Anschlag in Wien: Terror-Prozess beginnt am 18. Oktober
Am 18. Oktober beginnt am Landesgericht für Strafsachen ein Schwurprozess im Zusammenhang mit dem Terror-Anschlag in Wien vom 2. November 2020, bei dem der Attentäter vier Passanten getötet und 23 Menschen teilweise schwer verletzt hat, ehe er von der Polizei erschossen wurde. Angeklagt sind sechs Männer im Alter zwischen 22 und 32 Jahren, die laut Staatsanwaltschaft nicht direkt am Attentat beteiligt waren. Sie sollen dem Attentäter im Vorfeld aber tatkräftig geholfen haben.
Die Hauptverhandlung wird sich über mehrere Monate erstrecken. Wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn am Montag mitteilte, wird nach dem ersten Termin am 18. Oktober erst Anfang Dezember weiter verhandelt. Insgesamt sind vorerst 17 Verhandlungstage vorgesehen, Urteile wird es frühestens im Februar 2023 geben.
U-Haft ist zeitlich befristet
Mit dem Verhandlungsauftakt Mitte Oktober ist gewährleistet, dass jene zwei Angeklagten, die sich seit 6. November 2020 in U-Haft befinden, nicht vor dem Prozess auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Denn die U-Haft ist vom Gesetz zeitlich befristet. Selbst bei einem Verbrechen, das - wie im vorliegenden Fall - mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, darf sie höchstens zwei Jahre dauern. Wenn bis zum Ablauf dieser Frist nicht mit der Hauptverhandlung begonnen hätte werden können, wären diese zwei Männer daher zwingend auf freien Fuß zu setzen gewesen. Zwei weitere Angeklagte sitzen seit 21. Dezember 2020 in U-Haft, der fünfte Angeklagte seit 12. April 2021. Der Sechstangeklagte ist auf freiem Fuß.
Den Angeklagten werden im Wesentlichen die Verbrechen der Beteiligung an terroristischen Straftaten (§ 278c Absatz 2 StGB ) in Verbindung mit Mord, terroristische Vereinigung (§ 278b Absatz 2 StGB) und kriminelle Organisation (§ 278a StGB) vorgeworfen. Mit ihrer Hilfe soll der Attentäter an seine Waffen und die Munition gelangt und in seinen terroristischen Absichten bestärkt worden sein. Einige von ihnen sollen ihm bei der Tatvorbereitung geholfen haben. Der Älteste unter den Angeklagten - ein 32-Jähriger tschetschenischer Abstammung - soll über einen Mittelsmann aus Slowenien ein vollautomatisches Sturmgewehr der Marke Zastava, Modell 70AB2 samt passender Munition besorgt und dieses am 23. Juni 2020 dem Attentäter übergeben haben. Über denselben Mittelsmann soll dieser drei Monate später vom 32-Jährigen eine Pistole der Marke Tokarew samt Munition erhalten haben.
An radikaler Gesinnung festgehalten
Im April 2019 war der Attentäter bereits gemeinsam mit einem nunmehr ebenfalls wieder angeklagten 24-Jährigen vom Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt worden. Die beiden hatten Propagandamaterial der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) verbreitet, deren Methoden und Zielsetzungen gerechtfertigt und vor allem versucht, nach Syrien zu gelangen, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen. Im Dezember 2019 wurden beide Männer unter Anrechnung der U-Haft aus dem Gefängnis entlassen. Trotz ihrer Vorverurteilung und ihrer fortlaufenden Betreuung durch den Verein Derad hielten sie an ihrer radikalen Gesinnung und ihrem fundamentalistischen Gedankengut fest und waren laut Anklage "weiterhin treue Anhänger des IS".
Über soziale Medien und in Form persönlicher Treffen hielten sie "regen Kontakt zu anderen Personen aus der radikal-islamistischen Szene", hält die Staatsanwaltschaft in ihrer 117 Seiten starken, mittlerweile rechtskräftigen Anklageschrift fest, die der APA vorliegt. Derzufolge soll sich der Attentäter noch in Strafhaft mit Plänen zu einem Terror-Anschlag beschäftigt haben. In der Anklage ist von "Überlegungen" die Rede, "nach seiner Entlassung einen terroristischen Anschlag unter Verwendung von Schusswaffen in der Wiener Innenstadt zu verüben".
Bereits in Haft über Anschlag nachgedacht
Laut Anklage erkundigte sich der spätere Attentäter bei einem Mithäftling, wie man in Österreich an Waffen gelangen könne, da er nach seiner Enthaftung einen Anschlag am Stephansplatz verüben wolle. Der Attentäter habe aus seinen terroristischen Absichten "in der Haft kein Geheimnis" gemacht, betont die Staatsanwaltschaft. Nachdem er auf freien Fuß kam, habe er sich ab April 2020 "immer intensiver" damit beschäftigt - vorerst ohne dass die Verfassungsschützer Wind davon bekamen.
Auf der Suche nach Waffen kontaktierte der Attentäter einen Kindheitsfreund, der zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß und sich mittels eines illegalen Mobiltelefons nach Waffenhändlern umhörte. So kam der 32-jährige Tschetschene ins Spiel. Der Kindheitsfreund, der nun ebenfalls zur Anklage gebracht wurde, soll Gespräche über den Kaufpreis für ein Sturmgewehr sogar bei einem persönlichen Treffen in der Justizanstalt geführt haben.
Einem weiteren Angeklagten - ein 23 Jahre alter Mann, der sich als Einziger der sechs nicht in Haft befindet - wirft die Staatsanwaltschaft vor, den Attentäter im Juli 2020 in die Slowakei begleitet zu haben, wo die beiden Munition kaufen wollten. Das Vorhaben scheiterte.
28-Jähriger soll Pläne unterstützt haben
In weiterer Folge intensivierte sich die Beziehung des Attentäters zu einem 28-Jährigen gebürtigen Afghanen, dem die Anklagebehörde eine besonders tatkräftige Unterstützung bei dessen mörderischen Plänen zuschreibt. Der Afghane soll sogar seinen Wohnsitz in die Wohnung des Attentäters verlegt haben, "um diesen bei der Vorbereitung und der Planung des Anschlags zu unterstützen", wird in der Anklageschrift ausgeführt. Die beiden hätten "fortan gemeinsam eingehend an der Umsetzung des terroristischen Anschlags" gearbeitet.
Aus der Anklage lässt sich rekonstruieren, wie der Attentäter den Ermittlungsergebnissen zufolge die Stunden vor dem Anschlag verbrachte. Am 1. November 2020 suchte er demnach seine Wohnung auf, die er bis zum Anschlag nicht mehr verließ. Am Nachmittag des 1. November stießen der 32 Jahre alte Tschetschene und der 24 Jahre alte Afghane zu ihm, wobei sie "bei den letzten Vorbereitungen zum Anschlag, insbesondere bei der Aufbereitung und Munitionierung der Tatwaffen sowie (...) bei der Herstellung der beim Anschlag getragenen Sprengstoffgürtelattrappe" geholfen haben sollen.
Unterstützung bei "letzten Vorbereitungen"
Am 2. November setzte der Attentäter am frühen Morgen sein Handy auf Werkseinstellungen zurück und postete auf Instagram einen Abschiedsbrief. Im Verlauf des Tages langten dann auch noch sein einstiger Reisebegleiter Richtung Syrien, mit dem er gemeinsam verurteilt worden war, und ein 22-jähriger IS-Sympathisant in der Wohnung ein. Der Anklage zufolge unterstützten die zwei den Attentäter "bei den letzten Vorbereitungen des unmittelbar bevorstehenden Anschlags, insbesondere bei der Auswahl eines potenziellen Anschlagsziels". Diese beiden Männer sahen laut Anklage sogar zu, wie sich der Attentäter bewaffnete, eine gemeinsam mit dem Afghanen gebastelte Sprengstoffgürtelattrappe überstreifte, eine Machete an sich nahm und von 15.08 Uhr bis 16.25 Uhr eine Bekennerbotschaft und den Treueeid auf den IS aufnahm und danach ins Internet stellte. Um 17.44 Uhr stellte der Attentäter auf seinem Instagram-Account dann folgenden Text online: "Bald - so Gott will - werden wir es (das Kalifat, Anm.) zurückbringen wie es ursprünglich war #Islamischer Staat #Kalifat Islamischer Staat #Dubai #Libanon #Saudi-Arabien #Syrien #Frankreich #Griechenland #Deutschland #Türkei #Amerika".
Das Bekennervideo wurde bereits am 3. November auf IS-nahen Social-Media-Kanälen unter der Überschrift "Tötung und Verletzung von 30 Kreuzrittern durch einen Soldaten des Kalifats in der Stadt Wien in Österreich" veröffentlicht. Für die Staatsanwaltschaft Wien ist "zweifelsfrei belegt (...), dass der Attentäter im Vorfeld tatkräftig durch die Angeklagten in der ideologischen und logistischen Vorbereitung des Anschlags unterstützt wurde". Die Anklagebehörde geht weiters davon aus, dass der Anschlag in Verbindung zur neuerlichen Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen anlässlich des Beginns des Gerichtsverfahrens zum Terror-Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Herbst 2020 und kurz danach im Namen des IS durchgeführten Attentaten in Nizza und in einem Pariser Vorort stand. Denn ursprünglich hatte der Attentäter offenbar geplant, ein französisches Lokal in der Innenstadt unter Beschuss zu nehmen. Das hatte an jenem Abend allerdings geschlossen.
Mehrere DNA-Gutachten
Belastet werden die Angeklagten vor allem von den Ergebnissen mehrerer DNA-Gutachten. Genetische Merkmale des Tschetschenen fanden sich auf der beim Anschlag verwendeten Pistole und am Tatort sichergestellten Patronen. Spuren des Afghanen fanden sich unter anderem an einem Klebebandstück der Maschinenpistole, an der MP-Schulterstütze, Patronen und der Machete. In einem Ergänzungsgutachten schloss die DNA-Sachverständige dezidiert aus, dass es sich dabei um indirekte Spurenübertragung gehandelt haben könnte. Vielmehr seien es "direkte Kontaktspuren".
Verhandelt wird im Großen Schwurgerichtssaal. Es ist davon auszugehen, dass es besonders strenge Sicherheitsvorkehrungen geben wird.