Deutsch als erste Bildungshürde
Deutsch als Muttersprache: Das ist an vielen oberösterreichischen Pflichtschulen nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme. In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit fremder Muttersprache auf 18,64 Prozent gestiegen. Für fast jeden fünften der 104.746 Pflichtschüler ist Deutsch damit die erste Fremdsprache, die es zu beherrschen gilt, um dem Unterricht folgen zu können.
"Besonders alarmierend sind die Zahlen in den Volksschulen", meint Herwig Mahr, Klubobmann der oö. Freiheitlichen. Dort haben knapp 25 Prozent oder 14.227 Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch, 6309 Kinder werden als außerordentliche Schüler geführt. Mahr: "Das bedeutet, dass sie mangels ausreichender Deutschkenntnisse dem Unterricht nicht folgen können und daher auch keiner Benotung unterzogen werden dürfen."
Der Landesschulrat bestätigt die von der FPÖ genannten Zahlen. Es sei auch korrekt, dass der Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache in bereits 65 Pflichtschul-Klassen 100 Prozent betrage. Eine derartige Konzentration von Schülern mit Migrationshintergrund findet sich vor allem in den Ballungsräumen, zum Beispiel an Volks- und Hauptschulen in Linz, Wels, Steyr, Traun, Enns und Haid, aber auch in Attnang-Puchheim oder Ohlsdorf im Bezirk Gmunden.
An der Neuen Mittelschule (NMS) Diesterwegschule in Linz für zehn bis 14-Jährige ist Multikulti bereits seit Langem Realität: "Seit dem Jugoslawienkrieg in den 1990ern ist der Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache konstant gewachsen. Aktuell liegen wir bei rund 90 Prozent", sagt Direktorin Cornelia Polli. Das bedeute aber nicht, dass 200 ihrer 230 Schüler aus insgesamt 35 Nationen kein Deutsch beherrschen.
Faktor Elternhaus
Dennoch sei die Unterrichtssprache oft so etwas wie eine Bildungshürde: "Bei vielen Schülern bemerken wir große Defizite, da werden Grundbegriffe der deutschen Sprache nicht beherrscht. Vom Elternhaus gibt es wenig Unterstützung, weil in den Familien kaum Deutsch gesprochen wird, besonders von den Frauen", erläutert Polli. Entsprechend schwierig gestalte sich auch die Kommunikation zwischen Schule und Eltern.
Sinkt durch mangelnde Deutschkenntnisse auch das Leistungsniveau an der Schule? Polli: "So generell kann man das nicht sagen." Es sei aber auffällig, dass Österreicher ihre Kinder bevorzugt in Gymnasien oder Privatschulen schicken.
Eine zusätzliche Herausforderung sind Flüchtlingskinder. Waren es oö-weit im Oktober noch 500, sind es mittlerweile 1409 neue Gesichter, die in den Schulalltag integriert werden müssen. Auch an der Diesterwegschule gibt es jede Woche Neuankömmlinge. Sie werden zunächst in einer eigenen Klasse von zwei Lehren betreut, ehe sie in den Regelunterricht wechseln.
Österreichweit nutzt ein Viertel der Pflichtschüler im Alltag noch eine andere Sprache als Deutsch. In der Lehrerausbildung spielte Mehrsprachigkeit aber lange keine große Rolle. Zumindest am Papier hat sich das geändert: „Das Bewusstsein und die Bemühungen, mehrsprachige Lehrende zu finden, haben eher zugenommen“, schildert die Linguistin Judith Purkarthofer.
In den neuen Studienplänen finde mittlerweile eine „recht gute und detaillierte Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit“ statt. Allerding gebe es je nach Fachbereich Unterschiede. Während angehende Lehrer für Englisch oder Deutsch als Zweitsprache fundierte Ausbildungen erhalten würden, kämen Studierende andere Fächer deutlich weniger damit in Berührung, sagt Purkarthofer. Dabei sei es in der Wissenschaft Konsens, jedes Fach als Sprachfach zu begreifen. „Sprachen lernen passiert permanent, auch im Biologie- und Mathematikunterricht.“ Leider werde die Chance, neben Englisch noch weitere Fremdsprachen als Unterrichtssprache oder Unterrichtsfach in die Lehrerausbildung aufzunehmen, noch nicht genutzt.
Positiv hebt Purkarthofer den Wandel bei der Bewertung von Mehrsprachigkeit hervor: Das Leben in einer solchen Gesellschaft werde als gegeben und auch als Chance wahrgenommen.
Die Bundesregierung möge sich dafür einsetzen, eine Deutschpflicht in den Schulpausen auf den Weg zu bringen: Mit einer Resolution im Landtag haben ÖVP und FPÖ den vorläufig letzten Versuch unternommen, eine Änderung des Schulunterrichtsgesetzes herbeizuführen. Die Aussichten sind freilich gering, denn SPÖ und Grüne lehnen den Vorschlag ab. Auch das Unterrichtsministerium, das die Schulordnung ändern könnte, hat bereits abgewunken, weil eine Deutschpflicht in den Pausen im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention und zur Verfassung stünde.
„Die Resolution wird in der untersten Schublade verschwinden“, ätzt Gottfried Hirz, Bildungssprecher und Klubobmann der oö. Grünen. Von der schwarz-blauen Deutschpflicht sei nach großem Tamtam eine „unverbindliche Mager-Variante“ übrig geblieben.
Die Rede ist von jenem Papier, das der Landesschulrat an alle Schulen verschickt hat. Es enthält folgende Formulierung, die in die Hausordnung aufgenommen werden kann, sofern Schulforum oder Schulgemeinschaftsausschuss dies beschließen: „Die Fähigkeiten jeder Schülerin und jedes Schülers sind für die Schulgemeinschaft wichtig und wertvoll. Schülerinnen und Schüler mit anderer Muttersprache wollen wir mit allen ihren Fähigkeiten in unser Schulleben integrieren. Um Vorurteile und Ausgrenzungen zu vermeiden, werden wir auch außerhalb des Unterrichts Deutsch als gemeinsame Sprache verwenden. SchülerInnen, die unsere Sprache noch nicht so gut beherrschen, unterstützen wir beim Erlernen der deutschen Sprache.“
Verteilung
In der Flüchtlingsfrage setzt die Landesregierung auf eine bestmögliche Verteilung der Asylwerber auf die Regionen. Damit würde auch verhindert, dass sich die Konzentration von Schülern mit Migrationshintergrund im städtischen Raum weiter verstärke (siehe Artikel oben), sagt ein Mitarbeiter von Bildungsreferent und Landesvize Thomas Stelzer (ÖVP). Eine Quote lasse sich kaum realisieren, ein Höchstwert von etwa 30 Prozent Kindern nicht deutscher Muttersprache pro Schulklasse sei aber wünschenswert.