Experten: So entsteht der IS-Terror
250 künftige europäische Syrienkämpfer standen vor einigen Monaten hinter der türkischen Grenze. Viele davon im Teenageralter. "Wir bilden jetzt zwei Gruppen", erklärte der Kommandant. In die eine sollten all jene gehen, die sich für einen Selbstmordanschlag zur Verfügung stellen. In die andere jene, die dafür nicht bereit waren.
60 Prozent wählten den Freitod.
Die Frage nach dem "warum?" steht nach jedem Terroranschlag auf der Tagesordnung. Egal ob in New York, Paris oder Brüssel. Experten auf den Gebieten Soziologie und Psychiatrie haben Antworten gefunden. Gabriele Wörgötter hat sechs österreichische Terroristen im Alter von 14 bis 16 Jahren untersucht. "Sie alle hatten gemeinsam: Keine Vaterfigur in der Familie, sie waren vorher ausgegrenzt in der Gruppe der Gleichaltrigen und sie hatten kein muslimisch geprägtes Leben Ihr Wissen über den Koran war schlechter als meines."
Terroristen nicht krank
"Es gibt keine Krankheit, die zu Terror führt. Die meisten Terroristen sind gesund", Johannes Wancata von der Wiener MedUni. Warum so viele junge Menschen dafür bereit sind, erklärt er so: "In diesem Alter ist die Risikobereitschaft am größten." Die einen wollen die Streif hinunterfahren und andere sich dem Terror anschließen.
Für die bekannte Psychiaterin Adelheid Kastner wird in dieser heiklen Phase nach einer Idee gesucht. "Die kann mehr oder weniger beliebig sein", sagt sie. Diese Jugendlichen könnten Rechtsradikalen genauso wie Hooligans oder Islamisten in die Hände laufen. Manche schwanken sogar zwischen den beiden Gruppen.
Kastner sieht bei den Terroristen vier verschiedene Gruppen vertreten. Die erste sind die Gewaltbereiten, die etwas erleben wollen. Dazu kämen die Mitläufer, die sich in Gruppen am wohlsten fühlen. Sie sind meist nicht eigenständig und nicht erwachsen. Dann kommen diejenigen, die eine Idee transportieren wollen. Und die vierte Gruppe sind in einem Wahn, der tatsächlich eine Krankheit sein kann. Sie glauben meist, ihre Meinung sei tatsächlich die Mehrheitsmeinung. Dazu gehören etwas Anders Breivik in Norwegen oder der steirische Briefbomber Franz Fuchs.
Präsidentschaftswahl
Hört man den Experten zu, dann sollte man meinen, dass der Islamische Staat seine Ziele erreicht hat: "Die Bevölkerung soll den Eindruck bekommen, dass die Regierung sie nicht schützen kann. Denn wenn sie das nicht kann, wehrt sich das Volk", sagt Wancata. "Es ist nicht auszuschließen, dass auch die Präsidentschaftswahl damit zu tun hat. Wenn sich eine Gesellschaft spaltet, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht. Wenn Gesellschaften beschäftigt sind, ihre internen Konflikte zu lösen, können sie sich schlechter wehren gegen Einflüsse von außen."
Dass die Radikalen stärker werden, kann man in Österreich derzeit miterleben. Vor allem Flüchtlinge werden zum Sündenbock gestempelt. "Die Mehrheit wird radikalisiert und dadurch werden Minderheiten radikaler", erklärt Kastner. Die Saat des Terrors geht derzeit offenbar auf. Wenn weitere Gruppen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, können Terroristen dort mit neuen Angeboten wieder weitere Mitglieder anwerben. Wörgötter: "Die Angebote der Terroristen sind immer gleich: Eigene Wahrheiten, Abenteuer, Gemeinschaftsgefühl und Feindbilder."
Psychiater Thomas Stompe sieht vor allem die Medien gefordert, um diesen Teufelskreis zu stoppen. "Terror lebt von der Resonanz. Zwischen 1970 und 1990 gab es viel mehr Anschläge in Europa und weniger Angst." Deshalb sei vor allem eines wichtig: "Ein nüchterner Ton in der Berichterstattung."