Chronik/Oberösterreich

"Reiche müssen mehr hergeben"

Günter Grzega (70) ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München. Gemeinsam mit rund 60 betuchten Gleichgesinnten pocht er auf die Einführung einer Vermögensabgabe. Zur Premiere des kritischen Finanzfilms "Too BIG to tell" der Lichtenberger Regisseurin Johanna Tschautscher kam Grzega nach Linz.

KURIER: Warum möchte ein Ex-Banker und Vermögender seinen Reichtum mit anderen Menschen teilen?Günter Grzega: In den letzten 20 Jahren ist das Gesamtvermögen in Deutschland und Österreich immer ungleicher verteilt worden. Alleine in Deutschland besitzen die oberen zehn Prozent inzwischen über 60 Prozent des Vermögens, und die Schere öffnet sich weiter. Obwohl das Gesamtvermögen von allen Bürgern erwirtschaftet wird, fällt es nur noch einer gewissen Gruppe zu. Zum einen ist das unmoralisch, zum anderen hat eine Gesellschaft mit so drastischer Ungleichheit noch nie langfristig Erfolg gehabt. Deshalb brauchen wir eine Vermögensabgabe für Reiche.

Sind es also ethische Beweggründe oder betriebswirtschaftliches Kalkül?

Nein, ich bin kein Gutmensch, sondern Realist. Ich schaue mir die Zahlen an und kenne die Geschichte. Wenn es in einer Gesellschaft zu ungleich geworden ist, dann kam es immer zu Revolutionen oder anderen Verwerfungen, und dann werden auch Leute wie ich stark darunter leiden. Ich will nicht zwei Drittel meines Lebens in großem Wohlstand leben und das letzte Drittel geht es mir dann richtig an den Kragen. Das ganze hat nichts mit Sozialromantik zu tun.

Was lehrt uns die Geschichte?

Französische Revolution, Sklavenabschaffung in den USA, Ende der Apartheid in Afrika oder der Zusammenbruch des Sozialismus in der DDR, da ging es nicht immer nur um Freiheit, sondern auch um wirtschaftliche Überlebensfähigkeit. Ich bin sogar der Meinung, dass die Eskalation in der Ukraine nur zu einem geringen Teil aus der Sehnsucht nach demokratischer Freiheit entstanden ist, sondern mehr aus dem Gefühl heraus, dass sich wieder ein oberstes Prozent alles nimmt, was vom Volk erarbeitet wird.

Sind diese Überlegungen schon während Ihrer Zeit als Bank-Manager gereift?

Es hat angefangen, als sich die Banken Ende der 80er, Anfang der 90er nur noch auf Profit- und Gewinnmaximierung ausrichteten.

Das war doch immer schon so.

Nein, wenn Sie Banker befragen, die Ende der 80er gearbeitet haben, war da keine Rede von Absatzzahlen oder Provisionen. Man musste nicht soundso viele Bausparverträge oder Aktienfonds in der Woche verkaufen. Da ging es nur darum, die Kunden bestmöglich zu bedienen. Alles veränderte sich mit der Ausbreitung der neoliberalen Wirtschaftsideologie. Ausgehend von den USA und Großbritannien, verbunden mit den Namen Reagan und Thatcher, hat sich ein schleichender Gesellschafts- und Wirtschaftswandel vollzogen.

Wie sollte die Vermögenssteuer denn konkret ausschauen?

Unsere Initiative fordert eine einmalige Vermögensabgabe von zehn Prozent, aufgeteilt auf zwei Jahre für ein Vermögen über 500.000 Euro. Aber das ist nur ein Vorschlag. Es ist unser Ziel, dass über die genaue Ausprägung demokratisch gestritten wird. Eigengenutzte Immobilien oder private Altersvorsorgen sind natürlich ausgenommen. Übrigens bezeichne ich Steuern als das, was sie sind: Gemeinwohlabgaben für unser aller Wohl.

Das entfacht wieder die emotionale Debatte darüber, ob der Staat in Omas Sparbücherl schauen darf.

Das tut er ja schon. Oder haben Sie schon einmal zum Finanzamt gesagt, das geht Sie nichts an, was ich verdiene. Aber es geht hier gar nicht um das Sparbuch der Oma, sondern um die großen Vermögen. Wenn Großaktionärs-Familien leistungslos jährliche Dividenden in dreistelliger Millionenhöhe kassieren und dafür nur den Pauschal-Steuersatz von 25 Prozent abführen müssen, dann ist eine absurde Ungerechtigkeit gegenüber allen normalen Steuerzahlern.

Falls die Politik Ihren Forderungen nicht nachkommt, wie geht es weiter?

So wie ich die Zahlen beobachte, traue ich mich wetten, dass, wenn sich nichts ändert, in den nächsten fünf Jahren der Euro und Europa auseinanderbricht. Das geht gar nicht anders.

Aber im Neoliberalismus die Steuern zu erhöhen ist natürlich ein Sakrileg. Am liebsten würde man die Steuern so weit absenken, dass der Staat nur noch zwei Aufgaben hat. Nämlich die Privatvermögen zu schützen und mithilfe der Justiz zu verteidigen. Eisenbahnen, Wasserversorgung, alles soll im Sinne unserer Konzerndiktatur privatisiert werden, da es die Privaten angeblich besser können. Der Staat wird bewusst geschwächt, das erleichtert die Umverteilung von unten nach oben.

Wie stehen Sie zu den viel kritisierten Manager-Boni?

Boni und Prämien, die über 500.000 im Jahr hinausgehen, würde ich mit 75 Prozent besteuern.

Wie lässt sich ein gerechteres System einführen?

Das ist nicht einfach. Insbesondere in Deutschland, der größten Wirtschaftsmacht in Europa, wird die Politik fast ausschließlich von Dogmatikern des Neoliberalismus beraten, die auch 90 Prozent der Lehrstühle an den Universitäten innehaben. Der erste Schritt muss deshalb sein, die wissenschaftlichen Beratungsgremien der Politik ausgewogen mit Ökonomen zu besetzen. Also sowohl mit wissenschaftlichen Vertretern der Angebotstheorie nach Friedman und der Nachfragetheorie nach Keynes sowie vor allem mit nicht dogmatischen Pragmatikern.

Ihre Initiative wird derzeit erst von rund 60 Vermögenden unterstützt?

Ich kenne viele, die umdenken, aber sie tun es nicht öffentlich. Dafür habe ich auch Verständnis, insbesondere, wenn man sich lange in den Lebensverhältnissen der Elite bewegt. Man bekommt Einladungen, bei denen beispielsweise Weltstars privat auftreten, und man glaubt mit der Zeit, man ist ein besonderer Mensch. Dies ist aber letztlich nur der betörende Glanz der Dummheit, wie ihn Esther Vilar in ihrem Roman so treffend beschreibt. Man sollte aus diesen Mechanismen einer elitären Lebensart einfach aussteigen und dies habe ich vernünftigerweise letztlich auch für mich umgesetzt.