Amokfahrt mit Geländewagen in Grazer Innenstadt
Ein Geländewagen rammte in der Grazer Innenstadt am Samstagmittag mehrere Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer - offenbar mit voller Absicht. Bei der Wahnsinnstat im Bereich Herrengasse-Hauptplatz kamen drei Menschen ums Leben. 34 Personen wurden verletzt, zehn davon schwer - einige Opfer schweben noch in Lebensgefahr. Die Rettungskräfte aus der gesamten Region wurden in Graz zusammengezogen, der betroffene Bereich abgeriegelt (Details: siehe unten). Rund 60 Kranken- und Notarztautos, sowie vier Rettungshubschrauber waren im Einsatz.
Kein Terroranschlag
Bilder aus der Grazer Innenstadt
Mit 100 km/h unterwegs
Der Täter ist laut Augenzeugen mit rund 100 km/h durch die Herrengasse auf der Höhe des Hauptplatzes gerast, wo sich mehrere Cafes befinden. "Wir dachten zuerst an eine Schießerei, da der Wagen auch mehrere Sessel erfasst hat", berichtete eine Augenzeugin. Unter den Passanten herrschte Panik, die Menschen versuchten sich in die Gebäude zu retten.
Der Wagen mit Kennzeichen GU (Graz-Umgebung) wird von einer Spezialeinheit untersucht. Sprengstoff wurde darin keiner gefunden.
Schützenhöfer: "Abscheuliche Tat"
In der an Samstagen sonst so geschäftigen Grazer Herrengasse herrschte zu Mittag und am frühen Nachmittag Stillstand. Nur Notarztwagen und Ambulanzen durften nach der Amokfahrt eines Mannes über Herrengasse und Hauptplatz passieren. Straßenbahnen stehen aneinandergereiht, von Polizisten wird eine Rettungsgasse frei gehalten.
Durch die Gasse - mit rotweißen Bändern abgesperrt - fahren Rettungswagen aus Graz und verschiedenen steirischen Bezirken zur Verletzten-Sammelstelle am Hauptplatz. Die Innenstadt ist großräumig abgesperrt, schon an Punkten wie dem Griesplatz und der Grazer Oper leitet die Polizei den Verkehr großräumig um. Uniformierte - Streifenpolizisten wie auch Angehörige der Einsatzeinheit Steiermark in Kampfanzügen - hindern Schaulustige am Weitergehen.
Ein erschütterndes Bild bietet sich am Beginn der Herrengasse, im Bereich der Stadtpfarrkirche, wo der Amokfahrer - offenbar aus der Hamerlinggasse kommend - eine Person gerammt hatte: Ein Mensch liegt mit einer weißen Decke verhüllt am Boden, vor der zehn Meter weiter nördlich gelegenen Bank Austria-Unicredit-Hauptfiliale die gleiche Szene: wieder ein Mensch unter einer weißen Plane. Die Polizei wollte zwar Todesopfer noch nicht bestätigen, aber das Offensichtliche lässt sich hier nicht mehr verbergen. Zwei Menschen knien vor der Bank am Boden, halten sich umarmt und weinen. Auch Journalisten in der Nähe des Tatortes können Tränen nicht zurückhalten.
Es hätte ein friedlicher Nachmittag in der Innenstadt werden sollen - das Wetter war mild, am Hauptplatz hatte der "Graz Prix" - eine Art Außenstelle des Formel 1-Rennens am Wochenende im obersteirischen Spielberg - buchstäblich seine Zelte aufgeschlagen. Die Besucher zerstreuten sich rasch, die Polizei wies alle nicht Betroffenen hinter die rasch errichteten Absperrungen. Viele Menschen, die Augenzeugen der Amokfahrt wurden, telefonieren mit Freunden oder Bekannten oder der Familie und geben Details durch. Doch richtig gesehen hat niemand etwas: "Alles ist so schnell gegangen", so ein junge Grazerin, die sich gerade in einem Eissalon eine Erfrischung gönnen wollte, als sie ein "Krachen" hörte. Gerüchte schwirren herum - der Amokfahrer hat laut der Zeugin offenbar wahllos auf flanierende Menschen in der Fußgängerzone Herrengasse zugehalten und sei in Richtung Hauptplatz gerast.
Viele Menschen machten sich gegen 14.00 Uhr rasch auf den Nachhauseweg - auch, weil ein kräftiger Regenguss einsetzt. Der Jakominiplatz - sonst die Drehscheibe des innerstädtischen Verkehrs - ist wie ausgestorben. Der gesamte Tramverkehr ist unterbrochen.
Die Spitzen der Bundespolitik haben sich am Samstag entsetzt über die Amokfahrt in Graz mit drei Toten und Dutzenden Verletzten gezeigt.
"Mein Mitgefühl und meine Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Opfern und deren Familien", betonte Bundeskanzler SPÖ-Chef Werner Faymann.
Bundespräsident Heinz Fischer ist "zutiefst geschockt" über die "Wahnsinnstat", heißt es in einem Schreiben an Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. "Ich möchte Ihnen als Landeshauptmann der Steiermark meine größte Betroffenheit zum Ausdruck bringen und zugleich mein Mitgefühl mit den Opfern des unfassbaren Verbrechens", schrieb das Staatsoberhaupt Samstagnachmittag "mit stillem Gruß".
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat die Amokfahrt als "erschütternde Tat" bezeichnet. "Unser Mitgefühl gilt jetzt vor allem den Opfern und ihren Hinterbliebenen dieser unfassbaren Tat. Die Betreuung der Betroffenen und die Sicherung des Tatorts stehen jetzt an erster Stelle."
Die steirische Landtagspräsidentin Bettina Vollath (SPÖ): "Eine grausame völlig unverständliche Tat, die uns alle zutiefst schockiert zurücklässt". Es sei "ein schrecklicher Tag für die Steiermark".
Der steirische Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Schickhofer (SPÖ) sagte: "Es tut unendlich weh, für mich als Familienvater nicht zu fassen, was hier passiert ist. Es wurde alles getan, um die Verletzten sofort zu versorgen". Die Versorgungskette habe funktioniert, auch Ärzte, die als Passanten unterwegs waren, halfen sofort. Die Kriseninterventionsteams waren im Einsatz. Der Täter sei gefasst, die Hintergründe seien von der Polizei zu ermitteln, "die im Bedarfsfall auch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen hat".
Bischof Wilhelm Krautwaschl appellierte: "Stehen wir auch in diesen schweren Stunden zusammen." Krautwaschl meinte, man könne keine Worte finden für das, was in der Innenstadt von Graz passiert ist. "Unsere Gedanken und Gebete gelten jenen, die von diesem Anschlag betroffen sind und jenen, die helfend vor Ort sind."
Das am Samstag angesetzt gewesene Testspiel von Sturm Graz gegen den FC Holzhacker in Ries-Kainbach ist abgesagt worden. "Die Gedanken der Schwarz-Weißen sind bei den Angehörigen der Opfer und bei den Menschen, die ihnen nahestanden", verlauteten die Grazer in einer Aussendung.
Auch bei der nur eine Autostunde entfernten Formel 1 auf dem Red Bull Ring herrschte Betroffenheit. Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko, gebürtiger Grazer, sagte: "Das wirft einen Schatten über ganz Österreich, wenn so etwas passiert, hat aber nichts mit der Formel 1 zu tun."
Christoph Ammann, Sicherheits-Chef beim Grand Prix in Spielberg, meinte: "Man glaubt eigentlich, dass sowas nur in Amerika passiert. Aber leider kann das überall passieren. Und wahrscheinlich, wenn jemand so etwas plant: Verhindern kann man es nicht. Da kann man sich auch nicht darauf vorbereiten", sagte der Steirer. "Wenn jemand so etwas hier in Spielberg bei der Zufahrt machen würde, kannst du nichts machen. Es fahren tausende Autos dort. Gott sei Dank sind solche Dinge Einzelgeschichten."
Amokfahrten mit Fußgänger forderten in den vergangenen Jahren immer wieder Verletzte und Tote, oft waren psychische Probleme Auslöser für diese Taten. Der heutige Vorfall in Graz gehört dabei zu einem der dramatischsten dieser Fälle überhaupt.
20. Juni 2015: Ein 26-jähriger Mann rast mit seinem Van in der Grazer Innenstadt offenbar wahllos auf Passanten zu und verletzt diese. Die Amokfahrt fordert mindestens drei Tote und 34 Verletzte. Der Fahrer wird festgenommen.
21. Dezember 2014: In der französischen Stadt Dijon steuert ein Mann sein Auto unter "Allahu Akbar"-Rufen in Fußgängergruppen und verletzt elf Menschen zum Teil schwer. Die Staatsanwaltschaft stellt nach der Tat fest, dass diese "kein terroristischer Akt" ist, sondern der 40 Jahre alte Mann an einer psychischen Krankheit leide.
28. Juni 2014: Ein alkoholisierter Oberösterreicher rast in Arbing (Bezirk Perg) mit seinem Auto in eine Gruppe der Feuerwehrjugend und erfasst einen 13-jährigen Burschen und verletzt diesen. Er begeht Fahrerflucht und wird festgenommen. Zwei Wochen zuvor, am 15. Juni, fährt der Mann absichtlich in eine Gruppe von Fußgängern. Ein 22-Jähriger wird frontal erfasst und ebenfalls verletzt.
20. Juli 2014: Mit Vollgas fährt ein Autofahrer nordpolnischen Küstenstadt Sopot in eine Fußgängerzone und verletzt dabei offenbar absichtlich 22 Menschen. Als er aus seinem beschädigten Fahrzeug fliehen will, wird er von den Sicherheitskräften eines Clubs überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten
19. Oktober 2012: In der walisischen Hauptstadt Cardiff fährt ein 31-Jähriger mit einem Kleinbus an fünf verschiedenen Orten wahllos und absichtlich Passanten auf dem Gehsteig an und begeht anschließend Fahrerflucht. 13 Personen werden verletzt, eine 32-jährige Frau stirbt. Der Mann soll Fußgänger zudem mit einer Waffe bedroht haben. Er wird ausgeforscht und festgenommen.
29. August 2006: Ein Amokfahrer tötet in San Francisco in den USA mit seinem Auto einen Fußgänger und verletzt 14 weitere Menschen. "Scheinbar wahllos" rast der Täter dabei mit seinem Wagen durch die Stadt und fährt Passanten an. Nach 20 Minuten wird der 29-Jährige verhaftet.