Chronik/Österreich

Interpol fahndet nach 55 Millionen Reisepässen

Die Zahlen sind nicht nur auf den ersten Blick dramatisch. Im Vorjahr wurden in der EU 35 Millionen Reisedokumente als verloren oder gestohlen gemeldet. Innerhalb von fünf Jahren hat sich diese Zahl mehr als verdoppelt.

Ob die Europäer nur schusseliger geworden sind oder ob die Pässe und Personalausweise verstärkt in dunkle Kanäle wandern, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Das US-Heimatschutzministerium ist argwöhnisch – und hat deshalb bereits fünf europäische Länder unter spezielle Beobachtung gestellt, berichtet das englischsprachige Magazin Publico: Frankreich, Griechenland, Belgien, Deutschland und Italien. Handeln diese Staaten nicht rasch, drohen ihnen die USA bereits mit Verschärfungen bei der Visaerteilung.

Österreich ist zwar nicht unter Verdacht, allerdings sind zuletzt immer häufiger auch bei spektakulären Fällen Pässe aus der Alpenrepublik aufgetaucht (siehe Zusatzbericht unten, Anm.).

Schwarzmarkt

Zwischen 2000 und 7000 Euro sind derzeit auf dem Schwarzmarkt für Reisedokumente zu erzielen. In Schweden etwa darf man sechs Mal im Jahr seinen Reisepasse verlieren und bekommt immer wieder einen neuen ausgestellt.

Aktuell sind 55 Millionen abhanden gekommene Reisedokumente im Fahndungscomputer von Interpol. Darunter sind auch rund 30.000 syrische Pässe, von denen 4000 als Blanko-Pässe geführt werden. Denn der Islamische Staat soll bei seinem Vorrücken im Irak, Libyen und Syrien zahlreiche Dokumente und Gerätschaft erobert haben. Die Rede ist von bis zu 250.000 Reisepässen, die von den Terroristen nach Gutdünken ausgestellt werden können.

Allerdings kann der Wahrheitsgehalt solcher Meldungen kaum überprüft werden, da es in diesen Ländern keine seriösen Quellen gibt. Offenbar sind auch zwei Terroristen von Paris mit Dokumenten eingereist, die im syrischen Rakka von Islamisten erbeutet worden waren. Doch vieles ist hier noch unklar. Etwa, ob die Terroristen gezielt solche Pässe bei sich trugen, um die Flüchtlinge in Europa zu diskreditieren.

Beliebter als syrische sind natürlich EU-Pässe, werden Menschen, die einen solchen vorweisen, doch weniger scharf kontrolliert. Am Flughafen Istanbul flogen im Dezember zwei Schmuggler auf, die angeblich auf dem Weg in den sogenannten Islamischen Staat waren. Im Gepäck fanden die Zöllner 148 gefälschte Pässe, darunter auch zwei österreichische, wie auf Twitter gepostete Bilder des Fundes zeigen.

Lage in Österreich

"Wie viele Reisepässe tatsächlich in Österreich gestohlen worden sind, darüber gibt es keine exakte Zahlen", sagt Ernst Geiger, Ermittlungsleiter im Bundeskriminalamt. Spezielle Probleme mit österreichischen Pässen sieht er allerdings nicht: "Das letzte Mal gab es solche mit der RAF, die Blanko-Pässe in ihre Hände bekam."

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Nach derzeitigem Stand sind laut Bundeskriminalamt in Österreich 344.269 Identitätsdokumente und 2305 Blanko-Dokumente international zur Fahndung ausgeschrieben. Im Vorjahr waren die Vergleichszahlen rund 334.000 und 2800.

"Diese Zahlen beinhalten gestohlene sowie verlorene Dokumente", betont Sprecherin Silvia Strasser. Hierzulande ist also von keiner dramatischen Steigerung wie in anderen EU-Staaten auszugehen. Beim letzten Gipfel der Innenminister in Brüssel wurde jedenfalls eine Taskforce beschlossen, die das Passproblem in den Griff bekommen soll.

Ein gestohlener Pass aus Österreich spielt in dem Rätsel rund um den verschwundenen Malaysia-Airlines-Flug MH 370 bis heute eine möglicherweise tragende Rolle. Denn ein Fluggast bestieg damit den Jet, der bis heute nicht gefunden wurde. Unklar ist, ob dieser Passagier mit dem Verschwinden in Zusammenhang steht oder ob er als illegaler Passagier mit dem Pass eines Salzburgers nach Europa reisen wollte. Das Dokument war dem 67-Jährigen zwei Jahre zuvor in Thailand gestohlen worden.

Im Pizzaofen

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Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres tauchten zwei österreichische Pässe im Gepäck eines Schmugglers auf. Der Mann war mit einem Koffer voller Reisedokumente in Istanbul aufgeflogen. Laut lokalen Behörden war der Mann mit 148 gestohlenen Reisepässen, die in einem kleinen Pizzaofen versteckt waren, auf dem Weg nach Syrien – zum Islamischen Staat. Auch Kameras und SIM-Karten hatte er im Gepäck. Der Mann war offenbar ein Belgier mit türkischen Wurzeln.

Ebenfalls Mitte Dezember wurden in Italien zwei Syrer auf dem Weg nach Malta festgenommen. Einer von ihnen hatte einen österreichischen Pass. Die Männer stehen im Verdacht, mit den Attentätern von Paris in einem Zusammenhang zu stehen.