Aufdecker Clohessy: "Nichts kann den Horror auslöschen"
Er saß bei US-Talkstar Oprah Winfrey auf der Couch, war bei Good Morning America zu Gast und auch The New York Times Magazine widmete ihm eine ausführliche Reportage. Der Mann, dem in den vergangenen Jahren in den Vereinigten Staaten so viel mediale Aufmerksamkeit zu Teil wurde, heißt David Clohessy, Sprecher der NGO SNAP (siehe Info), die sich den Kampf für Betroffene sexueller Gewalt in der Kirche auf ihre Fahnen geheftet hat. Er ist der Star unter den Aufdeckern sexuellen Missbrauchs in den USA.
Ein Star ohne Allüren allerdings. Clohessy, 56, kämpft seit Jahren gegen Missbrauch von Kindern durch katholische Geistliche an. Er selbst wurde als Jugendlicher von einem Priester sexuell missbraucht. Sein Bruder soll als Pfarrer ebenfalls Kindern zu nahe gekommen sein. „Clohessys ruhige Art macht ihn zu einem der glaubwürdigsten Sprecher für Opfer von sexuellem Missbrauch“, urteilte das Drury University Magazine über ihn.
Freitagnacht war Clohessy in der KURIER-Redaktion zu Gast. Er sprach über seinen Leidensweg, seine Versuche, das Vertuschungs- und Verdrängungssystem zu durchbrechen – und über die Situation in Österreich.
KURIER: Sie sind selbst als Kind von einem Priester missbraucht worden.
Wieso arbeiten Sie für SNAP?
Es ist ein große Ehre und ein Privileg, ein Teil von SNAP zu sein und so viele Überlebende des Missbrauchs aus aller Welt zu treffen. Für mich sind es drei einfache Gründe, warum ich mitmache: Es hilft mir, den Schmerz zu lindern – ich profitierte von SNAP vielleicht mehr als andere. Zweitens tue ich es, um anderen zu helfen, die noch leiden. Und drittens, um Kinder zu schützen. Ich habe selbst zwei Buben. Nichts kann den Horror auslöschen, den wir als Kinder durchmachten. Aber wir können heutzutage unsere Kinder davor bewahren.
Hat sich in den 25 Jahren, die Sie für die Organisation tätig sind, etwas verändert?
Auch wenn es schwierig zu glauben ist: In der Kirchen-Hierarchie hat sich wenig verändert. Aber sehr verändert hat sich, dass die Bischöfe viel klüger und gewitzter geworden sind, um den Missbrauch zu vertuschen.
Wie meinen Sie das?
Vor zwanzig Jahren war es für sie noch leichter: Die Opfer hatten Angst und waren voller Scham, die Polizei eingeschüchtert, die Eltern waren naiv. Jetzt haben die Opfer manchmal mehr Courage. Manchmal agieren heute auch Gesetzgeber, Regierung und Journalisten. Es hat in den letzten 25 Jahren viel Fortschritt gegeben, aber nicht wegen, sondern trotz der Bischöfe.
Ist der sexuelle Missbrauch von Kindern zurückgegangen?
Das wissen wir nicht. Weil Opfer meist Jahrzehnte brauchen, bis sie fähig sind, über das Erlebte zu sprechen. Wie oft hört man von einem sechsjährigen Mädchen, das zur Polizei geht und erzählt, dass es missbraucht wurde? Das passiert so gut wie nie. Wir hören zwar aus der Kirche, dass es besser wird, aber wir können es nicht überprüfen.
Wurden Priester in den Staaten wegen Missbrauchs verurteilt?
Wir sprechen in den USA von 300 bis 500 Priestern, die überführt wurden. Man muss von einer wesentlich höheren Zahl ausgehen.
Wie viele Opfer gibt es?
Zwei Kirchenexperten sagten im Vorjahr, dass es in den USA 100.000 Opfer von pädophilen Priestern gibt. Wenn das Kirchenexperten sagen, muss man davon ausgehen, dass die Zahl viel, viel höher ist. Die meisten Opfer wurden von der Kirche kaum oder gar nicht entschädigt. Wenn es zu Prozessen kommt, gibt es meist außergerichtliche Vergleiche. Und die Kirche kämpft sehr hart vor Gericht, um die Fälle zu bekämpfen. Die Kirchenoberen haben Angst, dass sie ihre Schuld vor einem öffentlichen Gericht bezeugen müssen. Bevor es zu einem Urteil kommt, bieten sie einen Vergleich an. Niemand wird schuldig gesprochen.
Es werden Zahlen von 300 Millionen bis einer Milliarde Euro kolportiert, die in Vergleiche investiert wurden.
Das ist richtig. Die Kirche sagt, dass sie gut und großzügig ist. Ihr Ziel ist es, sich selbst und ihre Reputation zu schützen. Es macht ihr nichts, das Geld zu zahlen.
In Österreich gibt es ähnlich gelagerte Fälle von Kindesmissbrauch in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen.
Was ich darüber weiß, ist nicht viel, aber herzzerreißend, weil es um Kinder ging, die nicht entkommen konnten. Ich lebte bei meinen Eltern und war nicht 24 Stunden meinem Peiniger ausgeliefert. In den Heimen gab es kein Entrinnen. Die Kinder waren von ihren Eltern getrennt. Einige von den österreichischen Opfern wurden entschädigt. Mit dem absoluten Minimum. Es geht aber nicht nur ums Geld. Wie sieht es mit medizinischer Versorgung, psychologischer Betreuung aus? Und wichtig ist: Opfer heilen schneller, wenn die volle Wahrheit ans Tageslicht kommt. Und in Österreich ist erst eine kleiner Teil der Wahrheit erzählt.
Zur Person
Die Organisation SNAP (Survivors Network of those abused by Priests – Netzwerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester) wurde 1989 in den USA gegründet, um den Opfern von sexuellem Missbrauch in der Kirche zu helfen. Mittlerweile sind weltweit mehr als 13.000 Mitglieder gemeldet.
Die Teilorganisation hierzulande wird im Osten Österreichs von Missbrauchsopfer David d’Bonnabele betreut. In Westösterreich engagiert sich Erwin Aschenwald.
Der US-Missbrauchsaufdecker David Clohessy und Betroffene von sexuellem Missbrauch in Österreich standen Samstagvormittag der Presse Rede und Antwort. Das Problem: Außer dem KURIER fand es kein Printmedium wert, die Pressekonferenz zu besuchen. Dafür waren viele Missbrauchsopfer in dem Hotel am Wiener Ring zugegen, um über ihr Schicksal zu berichten.
Etwa Helmut Oberhauser, der im Kinderheim Wilhelminenberg Zeuge von Vergewaltigungen wurde, oder Klaus Oberndorfer, selbst Opfer sexuellen Missbrauchs durch Kleriker.
Unter anderem meldete sich auch Josef Hartmann zu Wort. Er hatte 1995 den Missbrauchsskandal um Kardinal Hans Hermann Groer aufgedeckt, der Schüler im katholischen Internat in Hollabrunn missbraucht haben soll. Groer, mittlerweile verstorben, stand dafür nie vor Gericht.
Jetzt kämpft Hartmann gegen die Seligsprechung Groers. „Wir müssen das verhindern“, sagt Hartmann. Gläubige bekunden, dass der Tote Wunder bewirke.
Clohessy verließ das Podium und umarmte Hartmann. „Du bist ein Held.“ Außerdem gab der US-Aufdecker bekannt, dass er vor der UNO in Genf vorgesprochen hat. Er fordert, dass sich die katholische Kirche wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor der Weltorganisation verantwortet.
Der offizielle Name der sogenannten Klasnic-Kommission, die Missbrauchsopfer der katholischen Kirche entschädigt, ist „Opferschutz-Anwaltschaft“.
Das Wort „Anwaltschaft“ stößt dem Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Renzl sauer auf. Er klagte die Opferschutz-Anwaltschaft vor dem Handelsgericht Wien. Sein Antrag auf eine einstweilige Verfügung wurde jedoch abgelehnt. Er beruft.
„Nicht unabhängig“
Renzl: „Die Opferschutz-Anwaltschaft hat mit einem Anwalt nichts zu tun. Sie ist nur dazu da, berechtigte Ansprüche von Opfern sexuellen Missbrauchs in der Kirche abzuwiegeln.“ Der Jurist befindet, dass die Klasnic-Kommission weder unabhängig noch eine Anwaltschaft sei.
Herwig Hösele, Sprecher der Opferschutz-Anwaltschaft, sieht das gelassen: „Der Antrag auf einstweilige Verfügung ist abgelehnt worden.“ Das Wort Anwalt sei im Gegensatz zu Rechtsanwalt kein geschützter Begriff. „Niemand behauptet, dass wir Rechtsanwälte sind. Wir sind eine Ombudsstelle.“ Außerdem sei die Kommission unabhängig. Die ehemalige steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic habe aus freien Stücken gehandelt und sei nicht von einem kirchlichen Würdenträger in ihr „Amt“ eingesetzt worden.
Anwalt Renzl lässt die Argumentation nicht gelten. Es sei Sache der staatlichen Gerichte, über Verbrechen zu urteilen, nicht Sache einer von der katholischen Kirche initiierten Kommission. „Man muss sich das so vorstellen. Da wird einer von Priestern missbraucht und muss nun zu einer Vorfeldorganisation der Kirche gehen, um dort entschädigt zu werden. Das Opfer muss zum Täter gehen.“
1324 Meldungen
Bisher haben sich 1324 mutmaßliche Opfer von klerikaler Gewalt an die Kommission gewendet. Laut Hösele wurden davon mittlerweile 1150 Fälle „erledigt“. „Rund 85 Prozent der gemeldeten Vorfälle betrafen einen Zeitraum vor 1980.“