Chronik/Oberösterreich

"Stelzer und Strugl werden aufgerieben"

Die Cross-Industries-Gruppe von Stefan Pierer wird heuer rund 1,3 Milliarden Umsatz und ein Ergebnis zwischen 115 und 120 Millionen Euro machen. Sie beschäftigt rund 5000 Mitarbeiter. In den vergangenen fünf Jahren wurden in Österreich 2000 Mitarbeiter eingestellt.

KURIER: Warum läuft es so gut?

Stefan Pierer: Bei KTM gibt es drei Gründe: Die weltweit bekannte starke Marke. Wir haben gute Produkte mit einer hohe Innovationsrate und wir sind global aufgestellt. Wir machen mehr als 50 Prozent unseres Umsatzes außerhalb von Europa. Wir produzieren zwei Drittel in Österreich, das sind heuer 130.000 Stück, und 70.000 in Indien. Das sind in Summe 200.000 Motorräder.

Österreich ist im internationalen Maßstab ein teurer Standort.

Unser Produkt hat einen sehr hohen technologischen Anspruch. Der Personalkostenanteil bezogen auf die Betriebsleistung beträgt zehn bis elf Prozent. Ich muss dorthin gehen, wo ich die besten Mitarbeiter finde. Wir haben in Österreich ausgezeichnete Mitarbeiter, das ist auch der Grund, warum es in Österreich so viele Nischenweltmeister und gute Unternehmen gibt.

40 bis 45 Prozent sind Facharbeiter, die eine duale Ausbildung (Lehre) abgeschlossen haben. Wir sind ein junges Unternehmen, unser Durchschnittsalter ist 36 Jahre. 20 bis 24 Prozent haben eine HTL, HAK oder ähnliche Matura absolviert. 15 Prozent sind Akademiker, das heißt, sie sind Absolventen von Fachhochschulen oder Universitäten.

Ich bin ein Verfechter der dualen Ausbildung, das ist das Rückgrat der österreichischen und der deutschen Industrie. Das ist auch der Grund,warum wir eine so hohe Industriequote haben.

Wirtschaftsvertreter beklagen, dass wir in vier, fünf Jahren eine Facharbeiterlücke haben werden.

Die haben wir schon. Im Vergleich zu meinen Kollegen in den Ballungsgebieten habe ich den Vorteil, dass ich in Mattighofen in einer ländlichen Region bin. Ich bin ein Leitbetrieb mit einem hochattraktiven Produkt. Mit einem Motorrad ist man bei 16-jährigen Mädels und Burschen in der ersten Startreihe.

Auf der einen Seite herrscht in Österreich eine achtprozentige Arbeitslosigkeit, auf der anderen Seite haben wir eine Facharbeiterlücke.

Wir haben ein Missmatch von Ausbildungstruktur und Nachfrage. Viele haben die falsche Ausbildung. Ich brauche keinen Soziologen und Kunsthistoriker. Die Leute studieren das, was sie interessiert, das ist aber nicht das, was nachgefragt wird. Der zweite, noch viel schlimmere Punkt ist, dass wir bei den Jugendlichen 15 bis 16 Prozent haben, die aus dem Bilsungsprozess draußen sind. Sie können weder ordentlich lesen noch schreiben. Sie haben vielfach Migrationshintergrund. Dazu kommt, dass der 30 bis 40 Jahre alte Wohlfahrtsstaat Generationen hervorgebracht hat, die bei den Bewerbungen über Work-Life-Balance diskutieren. Sie wollen nur zu 70 Prozent arbeiten, im Rest wollen sie sich selbst verwirklichen. Leistung ist mittlerweile negativ besetzt.

Hat ein Wertewandel stattgefunden?

Ja. Das ist ein Ergebnis des sozialistischen Wohlfahrtsstaates. Das ist wie in der Physik. Wenn es keine Energiedifferenz gibt, gibt es keinen Antrieb. Die asiatischen Tigerstaaten, die von unten kommen, greifen an. Sie sehen die Chance, aus der Armut rauszukommen.

Dazu kommt bei uns die hohe Besteuerung. Ich rede nicht mehr von Lohnnebenkosten, sondern von Lohnhauptkosten. Denn sie machen bereits mehr als 50 Prozent aus. Die Menschen können sich heute mit engagierter, ehrgeiziger Arbeit keinen Wohlstand mehr schaffen. Das ist das Grundproblem. Ich habe hier Verständnis für die Jungen, die sagen, warum soll ich mir das antun?

Wir erleben hier eine gefährliche Entwicklung. Jene, die im Ausland studieren, kommen nicht mehr zurück. Auch die Guten, die etwas drauf haben und etwas unternehmen wollen, gehen ebenfalls ins Ausland. Es herrscht ein erheblicher Braindrain.

Sie haben Ende vergangenen Jahres heftige Kritik an der Landesregierung geübt, obwohl sie im September bei der Wahlkampfabschlusskundgebung der ÖVP Landeshauptmann Josef Pühringer noch gelobt haben. Was hat für Ihren Meinungsumschwung gesorgt?

Ich komme aus der Steiermark. Dort war vor 15 Jahren die Situation ähnlich der in Oberösterreich. Es gab mit Herbert Paierl und Gerhard Hirschmann zwei tüchtige junge Landesräte. Landeshauptfrau Waltraud Klasnic hatte nicht die notwendige Leadership und ließ die beiden Hähne aufeinander. Beide wurden massiv beschädigt. Die Folge war, dass die Steiermark mit Franz Voves einen roten Landeshauptmann wählte.

Dasselbe passiert in Oberösterreich. Sowohl Thomas Stelzer als auch Michael Strugl werden durch die mangelnde Entscheidungskraft Pühringers aufgerieben. Das dürfte eine Alterserscheinung sein. Beide leiden darunter, sie sind ramponiert. Bei der nächsten Landtagswahl wird wahrscheinlich Manfred Haimbuchner Landeshauptmann werden. Das ist meine Vorhersage, die Sie in ein paar Jahren nachprüfen können. Das ist eine Wiederholung der steirischen Vorgänge.

Pühringer hat in einer schwierigen Zeit einen tollen Job gemacht. Er hat es aber verabsäumt, in einer entscheidenden Situation die Weichen zu stellen. Das wird gefährlich für Oberösterreich. Schade. Oft ist eine Entscheidung, die man nicht trifft, die falsche.

Das hat Pühringer nicht verdient, denn er hat viel zu Wege gebracht. Vor allem hat er sich in der schwierigsten Zeit hoch professionell verhalten. Darum verstehe ich das nicht. Es braucht Leadership, es braucht eine Entscheidung.

Zum Streit um die Finanzagenden. In einer Firma hat der Vorstandsvorsitzende auch einen Finanzvorstand. Und ohne den Vorstandsvorsitzenden wird der Finanzvorstand nichts unternehmen. Ich nehme an, dass Landeshauptmann Erwin Pröll in Niederösterreich den Finanzlandesrat bei Entscheidungen auch nicht alleine lässt. Also warum braucht der Landeshauptmann die Finanzen als Gestaltungselement?

Was erwarten Sie sich als Unternehmer von der Landespolitik?

Das Land kann gar nicht viel für die Wirtschaft machen. Aber das, was es machen kann, gehört gebündelt. Deshalb sind wir von der Wirtschaft und von der Industriellenvereinigung für ein Wirtschaftsstandort-Ressort.Wer immer das machen wird. Strugl hat eine Ahnung davon, was sich draußen abspielt. Ich möchte auch Thomas Stelzer qualitativ nicht abwerten.

In Deutschland gab es in der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder mit Wolfgang Klement einen ausgezeichneten Minister für Arbeit und Wirtschaft. Von der Agenda 2010 lebt Deutschland heute noch. So etwas sollte Oberösterreich nachahmen.

Was erwarten Sie sich von der Bundespolitik?

Es gibt drei Punkte, die relativ einfach zu verwirklichen wären. Der eine ist die Arbeitszeitflexibilisierung. Sie hemmt uns bei unseren Erfolgen am meisten. Wir exportieren 98 Prozent. Meine Leute sitzen viel im Flieger und sind auf der ganzen Welt unterwegs. Oft auch am Wochenende. Ich kann zu den Mitarbeitern nach den maximal zehn erlaubten Arbeitsstunden nicht sagen, spring aus dem Flieger.

Hier haben wir eine Deadlock-Situation der Kammern, der Wirtschafts-, der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft. Was in den Aufbaujahren nach 1945 ein erfolgreiches System war, ist jetzt ein verschlossener Filter, durch den nichts mehr durchgeht. Alles wird blockiert. Die Kammern sind derzeit das größte Handicap für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Damit machen sie die großen und die kleinen Unternehmen kaputt. Kleine und mittlere Firmen, die so gut sind, dass sie Aufträge in Wien haben, müssen beim Heimfahren in Amstetten über Nacht bleiben, weil sie die eineinhalb Stunden nicht mehr nach Hause fahren dürfen. Das ist doch eine völlige Verblödung.

Wir haben einen Grad von Bürokratisierung erreicht, der nicht mehr haltbar ist. Arbeitsrecht, Gewerberecht, Anlagenrecht und alle diese Vorschriften sind mittlerweile Dissertationen. Ich bin ein großes Unternehmen und habe einen Stab von Mitarbeitern. Aber stellen Sie sich ein kleines oder mittleres Unternehmen vor! Sie stehen ständig im Kriminal. Die Arbeitsinspektoren werden hinausgeschickt wie die Polizeieskorten. Was da für idiotische Strafen ausgestellt werden! Sie gehen in den Millionenbereich. So macht man einen Wirtschaftsstandort kaputt. Wenn wir die kleinen Unternehmen nicht haben, können keine großen entstehen.

Forderung Nummer drei ist die Senkung der Lohnhauptkosten. Kanzler Christian Kern hat begriffen, dass die Arbeit zu hoch besteuert ist. Aber es beginnt sofort wieder die Diskussion um neue Steuern, um die Vermögens- und Wertschöpfungsabgabe. Kein Mensch redet von Einsparungen. Die Schweiz hat ein mindestens so gutes Gesundheitssystem wie wir. Sie hat eine Staatsquote von 34 Prozent, unsere liegt bei 51,7 Prozent.