„Müssen die Arbeitszeit senken“
Von Jürgen Pachner
Arbeiterkammer-Chef Johann Kalliauer klagt im KURIER-Gespräch über seit Jahren stagnierende Netto-Löhne, die europaweit höchste Arbeitszeit sowie den zunehmend gesundheitsgefährdenden Stress im Job.
Wie zufrieden sind die Oberösterreicher aktuell mit ihrer Arbeitssituation?
Johann Kalliauer: Ihre Situation war schon einmal besser. Wir erheben seit 15 Jahren genaue Daten zur Arbeitszufriedenheit – dafür werden Tausende Österreicher vier Mal jährlich interviewt. Die Oberösterreicher waren immer eher bei den Zufriedeneren, doch seit Herbst 2007 nimmt das stetig ab. Vor allem die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft trübt ihre Stimmung. Es ist auch deutlich erkennbar, dass die Zufriedenheit mit dem Einkommen massiv zurückgeht und das schon seit Jahren – nicht erst seit der Krise.
Gibt es dabei geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ja, Frauen sind tendenziell zufriedener mit ihrer Arbeitssituation. Spannend ist, dass wir in den ersten Jahren noch eine deutlich höhere Zufriedenheit bei teilzeitbeschäftigten Frauen gemessen haben. Das hat sich aber völlig gedreht, in den letzten fünf Jahren hat ihre Zufriedenheit stark abgenommen. Und inzwischen ist sie signifikant schlechter als bei vollzeitbeschäftigten Frauen – und schlechter als bei Männern.
Der Anteil der Beschäftigten, die mit dem Einkommen nicht auskommen, nimmt von Jahr für Jahr zu und liegt mittlerweile schon bei elf Prozent. Woran liegt das?
Gründe sind, dass einerseits die Kosten für die Dinge des täglichen Lebens – wie Wohnung, Energie, Treibstoff – überdurchschnittlich gestiegen sind und andererseits die Lohn-Tangente seit Jahren sinkt. Die Netto-Löhne stagnieren leider schon seit Jahren. Wenn ich ums gleiche Geld immer weniger bekomme, wird es irgendwann nicht mehr gehen.
Hat die Wirtschaftskrise in manchen Branchen ein Lohndumping begünstigt?
Generell ist die Wirtschaftskrise in Österreich sicher besser abgefangen worden als in anderen EU-Ländern. Die Entlastung bei der Lohnsteuer 2009 und die umfangreichen Pakete für die Stützung der Kurzarbeit haben massiv dazu beigetragen, dass bei uns die Probleme nicht ausgeufert sind. Das hat natürlich Geld gekostet. Leider haben wir aber im Windschatten der Krise einige Mitnahmeeffekte. Es gab Betriebe, die nicht unmittelbar im Krisenzentrum standen, die sie aber benutzt haben, um Lohndumping zu betreiben. Wo das besonders auffällt, ist bei der Leiharbeit. Ein Teil der Beschäftigungsverluste aus den Jahren 2008 bis Mitte 2010 konnte nur über die Leiharbeit wieder aufgefangen werden. Die Stammbelegschaften sind heute leider noch nicht auf dem Stand von 2008. Die Leiharbeit war jene Branche, die am stärksten wieder gewachsen ist.
Ist in Österreich Erwerbsarbeit zu hoch besteuert?
Sie ist ungerecht besteuert und in Relation zu anderen Steuerarten zu hoch besteuert. Das Problem ist, dass Steuerentlastungen, so positiv sie sind, nur von kurzer Wirkung sind. Die Steuerentlastung 2009 ist durch die Progression schnell wieder aufgeholt worden. Problematisch ist auch folgendes: Wir haben bei den Stiftungen eine Besteuerung von zwölf Prozent, bei den Zinserträgen 25 Prozent und bei den Körperschaften liegt sie auch in dieser Größenordnung. Die Lohnbesteuerung beginnt hingegen erst bei 36,5 Prozent. Das bedeutet: Entweder hat jemand ein so niedriges Einkommen, dass er überhaupt keine Lohnsteuer zahlt, oder er zahlt gleich 36,5 Prozent. Zielsetzung müsste sein, dass die Einstiegssteuersätze massiv gesenkt werden. Und vor allem die Progression innerhalb der Lohnsteuerpflichtigen verflacht.
Wie sollte das am besten finanziert werden?
Eine solche Strukturreform kostet selbstverständlich Steuereinnahmen. Es wird nämlich nicht funktionieren, wenn man glaubt, das wäre kostenneutral innerhalb der Arbeitnehmer machbar. Daher stellt sich die Frage: Weniger Einnahmen – heißt das, dass ich auf der Ausgabenseite etwas hole oder von irgendwo anders das Geld hernehme? Doch da sind wir beim Reizthema der ungerechten Besteuerung überhaupt.
Nahezu jeder Dritte arbeitet mehr Stunden pro Woche als vertraglich vereinbart. Spielen in dem Zusammenhang Überstundenzuschläge eine gewichtige Rolle?
Sie spielen keine so gewichtige Rolle. Erhebungen der Statistik Austria zeigen, dass ein Viertel der Mehrleistungen überhaupt nicht bezahlt wird. Es ist bekannt, dass viele Betriebe das nicht über Geld, sondern Zeit ausgleichen – oder es zumindest versuchen. In der Praxis haben die Beschäftigten enorme Zeitguthaben, die sie nie aufbrauchen können. Was wir daher primär brauchen würden, ist eine Senkung der faktischen Arbeitszeit. Denn da sind wir Europameister – wir haben europaweit die längsten Arbeitszeiten.
Andererseits gibt es das Beispiel voestalpine, wo mehr als 1000 Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich nur noch 34,4 Wochenstunden arbeiten müssen. Glauben Sie, dass dieses Modell viele Nachahmer findet?
Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren sicher zu einer kürzeren Arbeitszeit kommen. Und gerade in Großbetrieben wären auch die finanziellen Möglichkeiten für vollen Lohnausgleich durchaus gegeben.
Bereits mehr als jeder zweite Arbeitsausfall ist durch zu viel Stress im Job begründet. Was sind die Ursachen?
Die Arbeitsverdichtung – die Leute müssen jetzt mehr arbeiten als früher. Wenn man sieht, dass viele Unternehmen gleich viel und mehr mit weniger Personal produzieren, kann das nur zu Überlastungen führen. Eine Folge des täglichen Termindrucks ist auch, dass mehr als 40 Prozent der Arbeitnehmer krank zur Arbeit gehen.
Ab 2013 sollen Betriebe dazu verpflichtet werden, psychische Belastungen und Stressoren systematisch zu erfassen und Maßnahmen dagegen zu setzen. Wird das in der Praxis viel ändern?
Als grenzenloser Optimist sage ich ja.
Vita: Funktionär für Arbeitnehmerschutz
Johann Kalliauer wurde 1953 in Wels geboren. Er ist verheiratet, Vater einer Tochter und eines Sohnes. Sein Jusstudium absolvierte er an der Linzer Kepler Uni. 1976 wurde er Rechtsschutzsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) in Linz. Seit 1999 ist er Regionalgeschäftsführer der GPA Oberösterreich. Am 11. Dezember 2003 wurde er zum Vorsitzenden des ÖGB Oberösterreich gewählt.
Seit 1982 ist Kalliauer Mitglied der AK-Vollversammlung und seit 1992 sitzt er im Vorstand. 1999 wurde er zum AK-Vizepräsidenten gewählt. 2002 designierte ihn die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter zum AK-Präsidenten. Gewählt wurde er bei der Vollversammlung am 20. Oktober 2003. Seit November 2003 ist er auch Vizepräsident der Bundesarbeitskammer (BAK).