Chronik/Österreich

Behörde zog zu Unrecht Pässe ein

Der 43-jährige Fleischhauer Christian L. wollte sich ein bisschen etwas dazuverdienen. Ganz schlechte Idee: Der Wiener erwarb unter der Hand Tausende Stangen geschmuggelter Zigaretten und verkaufte sie weiter. Das (vorläufige) Ende vom Lied: Er wurde erwischt, angeklagt, verurteilt.

Es fehlt noch der Schlussakkord: Seine Reue und seine guten Vorsätze können noch so groß sein, die Behörde traut Christian L. nicht mehr über den Weg. Im Sommer 2010 verweigerte ihm das Passamt die Verlängerung des abgelaufenen Reisepasses, der bereits gebuchte Urlaub in der Türkei musste storniert werden. Und weil man innerhalb der EU auch mit einem abgelaufenen Pass reisen kann, wurde L.s alter Pass auch noch eingezogen.

"Sogar meinen Personalausweis musste ich abgeben", erzählt Christian L. dem KURIER.

Die Begründung lautete lapidar: An Hand der von L. in der Vergangenheit gesetzten Taten ergebe sich seine mangelnde Bereitschaft, die Rechtsordnung zu akzeptieren. Es sei zu erwarten, L. "wolle den Pass dazu benützen, um gerichtlich strafbare Zollzuwiderhandlungen zu begehen. Ein Reisedokument würde einen weiteren Handel mit geschmuggelten Zigaretten jedenfalls erleichtern".

Solche und ähnliche globale Bescheide, mit denen Verurteilten (überwiegend in Zoll- und Suchtgiftverfahren) nach Verbüßung ihrer Strafe der Reisepass abgenommen wurde, gibt es in Hülle und Fülle. Im Einzelfall wurde nicht geprüft, ob der Betreffende alles daran setzt, sich künftig gesetzestreu zu verhalten. Und auch nicht, ob er den Pass vielleicht beruflich (etwa als Kraftfahrer) oder privat (Familienmitglieder im Ausland) benötigt.

Eindeutiges Urteil

Nach einem grundlegenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) räumt der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) nun damit auf. Der EuGH hat entschieden, dass das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit zwar nicht uneingeschränkt besteht, für eine Beschränkung jedoch eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen muss".

Strafrechtliche Verurteilungen allein können eine Maßnahme zur Verhinderung der Reisefreiheit demnach nicht begründen.

Der Wiener Rechtsanwalt Franz Juraczka, der Mandanten in mehreren solchen Fälle vertritt, sagt: "Die Urteile aus den Straf- oder Finanzstrafverfahren wurden an die Passbehörde weitergeleitet, diese sah eine Gefahr bei Verwendung des Reisepasses und entzog ihn. Man ist da bisher einfach darüber gefahren, ohne das persönliche Verhalten oder eine konkrete Gefahr zu prüfen."

Der VwGH hat bereits in rund 60 Fällen Bescheide, mit denen Reisepässe eingezogen worden waren, aufgehoben. Die belangte Behörde habe sich "damit begnügt", die Rückfallsgefahr einfach nur zu vermuten. Das Höchstgericht rügt auch, dass sich die Behörde nicht um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gekümmert hat. Während es bei Christian L. nur um die Reisefreiheit zu Urlaubszwecken ging, trifft die Passentziehung zum Beispiel einen Vorarlberger ganz persönlich. Seine Lebensgefährtin und sein Sohn leben in Ungarn, ohne Dokumente verliert er den Kontakt zu ihnen. Nun darf er auf ein baldiges Wiedersehen hoffen.