Coronavirus: Social Distancing laut Forscher ohne Langzeitfolgen
Zwar bringen die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie viele Herausforderungen mit sich, die teilweise existenzbedrohend sind: Zumindest das verordnete "Social Distancing" wird aber nach Ansicht des deutschen Soziologen Janosch Schobin "keine langfristigen Schäden" mit sich bringen, wie er im Gespräch mit der APA erklärte.
Wie lange die soziale Isolierung anhalten müsse, damit sich auch gesellschaftlich bleibende Veränderungen zeigen, hänge vor allem vom Grad der Isolation ab. Isolationshaft etwa sei eine "sehr extreme Form mit extremen Auswirkungen auf die Psyche", erklärt Schobin.
Von Kritikern wird sie deshalb auch als "Isolationsfolter" bezeichnet. Die wegen Corona ergriffenen Maßnahmen wie das vorgeschriebene Abstandhalten sind damit aber natürlich nicht vergleichbar. "Man kann noch immer rausgehen, auf Distanz bzw. virtuell kommunizieren", so Schobin, der an der Universität Kassel unter anderem zu sozialer Isolation und Freundschaftssoziologie forscht.
"Tiefsitzend und stark"
Die Phase der körperlichen Distanz sei am Anfang schwierig und führe leicht zu Missverständnissen, räumt der Experte ein. Doch dass sie nach zwei, drei Monate bereits zu nachhaltigen Veränderungen führen, halte er für unwahrscheinlich. "Ich bin mir relativ sicher, dass die Leute danach bald zum normalen Habitus zurückkehren, dafür sind unsere kulturellen Skripten viel zu tiefsitzend und stark." Doch, gibt der deutsche Wissenschafter zu bedenken, bleibe es nicht bei einer "einmaligen Ausnahme, also wenn wir etwa nächstes Jahr wieder eine Epidemie mit ähnlichen Folgen erleben", dann könne dieser Zustand "relativ schnell zum Dauerzustand, einer Dauerschutzmaßnahme" werden, betont Schobin.
Die in den meisten europäischen Ländern verordneten Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen oder -sperren seien aber "auf einen kurzen Zeitrahmen vollkommen nachvollziehbar und rational", findet der Soziologe insbesondere angesichts der Tatsache, dass es sich um eine für fast alle Staaten noch nie da gewesene Situation handelt.
Zuerst müsse also analysiert werden, welche Gefahr tatsächlich von dem neuartigen Virus Sars-CoV-2 ausgeht. Er könne deshalb den ersten Schritt "Wir schützen das nackte Leben" nachvollziehen, auch wenn die Auswirkungen für die Wirtschaft oder auch psychische Folgen für manche Individuen wohl noch lange anhalten werden. Denn: "Damit jemand unglücklich sein kann, muss er erst mal leben", begründete Schobin.
Auf schwierige Phasen einstellen
Die Corona-bedingten Maßnahmen können nach Ansicht des Forschers Menschen zunächst einsamer machen. Singles oder ältere Menschen, aber auch Personen, die in zerrütteten Beziehungen leben, seien besonders gefährdet, zu vereinsamen. Unsicherheit und Stress oder Krankheit könnten dies weiter verstärken. Vereinsamen könne man aber auch, wenn das Vertrauen in ein staatlich funktionierendes (Gesundheits-)System weg bricht, so Schobin, der diesen Aspekt aber eher in Entwicklungsländern verortet.
Die gesamtgesellschaftliche Erfahrung aufgrund der Coronavirus-Pandemie werde sehr stark von der globalen Entwicklung abhängen. "Es kann sein, dass wir lernen, uns kollektiv und funktional auf sehr schwierige Phasen einzustellen", dass wir also resilienter werden, meint Schobin. "Man glaubt immer, dass man den Menschen nicht soviel zumuten kann, aber man merkt, dass die Gesellschaft durchaus bereit ist, Opfer zu bringen, wenn's ums Ganze geht."
Positiv sei auch der bereits jetzt vielerorts gewachsene Zusammenhalt. Und durch das "Vermummen" in Form des bald verpflichtenden Mundnasenschutzes (MNS) im Supermarkt könne vielleicht die Akzeptanz für religiöses Verschleiern steigen. "Erfahrung von Differenz macht tolerant. Es ist durchaus möglich, dass wir nun lernen, dass Dinge auch anders sein können, ohne bedrohlich zu sein."