Chronik/Österreich

Höchstgericht holt Schlepper aus der Haft

571 Personen sitzen derzeit als Schlepper im Gefängnis, 174 davon in U-Haft. Und es werden ständig mehr. Bis 1. Oktober gab es 1953 Ermittlungsverfahren (schon jetzt eine Verdoppelung gegenüber dem gesamten Vorjahr), 552 davon mündeten in Anklagen.

Nach der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes (OGH) müsste ein Teil der wegen Schlepperei einsitzenden Personen schleunigst enthaftet werden, weil keine dringende Verdachtslage vorliegt. Das hängt mit der fehlenden oder nicht nachgewiesenen, unrechtmäßigen Bereicherung zusammen.

Bereicherung

Der KURIER berichtete bereits vor einigen Wochen über ein bisher wenig beachtetes OGH-Urteil. Es besagt, dass sich Schlepper nicht gerichtlich (sondern bloß verwaltungsrechtlich) strafbar machen, wenn sie von den Flüchtlingen bloß den angemessenen Fuhrlohn kassieren. Nur wenn eine Überzahlung feststellbar ist, "kann man von einem auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz ausgehen." Nun hat der OGH nachgelegt und zwei im August als Schlepper in U-Haft genommene Taxifahrer aus dem Gefängnis befreit. Die Beschwerde des einen war vom Oberlandesgericht Linz mit der Begründung abgewiesen worden, die Bezahlung hoher Schlepperlöhne sei "notorisch" und ein unrechtmäßiger Bereicherungsvorsatz "evident". Auch wenn die Höhe des für die inkriminierten Fahrten erhaltenen Entgelts noch nicht feststehe, sei "bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen", dass der Beschuldigte daran verdient habe und er sich eine fortlaufende Einnahme habe verschaffen wollen.

So einfach dürfen es sich Staatsanwaltschaft und Gericht nicht machen, befand das Höchstgericht. Nach dem bisherigen Akteninhalt finden sich nur Hinweise für einen Fuhrlohn von 100 Euro pro befördertem Flüchtling für eine Strecke durch mehrere Bundesländer. Dass der "adäquate Fuhrlohn" damit überstiegen worden sei, dafür gibt es keine ausreichende Verdachtslage.

Der OGH beschied dem Taxler, dass er im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde. Der Mann wurde sofort enthaftet, ebenso wie sein mutmaßlicher Mittäter. Dieser hatte sich zwar nicht beschwert, der OGH entschied aber von Amts wegen. Originalton: "... dass sich die Pflicht des Gerichts zur unverzüglichen Herstellung des der Rechtsanschauung des Obersten Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes mit dem ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln auch auf diesen Angeklagten erstreckt" (OGH, 11Os125/15i, vom 28. September 2015).

Haftentschädigung

Beide Beschuldigte wurden umgehend aus der Haft entlassen und bekommen demnächst ihren Prozess in Wels. Sie saßen sechs Wochen in U-Haft. Sollten sie nicht zu unbedingten Haftstrafen verurteilt werden (wozu nun die Grundlage fehlen könnte), wobei die U-Haft dann angerechnet werden würde, steht ihnen jeweils zwischen 1000 und 2000 Euro Haftentschädigung (zwischen 20 und 50 Euro pro Tag) zu.

An eine Gesetzesänderung oder Präzisierung wird im Justizministerium nicht gedacht. Sprecherin Britta Tichy-Martin sagt: "Die Justizorgane sind sensibilisiert und beobachten die Rechtsprechung beim OGH sehr genau."

Noch ist davon nicht viel zu bemerken. Die Richter verurteilen vielfach wie am Fließband weiter (und sperren ein), auch wenn stichhaltige Beweise für eine Überzahlung fehlen.