Chronik/Österreich

Aliyev: Mordgeständnis ist eine Fälschung

Der Fall Rakhat Aliyev wird immer dubioser. Der Ex-Botschafter Kasachstans stellte sich am 6. Juni der österreichischen Justiz und sitzt seitdem wegen zweifachen Mordverdachts und Geldwäsche-Vorwürfen in Wien in U-Haft. Der Grund für die U-Haft, die im Juni sichergestellten Beweise, dürften im großen Stil gefälscht worden sein. Das berichtet die Krone. Ein Gutachten besagt, dass das bei einer Hausdurchsuchung gefundene Mordgeständnis gefälscht worden ist.

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, bestätigte am Freitag, dass es sich beim Mordgeständnis um eine Fälschung handelt. Ein grafologisches Gutachten kam zum Schluss, dass es sich nicht um die Handschrift Aliyevs handeln dürfte. Dessen ungeachtet hält die Staatsanwaltschaft ihren Haftantrag - die über Aliyev verhängte U-Haft wurde zuletzt bis zum 20. Juli verlängert - aufrecht. "Der dringende Tatverdacht gründet sich auf weitere Beweisergebnisse", betonte Bussek.

Seit Jahren beschäftigt Aliyev die Justiz. Als kaltblütigen Mörder, der zwei Banker auf seinem Gewissen hat, bezichtigt ihn das Regime in seiner Heimat, dessen langer Arm bis nach Wien reicht. Als erfundene Vorwürfe im Rahmen eines Rachefeldzuges stellt Aliyev die Angelegenheit dar.

Österreich lieferte ihn zwar nicht aus, leitete aber vor drei Jahren eigene Ermittlungen ein. Anfang Juni wurde mit der Begründung, es hätten sich "Beweise verdichtet", ein internationaler Haftbefehl erlassen. Der Ex-Botschafter stellte sich am Flughafen Wien-Schwechat den Behörden. Man wolle "voll kooperieren", erklärte tags darauf sein Anwalt Manfred Ainedter.

Das von der kasachischen Justiz gelieferten Material und die kurz darauf in Österreich gesicherten Beweise passten zusammen wie die berüchtigte Faust aufs Auge: Die Kasachen übermitteln der Wiener Staatsanwaltschaft zwei Protokolle von Skype-Telefonaten. Geführt wurden sie angeblich 2011. Zu hören war der ehemalige kasachische Geheimdienstchef Alnur M., ein enger Vertrauter Aliyevs. Auffällig freimütig plauderte M. darin unter anderem darüber, dass er ein schriftliches Geständnis Aliyevs in Händen halte.

Hausdurchsuchung

Die Staatsanwaltschaft Wien reagierte rasch: M. und ein weiterer Kasache wurden ebenfalls Anfang Juni festgenommen. In M.’s Wohnsitz fand eine Hausdurchsuchung statt. Was fanden die österreichischen Ermittler? Just jenes schriftliche Geständnis, über das M. im Jahr 2011 via Skype so freizügig geplaudert hatte. Konkret handelt es sich um die Kopie eines Briefs Aliyevs an seinen Ex-Schwiegervater, den kasachischen Herrscher Nursultan Nasarbajew, in dem er mutmaßlich die Mordtaten genau beschrieb und sich dafür entschuldigte. Ein grafologisches Gutachten zeigt nun, dass es sich dabei allerdings um eine plumpe Fälschung handelt. Dahinter soll die Lebensgefährtin M.’s stecken. Das soll sie in einer Aussage angegeben haben. Welches Motiv sie dafür hatte, liegt allerdings im Dunkeln.

Aliyevs Verteidiger hatten bereits Anfang Juni skeptisch angemerkt, dass es sich dabei um eine Fälschung handeln könnte. Sie zweifeln auch an der Echtheit der Skype-Telefonate.

Ein Mann, der schon einmal eine belastende Aussage gegen Rakhat Aliyev widerrufen hatte, ist nun der Schlüssel der Staatsanwaltschaft Wien für einen Haftbefehl wegen Mordverdachts gegen den kasachischen Ex-Botschafter.

Aliyev wird von der kasachischen Justiz vorgeworfen, er hätte in der Hauptstadt Astana zwei Bankmanager ermordet und in Beirut eine schwangere Freundin ermorden lassen. Nachdem der mittlerweile in Ungnade gefallene Ex-Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajev in seiner Heimat kein faires Verfahren erwarten kann, wird er nicht ausgeliefert. Die Staatsanwaltschaft Wien muss das Verfahren führen. Die Staatsanwälte haben in den letzten drei Jahren fast 100 Zeugen per Skype vernommen.

Ein "dringender Tatverdacht", der für eine Verhaftung vorliegen muss, konnte bisher nicht herausgearbeitet werden. Zu unklar sind die Hintergründe der Zeugen. Bei einigen handelt es sich um ehemalige Aliyev-Mitarbeiter, die aus kasachischen Arrestzellen vorgeführt wurden. Sie könnten zu Gefälligkeitsaussagen vom kasachischen Geheimdienst KNB genötigt worden sein.

Tatverdacht

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Wien nach der Auswertung eines Skype-Telefonats des ehemaligen KNB-Geheimdienstchef Alnur Mussayev einen "dringenden Tatverdacht" gefunden. Auch Mussayev lebt jetzt in Wien. Er soll einem Gesprächspartner geschildert haben, dass er den Aufenthaltsort der Leichen der Bankmanager kenne und über ein Geständnis von Aliyev verfüge.

Hier haken die Aliyev-Verteidiger Manfred Ainedter und Otto Dietrich ein. Mussajew hatte im August 2009 der Krone ein Interview mit schwer belastenden Aussagen gegen Aliyev gegeben. Bei einer späteren Vernehmung vor dem Verfassungsschutz widerrief er aber diese Behauptungen, und erklärte, dass er vom kasachischen KNB zu diesen Aussagen gezwungen worden sei. Demnach habe ihm ein KNB-Offizier befohlen, er sollte seinen ehemaligen Weggefährten Aliyev in der Kanzlei des Wiener Anwaltes Gabriel Lansky mit Falschaussagen belasten, andernfalls würde es seiner Familie in der Heimat schlecht gehen.

Seitdem laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien gegen Lansky wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit zugunsten des KNB und wegen Nötigung des Mussajev. Lansky bestreitet die Vorwürfe aufs Heftigste.

Warum nun ein sieben Jahre altes Skype-Telefonat von dem selben Mann plötzlich als glaubwürdig erachtet wird, ist den Aliyev-Anwälten unklar. Klar ist aber: Die unendliche Geschichte mit Nötigung und Entführungsversuchen geht im Falle einer Anklage dem Ende zu – egal, wie das Urteil ausfällt. Im Außenministerium betrachtet man die Entwicklung mit Wohlwollen. Wie Depeschen der österreichischen Botschaft in Astana zu entnehmen ist, belastet die Affäre die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Kasachstan enorm.

Das könnte aber auch weiter der Fall sein: Denn Aliyev hat nach der Verhaftung um politisches Asyl angesucht. Ein Schritt, den das Innenministerium vor Jahren vermeiden wollte, indem ihm ein Fremdenpass mit voller Reisefreiheit ausgestellt wurde.