Chronik/Österreich

HCB-Skandal: Das Protokoll des Schweigens

Es ist der Skandal innerhalb des Umweltskandals um Hexachlorbenzol im Kärntner Görtschitztal: Seit März wissen die Beamten von erhöhten HCB-Werten, seit April weiß es die Politik. Aber niemand drückte auf den Alarmknopf. Ein Protokoll des Schweigens:

Juli 2012 In der Vorgängerregierung genehmigt Umweltlandesrätin Beate Prettner (SPÖ) den Bescheid zur Verbrennung von HCB-belastetem Blaukalk aus der Donau Chemie in Brückl. Eine Auflage, wonach HCB-Emissionen kontrolliert werden müssen, existiert nicht – obwohl man wusste, dass es sich um einen hochgiftigen Stoff handelt. Im Zementwerk Wietersdorf startet das 44-Millionen-Euro-Projekt.

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März 2014Die Molkerei "Sonnenalm" wird mit dem Auftreten von HCB im Görtschitztal konfrontiert. Die Molkerei wird selbst aktiv, informiert die Behörden und untersucht Milchlieferanten. Das Land gibt Proben des Bodens sowie von Milch- und Fleischprodukten in Auftrag. Kein Wort dringt an die Öffentlichkeit.

2. April Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hat erhöhte Werte in Milchprodukten gefunden und ans Land weitergeleitet. Die Lebensmittelaufsicht rechnet die Werte aber auf den Grenzwert für Rohmilch um und erkennt keine Überschreitung. Das Schweigen geht weiter. Dass diese Probe existiert, wird am 11. Dezember bekannt.

18. April Die Abteilungen Veterinär, Umwelt und Agrar werden eingebunden. Man geht von Blaukalk-Altlasten im Boden aus. Auf die Idee, das Zementwerk zu verdächtigen, kommt niemand. Die Beamten warten ab. Als erster und einziger Politiker wird Agrarlandesrat Wolfgang Waldner (ÖVP) kontaktiert. Er habe die Beobachtung der Sachlage angeordnet und kein Regierungsmitglied informiert, berichtet er dem ORF. Auch nicht Nachfolger Christian Benger (ÖVP).

Am 8. Mai scheidet Waldner aus der Regierung aus.

April bis Oktober "Sommerpause" für die Beamtenschaft. Aufgrund der eintrudelnden Proben wird es immer unwahrscheinlicher, dass Altlasten die Ursache sind. Industriestandorte werden verdächtigt, niemand drückt den Alarmknopf.

10. Oktober Das Zementwerk erhält aus der Bevölkerung (!) Infos zu HCB-Vorkommen und nimmt Kontakt mit den Behörden auf.

16. Oktober Nach fast zweieinhalb Jahren erfolgt die erste Schadstoffmessung im Zementwerk in Klein St. Paul.

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6. November Die Einbringung von Blaukalk wird gestoppt. Umweltlandesrat Rolf Holub (Grüne) gibt an, erstmals von erhöhten HCB-Werten Kenntnis erlangt zu haben. Jedenfalls informiert er Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und Gesundheitslandesrätin Prettner. Holub habe ausgerichtet, dass die Beamten alles im Griff hätten, sagen diese. Die Öffentlichkeit erfährt nichts.

26. November Agrarlandesrat Christian Benger (ÖVP) betont, erst an diesem Tag eingebunden worden zu sein. Er informiert sofort über die überschrittenen Grenzwerte bei vier Milchbauern.

27. November Wietersdorfer gibt HCB-Emissionen bekannt. Die Justiz wird eingeschaltet.

2. Dezember Der Landtag bestimmt die Einsetzung eines U-Ausschusses.

5. Dezember HCB-Grenzwertüberschreitungen in Milch aus dem Handel wird nachgewiesen. Das Land warnt plötzlich vor Lebensmittelverzehr aus der Region.

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6. DezemberHCB wird auch in Schweinefleisch und Wild gefunden. Die "Sonnenalm" stellt ihren Betrieb ein.

10. Dezember Die Butter eines Landwirts mit Buschenschank ist HCB-belastet.

12. Dezember Offizielle Informationsveranstaltungen des Landes beginnen – fast neun Monate nach dem ersten HCB-Alarm.