"Grenzt unsere Kinder nicht aus"
Die Diagnose war ein Schock", erinnert sich Sabina Gohar-Brahimi an den Mai 2012 zurück. Ihr damals 15 Monate alter Sohn Jordan lag in der Intensivstation. Diagnose: Diabetes.
Zu diesem Zeitpunkt war Jordan bereits für eine öffentliche Kinderkrippe in Wien angemeldet. "Ich habe die Leiterin des Kindergartens informiert, dass mein Sohn an Diabetes erkrankt ist", sagt Gohar-Brahimi. "Die erklärte mir sofort, dass sie keine Diabetes-kranken Kinder aufnehmen kann." Ein Spießrutenlauf begann, der heute noch nicht beendet ist.
Hohes Risiko
Der Kinderpsychologe, zu dem sie im Juli 2012 mit Jordan geschickt wurde, machte gleich alle Hoffnung zunichte: "Es gibt keine Kindergartenplätze für Diabetiker unter drei Jahren." Auch die anschließend kontaktierten rund 50 privaten Kindergärten und Tagesmütter sahen in Jordans chronischer Erkrankung ein "zu hohes Risiko", wie sich Gohar-Brahimi erinnert.
Sie musste nach der Karenzzeit ihren Job kündigen, um sich um ihren Sohn kümmern zu können. "Die Behörden haben uns alle im Stich gelassen. Da wird man schon wütend."
Jordan wird im kommenden Februar drei Jahre alt. Täglich muss mehrmals sein Blutzucker gemessen und die Insulinmenge in die Versorgungspumpe eingetippt werden. Er ist kein Einzelfall. Rund 190.000 chronisch kranke Kinder und Jugendliche gibt es laut Schätzungen der Ärztin und Gesundheitswissenschafterin Lilly Damm in Österreichs Schulen und Kindergärten – der KURIER berichtete. Viele Diabetiker, Epileptiker, Asthmatiker und Allergiker werden wegen ihrer Krankheit vom Bildungssystem benachteiligt.
5000 Unterschriften
Um das Bewusstsein dafür zu schärfen und eine Änderung der Gesetzeslage zu erreichen, hat die Plattform Diabetes Austria eine parlamentarische Bürgerinitiative ins Leben gerufen (siehe Bericht unten). Auf der Homepage des Parlaments kann man die Unterstützungserklärungen herunterladen. "Wir haben schon rund 5000 Unterschriften gesammelt", erklärt Peter Hopfinger, einer der Initiatoren. Morgen, Mittwoch, gibt es im Petitionsausschuss des Parlaments ein erstes Gespräch mit Politikern. Hopfinger hofft auf Tausende weitere Unterstützungserklärungen. "Je mehr Leute unterschreiben, desto eher gibt es die Chance auf eine Gesetzesänderung."
Irene Promussas leitet die Selbsthilfegruppe Lobby4Kids. Sie sieht vor allem in der unklaren Gesetzeslage das größte Problem. "Wenn Lehrer chronisch kranken Kindern helfen, muss das unter Amtshaftung fallen", fordert sie. "Derzeit darf laut Ärztegesetz jeder alles machen, muss aber nicht." Viele Lehrer würden etwa die Betreuung von Diabetikern verweigern. Es gehöre eine klare Regelung her. Bislang werde die Versorgung chronisch Kranker "wie ein Gnadenakt" behandelt.
"Die Unterstützungsleistung für chronisch kranke Kinder kann von Lehrerinnen und Lehrern nicht erbracht werden", sagt der zuständige Wiener Landesschulinspektor Rupert Canozza. Für jeden Einzelfall werde eine spezifische Lösung gesucht. Gleiches gilt für Kindergärten.
Zusätzliche Hilfe bieten in Wien die personell unterbesetzten mobilen Kinderkrankenschwestern, deren Engagement aber das Pflegegeld der Eltern zum Teil übersteigt. "Es gibt auch gute Beispiele wie die Diabetes-Nannys in Salzburg oder die Schul-Assistenz in Oberösterreich", sagt Gesundheitsexpertin Damm. Diese würden teils mit Spenden finanziert.
Endlich Kindergarten
Für Jordan gibt es doch noch ein Happy End: Seine Eltern haben vor einigen Wochen einen Platz in einem Wiener Privatkindergarten gefunden. Die Pädagoginnen wurden auf die Anwendung der Insulin-Pumpe eingeschult. Im Februar 2015, wenn er drei ist, steht der Wechsel in einen öffentlichen Kindergarten an. "Dennoch ist es schlimm, wie uns der Staat diskriminiert", sagt Sabina Gohar-Brahimi: "Grenzt unsere Kinder nicht aus."
Die wichtigsten Eckpunkte der parlamentarischen Bürgerinitiative im Überblick:
Rechtssicherheit Pädagogen in Schulen und Kindergärten sollen rechtlich geschützt werden, um chronisch kranke Kinder unterstützen zu können. "Es muss Klarheit geben, wenn ärztlich verordnete Medikamente verabreicht oder andere Hilfestellungen durch das pädagogische Personal erbracht werden." Derzeit gilt die Amtshaftung in diesem Bereich nicht.
Kostenlos "Falls zusätzliche Unterstützungsleistungen durch Gesundheits- oder Assistenzberufe für die Ausbildung von Kindern erforderlich sind, müssen sie den Kindergärten und Schulen ohne Extrakosten für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden."
Keine Ausgrenzung Die Initiative fordert zudem, "dass Kinder wegen ihrer chronischen Erkrankung nicht ausgegrenzt oder benachteiligt werden."
Arbeitsplatz Es soll verhindert werden, dass Eltern "als Konsequenz einer Diskriminierung ihres Kindes in ihrer Erwerbstätigkeit eingeschränkt werden oder sogar ihren Arbeitsplatz verlieren."
Kein Aufschub Da Kinder und Jugendliche bei gesundheitlichen Problemen während ihrer Entwicklung und Ausbildung auf Erwachsene angewiesen sind, sei rasches Handeln gefordert. "Wir dürfen es nicht aufschieben."