Chronik/Österreich

Flüchtlingskrise: Die Schande von Spielfeld

Es hat knapp über ein Grad Celsius. An die 2000 Menschen schlafen in dieser Nacht auf österreichischem Boden, im schlimmsten Wortsinne. Ein karges Stück bitterkalter Beton ist ihr Bett für die Nacht. Familien verbrennen Decken, persönliche Gegenstände und Jacken, um es ein wenig warm zu haben. Seit Stunden haben sie nichts mehr gegessen. Als die Sonne in der Früh herauskommt, setzen sie sich in Bewegung. Nur weg von da. Soldaten des österreichischen Bundesheeres leiten die Schar auf die nebeligen Gleisanlagen. Andere schreien die Menschen 500 Meter weiter aus einem gepanzerten Fahrzeug auf Arabisch nieder, dass sie ja weg von den Schienen gehen sollen.

Erinnerungen an Syrien geweckt

"Genauso war es mit den Panzern in Syrien", sagt Hussam. "Nicht gut, gar nicht gut", hat er ein mulmiges Gefühl. Er ist mit seinem Bruder geflüchtet. Sein Vater wurde von Assads Schergen aufgehängt, diese schossen auch ihm mit Kalaschnikows in Bein und Schulter. Für ihn ist das ein Déjà-vu-Erlebnis.

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Während sich das Bundesheer am Heldenplatz feiern lässt, kollabiert das System an der Südgrenze. Die Zuständen sind hier mittlerweile wie in Ungarn. Gegen elf Uhr in der Früh schaffen es die Verantwortlichen erstmals, einen Bus mit Flüchtlingen zu füllen und abzufertigen. Zu diesem Zeitpunkt sind von 800 Taxis vom Morgen nur mehr 100 übrig. Hunderte Flüchtlinge haben Wucherpreise bis 800 Euro gezahlt. Es ist das einzige Transportmittel. Kaum zu glauben: Mitarbeiter der steirischen Wirtschaftskammer versuchen die Polizei zu überreden, allen nicht steirischen Taxis die Zufahrt zu verbieten. Das dubiose Geschäft darf niemand anderes machen. Besser Menschen schlafen auf dem kalten Boden als in einem der 400 Wiener Taxis weggebracht zu werden.

Kaum Busse

Es gab am Samstag zwei Sonderzüge (ab Graz), ein dritter war für Abend geplant. Ganze acht Busse sieht man bis Mittag an der Grenze. Sie können etwa 400 Menschen abtransportieren. Bei 7000 die alle 24 Stunden ankommen, muss man kein Mathematiker sein, um sehen, dass sich das niemals ausgehen kann. Die Quartiere sind ohnehin randvoll. Behörden behaupten am Nachmittag, 40 Busse seien eingesetzt.

Tausende sind bereits auf eigene Faust in Österreich unterwegs. Auch in Salzburg oder Kärnten. Manche schlagen sich zu Fuß durch, der Bahnhof in Leibnitz ist etwa eine Anlaufstation. Die meisten der eingesetzten Polizisten und Soldaten geben ihr Bestes, aber jammern selbst über fehlende Führung. Das Bundesheer will nun auf 800 Soldaten in der Steiermark aufstocken.

Im Lager in Spielfeld ist die Lage längst außer Kontrolle. Wer kommt, wer geht, weiß niemand mehr. Essen gibt es zwar, aber für die Busse muss man sich hier in einem abgetrennten Bereich anstellen. 2000 Menschen warten auf die aktuell vielleicht 400 Busplätze. Wer sich etwas Essbares holt, muss sich wieder hinten einreihen. Die meisten hungern deshalb lieber.

Keine private Hilfe

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Von Hilfsbereitschaft und goldenem Steirerherz ist in der reichen Weinregion an der slowenischen Grenze gar nichts zu spüren. "Ich bin seit gestern hier und eine einzige Privatperson ist vorbeigekommen, um Decken zu bringen", erzählt eine Caritas-Helferin kopfschüttelnd. 100 Meter vor dem Lagerausgang hat eine rechte Gruppierung in der Nacht auf Samstag Schmierereien hinterlassen – offenbar unbemerkt, obwohl rund 20 Polizeifahrzeuge danebenstehen.

Doch eines funktioniert am Samstag dann doch: Ein Fahrzeug der Straßenreinigung säubert bereits um acht Uhr das Lager von den Resten der nächtlichen Feuer. Bilder von den tristen Zuständen möchte man offenbar nicht in den Medien sehen.