Schaller: „Wie sollen sich die Menschen Wohnungen und Häuser leisten können?“
Heinrich Schaller (62) ist seit 2012 Generaldirektor der Raiffeisen-Landesbank Oberösterreich.
KURIER: Wie immer die Menschen ihr Erspartes anlegen, ob am Sparbuch, in Aktien oder Anleihen, sie verlieren angesichts der zehnprozentigen Inflation in jedem Fall Geld. Was raten Sie Ihren Kunden?
Heinrich Schaller: Wenn man einen Notgroschen haben will, der schnell verfügbar ist, dann ist nach wie vor das Sparbuch das Vernünftigste. Man bekommt zwar niedrige Zinsen, aber man kann sich sicher sein, dass das Geld da ist, wenn es benötigt wird. Die Zinsen werden in den nächsten Monaten deutlich nach oben gehen. Je länger das Geld gebunden wird, umso höher sind die Zinsen. Aber im Verhältnis zur Inflation sind sie jetzt aktuell noch immer zu gering. Ich rate den Menschen daher zu Fondssparplänen. Die Fonds werden von Profis verwaltet. Es kann hier zu Kursverlusten kommen, aber diese können innerhalb von zwei, drei Jahren wieder aufgeholt werden. Auf lange Zeit besteht die Chance, hier gute Erträge zu machen.
Die finanzielle Repression (höhere Inflation als Sparbuchzinsen) dauert nun schon über viele Jahre an. Das hat eine Vermögensverschiebung von den Alten zu den Jungen und von den Sparern hin zu den Schuldnern zur Folge. Das stimmt doch? Wenn man das unter dem Gesichtspunkt der Inflation sieht, ja. Und auch unter dem Gesichtspunkt der niedrigen Zinsen. Insofern kann man sagen, ja, das stimmt.
Spürt die Bank, dass die Menschen nun weniger sparen? Gibt es einen Rückgang bei den Spareinlagen?
Ja, den gibt es, aber er ist ganz gering. Wir haben bei den Raiffeisenbanken in ganz Oberösterreich und bei uns ein Sparvolumen von 16,3 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang zum Vorjahr von 0,2 Prozent. Das ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass die Menschen aufgrund der hohen Inflation das Geld verstärkt für das tägliche Leben benötigen. Das wird sich irgendwann wieder umkehren, aber wir müssen schon damit rechnen, dass die Situation über viele Monate, wenn nicht über ein Jahr oder noch länger anhält.
Manche, etwa Marktstratege und Historiker Russell Napier , halten eine strukturell erhöhte Inflation über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren für wahrscheinlich. Finanzielle Repression heißt für ihn das Leitmotiv der kommenden Jahre.
Ob es so lange sein wird, traue ich mir nicht zu prognostizieren. Aber dass das nicht in einem Jahr vorbei sein wird und wir die Zielquote der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent Inflation erreichen, das kann schon zwei, drei Jahre dauern.
Ich würde es für problematisch halten, wenn die EZB im Fall eines leichten Inflationsrückgangs sofort wieder beginnen würde, die Zinsen zu senken. Das hat die FED, die amerikanische Nationalbank, zwei Mal gemacht und damit Schiffbruch erlitten. Die Inflation ist sofort wieder nach oben gegangen, stärker als vorher. Das wäre ein großer Fehler. Deshalb muss man auch beim Zinsniveau oben bleiben.
Es gibt deutliche Kritik an der zurückhaltenden Zinspolitik der EZB, zum Beispiel vom Linzer Finanzwissenschafter Teodoro Cocca, der sagt, die EZB kommt zu spät. Manche vermuten, dass passiert absichtlich, damit Schuldnerländer wie Italien durch die höheren Zinsen nicht so stark unter Druck kommen.
Ich stimme mit Cocca vollkommen überein. Ich bin mir nicht sicher, ob das verschlafen wurde oder ob das ein bewusster Prozess war. Es ist vielleicht eine Mischung aus beidem. Ich bin mir sicher, dass die EZB auf die hoch verschuldeten Staaten im Euro-Raum geschaut hat, insbesondere auf Italien. Und man wollte diese Staaten nicht in Schwierigkeiten bringen. Wir wissen, dass dieser Weg falsch war. Ich habe seit eineinhalb Jahren die Meinung vertreten, dass es höchste Zeit ist, dass die EZB bei den Zinsen aktiv wird. Sie wollte es nicht. Sie hat die Dynamik der Inflationsentwicklung nicht für möglich gehalten. Aus der Erfahrung der vergangenen 50 Jahre hätte man so eine Entwicklung zumindest erahnen und in Betracht ziehen können.
Die Zinserhöhungen der EZB haben steigende Kreditzinsen zur Folge. Kommen dadurch Unternehmen oder private Kreditnehmer in Schieflagen?
Ja, das kann sein. Insbesondere jene, die ihre Kredite nicht zu einem fixen Zinssatz, sondern variabel verzinst in Anspruch genommen haben. Wir haben schon seit Langem versucht, unsere Kunden zu einem fixen Zinssatz zu beraten. Einige haben es in Anspruch genommen, viele leider nicht. Wenn es zu Schwierigkeiten kommen sollte, muss man versuchen, gemeinsam Vereinbarungen zu finden, die es ermöglichen, die Finanzierungen zurückzuführen. Vielleicht über einen längeren Zeitraum, zum Teil mit dem Aussetzen von Rückzahlungen. Man muss sich jede einzelne Situation gemeinsam mit dem Kunden genau ansehen.
Die Finanzmarktaufsicht hat die Regeln für den Bau bzw. den Kauf von Häusern und Wohnungseigentum verschärft. Für einen Kredit müssen 20 Prozent an Eigenmitteln nachgewiesen werden, die Rückzahlung darf 40 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens nicht übersteigen. Wie wirkt sich das aus?
Diese Verordnung ist hoffnungslos übertrieben. Die Banken haben mehrmals ausdrücklich und intensiv auf die möglichen Auswirkungen hingewiesen, bevor sie in Kraft getreten ist. Es wurde darauf in keiner Weise Rücksicht genommen. Jetzt sehen wir das Ergebnis.
Nämlich?
Dass die privaten Immobilienfinanzierungen deutlich zurückgehen.
Wird jetzt weniger gebaut?
Aufgrund der Inflation und der Lieferengpässe werden auch die Mietwohnungen teurer werden. Es würde mit nicht wundern, wenn daraus ein Dämpfer für die Bauwirtschaft entsteht. Wir haben momentan eine Situation, bei der mehrere Faktoren zusammenkommen. Eine hohe Inflation, Lieferengpässe aufgrund der Corona-Pandemie, die massiv steigenden Energiekosten aufgrund des Krieges, und zusätzlich diese Verordnung. Wie sollen sich die Menschen das leisten können? Die Menschen brauchen mehr Geld für das tägliche Leben. Das kann ein Problem werden.
Es wird weniger gebaut werden?
Ja, mit großer Wahrscheinlichkeit wird weniger gebaut, das sehen wir jetzt schon.
Die Zinswende und das Phänomen der hohen Inflationsrate ist zuletzt vor 40 Jahren aufgetreten. Wie schätzen Sie die Folgen in der mittel- und langfristigen Auswirkung ein?
Sie werden uns über mehrere Jahre ein hohes Wirtschaftswachstum kosten. Ich schließe nicht aus, dass wir in eine Rezession hineinschlittern. Die Wahrscheinlichkeit wird jeden Monat höher. Die gesamte Wirtschaft wird darunter leiden. Das wird im amerikanischen Raum nicht so sein. Die Energiepreise sind dort deutlich niedriger und damit auch die Produktionskosten. Das kann dazu führen, dass Unternehmen nach Amerika ausweichen. Das hat bei uns eine Reduktion der Arbeitsplätze zur Folge. Es könnte eine Spirale in Gang kommen, die Europa massiv schadet.
Es kann aber umgekehrt passieren, dass europäische Konzerne ihre Produktion aus China wieder zurückverlagern.
Das könnte auch sein. Aber wenn wir bei den Produktionskosten mit den USA und dem restlichen asiatischen Raum nicht mithalten können, nützt uns das nicht.
Die Zinserhöhungen haben die Aktienmärkte teilweise massiv belastet. Es gibt nun erste Stimmen, die die Zeit für den Einstieg gekommen sehen.Teilen Sie diese Ansicht?
Grundsätzlich ja.
In welchen Branchen?
Bei der Technologiebranche bin ich mir in der Einschätzung nicht sicher. In der Grundstoffindustrie und im Energiebereich ist viel Aufholpotenzial vorhanden. Wenn man jetzt einsteigt, muss man auf nochmalige Kursrückgänge gefasst sein. Aber die Chancen für die Zukunft sind wesentlich höher. Aber das muss jeder selbst aufgrund seiner Risikoeinschätzung entscheiden.
Experten sehen weltweit Probleme in der Risikotragfähigkeit der Schulden. Noch nie waren die Schulden so hoch. Die Vereinigten Staaten von Amerika liegen beispielsweise bei einer Schuldenquote (öffentliche und private Schulden) von 291 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Frankreich bei 371 Prozent.
Ich frage mich auch hin und wieder, wie sie das in Zukunft machen werden. Da sind Situationen mit hoher Inflation gar nicht so schlecht.
Möglicherweise ist die Inflation gewollt.
Über diese Schiene wird eine Erleichterung erfolgen. In Summe geht man aber doch ein bisschen zu weit. Aber man muss dazu sagen, dass das den starken Ländern der Erde bisher nicht geschadet hat. Wenn die Verschuldung in Entwicklungs- und Randländern massiv nach oben geht, können diese das nicht mehr verkraften. Stärkere Länder waren dazu schon in der Lage. Es wäre gut, wenn man stärker auf dieses Thema achten würde.