Euro und mehr werden dort pro Tag für die Betreuung eines jugendlichen Straftäters ausgegeben. Experten sehen darin eine Investition in die Zukunft.

Ein Grund dafür, dass in Österreich die Wohngruppen offenbar nicht funktionieren, liegt auch an der Ausstattung. Ein Tag in Haft kostet pro Häftling 110 Euro. Ein Tag in der Wohngruppe knapp unter 200 Euro. Die Organisation der SOS-Kinderdörfer hat dem Justizministerium eine Einrichtung mit höherem Betreuungsaufwand für 290 Euro pro Tag angeboten, kam aber nicht zum Zug.

Schweizer System

„Mit dem System in der Schweiz ist sichergestellt, dass Straffällige früh erfasst werden, aber mit einer altersbezogenen und erzieherisch ausgerichteten Antwort rechnen dürfen“, sagt der Sprecher des Bewährungshilfevereins Neustart, Andreas Zembaty.

Ab dem zehnten Lebensjahr beginnen Schutzmaßnahmen: Die Jugendanwälte durchforsten die persönlichen, familiären, schulischen Verhältnisse des Kindes bzw. Jugendlichen, sie können Weisungen an die Eltern erteilen, die elterliche Obsorge einschränken, Fachleute hinzuziehen.

„Das Verständnis dafür, dass man interdisziplinär zusammenarbeiten muss, fehlt in Österreich“, sagt der Doyen des Schweizer Jugendstrafvollzugs, Walter Toscan, der auch vom Justizministerium in Österreich als Experte eingesetzt wurde.

Begeht ein Jugendlicher eine Straftat, können neben Strafen auch Schutzmaßnahmen angeordnet werden. Erweisen sie sich als erfolgreich, wird die Strafe nicht vollzogen und umgekehrt. Insgesamt stehen in der Schweiz 24 Einrichtungen mit einem breit gefächerten Angebot an Maßnahmen zur Verfügung. Die Bedürfnisse des Jugendlichen stehen im Vordergrund, eine geschlossene Unterbringung als letztes Mittel darf nicht zu disziplinären Zwecken missbraucht werden.

Ab dem zehnten Lebensjahr beginnen Schutzmaßnahmen: Die Jugendanwälte durchforsten die persönlichen, familiären, schulischen Verhältnisse des Kindes bzw. Jugendlichen, sie können Weisungen an die Eltern erteilen, die elterliche Obsorge einschränken, Fachleute hinzuziehen.

Begeht ein Jugendlicher eine Straftat, können neben Strafen auch Schutzmaßnahmen angeordnet werden. Erweisen sie sich als erfolgreich, wird die Strafe nicht vollzogen und umgekehrt. Insgesamt stehen in der Schweiz 24 Einrichtungen mit einem breiten Angebot an Maßnahmen zur Verfügung. Die Bedürfnisse des Jugendlichen stehen im Vordergrund.