Chronik/Oberösterreich

„Alternative Schulen sind cool“

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Universitätsprofessor und Buchautor Markus Hengstschläger kritisiert das heimische Bildungssystem, weil es Begabungen nicht genug fördere.  KURIER: Jetzt stehen  neun Wochen Ferien vor der Tür. Halten Sie das für sinnvoll?Markus Hengstschläger: Die großen Ferien könnten um ein, zwei Wochen verkürzt werden. Grundsätzlich passt es so, wie es ist. Aus Sicht der Schüler ist das positiv.Und wie ist das mit den Lehrern? Bei ihnen  sollte idealerweise Ferienzeit auch Arbeitszeit sein. Sie sollten Fortbildungen besuchen. Es heißt seitens der Lehrer oft, wir würden mehr machen, aber die Kurse sind ausgebucht.Das Angebot an den Pädagogischen Hochschulen ist groß. Es gibt aber Seminare, die  mehr nachgefragt werden als andere. Wir sollten die Lehrer zur Fortbildung motivieren und versuchen, das Angebot so zu optimieren, dass die Möglichkeit zur Weiterbildung besteht.Was halten Sie von der Ganztagsschule?Ich bin grundsätzlich für Ganztagesbetreuung, nicht für die Ganztagsschule. Damit können Begabungen  der Kinder besser entdeckt werden. Ich zitiere Peter Rosegger: Ein Talent hat jeder Mensch, nur gehört zumeist das Licht der Bildung dazu, um es aufzufinden. Doch wie entdeckt man Talente und Begabungen?  Das kann man den Eltern nicht zumuten. Ich bin Naturwissenschaftler und wenn mein Kind ein musisches oder sportliches Talent hat, sehe ich das kaum.Wer soll die Begabungen dann sehen?Das muss unter der Betreuung von Experten geschehen. Es gibt zwar Eltern, die ihre Kinder zum Fußballtraining und zum Ballett bringen und die Begabungen fördern. Aber es gibt   viele, die beide berufstätig sind, und  ihr Kind nicht überall hinfahren können. Gerade bei Migranten wird das Talent oft nicht geweckt. Da gibt es eine Bringschuld des Staates. Kinder, deren Eltern Akademiker sind, werden Akademiker. Aber warum sollen Akademiker begabtere Kinder haben als andere? Das ist nicht schlüssig.Höre ich da eine Tendenz zur Gesamtschule heraus?Wir brauchen ein Konzept, das sicherstellt, dass wir Talente nicht vergeuden. Wenn die Gesamtschule das schafft, soll es mir recht sein.  Aber es  bräuchte  gewisse Mindeststandards, die eingehalten werden müssen. Wichtig wäre ein modulares Bildungssystem in der Oberstufe. Es ist  sinnlos, dass jemand mit einem Fünfer die ganze Klasse wiederholt. Schließlich hört man auch die Sachen, in denen man gut ist mehrmals. Da vergeht einem   die Lust daran.Stichwort modulares System. Heißt das, das sollte so aussehen wie in den USA?Das Schulsystem in Amerika hat seine Stärken und Schwächen. Prinzipiell gehört festgelegt, was unverzichtbar ist. Einen Teil der Fächer sollte man  wählen können. Das Problem in den USA ist, dass Fächer abgewählt werden, weil man sie nicht machen will. Es muss aber so sein, dass hier zuerst ein Leistungsbeweis erbracht wird, bevor man etwas abwählen kann.Auf welche Bereiche darf nicht verzichtet werden?Klar ist, ein Kind ohne Fremdsprache ist verloren. Ich bin hier zu 100 Prozent für Englisch. Deutsch braucht man sowieso und Mathematik auch. Unverzichtbar ist auch Unterricht in intra- und interpersonaler Intelligenz. Intrapersonalität meint,  sich selbst richtig  einschätzen zu können. Es gibt Umfragen unter Führungskräften, was von Managern verlangt wird. Hier sagen alle, intrapersonale Fähigkeiten sind unumgänglich. Interpersonalität meint, Empathie und soziale Intelligenz an den Tag legen zu können.Kann man das überhaupt unterrichten?Gerade bei emotionalen Talenten sagen die Leute, man hat es oder man  hat es nicht. Das ist aber absurd. Wie ich auf mein Gegenüber eingehe, kann auf jeden Fall trainiert werden. Aber es ist schräg zu sagen, Sport kann man    auch jedem Menschen beibringen. Haben Sie sich  überlegt, was diese Forderungen kosten würden? Das alles würde wohl am Geld scheitern.Die Frage ist, wie wird man von einem „Innovation Follower“ zu einem „Innovation Leader“. Sagen wir, es stehen zehn Wissenschaftler vor der Tür und brauchen Geld, zum Beispiel für ein Labor. Europäische Länder fragen, wer von denen ist gut. Es kann sein, dass nur einer brilliert. Dann sagt man, sicherheitshalber fördere ich keinen. Das ist  gerecht. Zweitens kann man argumentieren: Ich habe Geld eingespart.Andere sagen, wir haben zehn Forscher. Ich weiß  nicht, wer gut ist, also fördere ich alle. Wenn neun schlecht sind, und einer gut ist,  wird zwar am Anfang viel Geld ausgegeben. Allerdings verliert das erste Land alles, das zweite hat ein Talent gerettet. Es wird in zweiter Generation zum „Innovation Leader“, das andere zum „Innovation Follower“. Österreich hat keine Alternativen.  Es hat keine Rohstoffe, sondern nur die individuellen Leistungsvoraussetzungen der nächsten Generation. Woran hapert es?Ich verstehe nicht, dass man im fünftreichsten Land der Welt sagt, das können wir uns nicht leisten. Es scheitert nicht an Talenten im Land. Auch die Ideen sind nicht das Problem, es gibt   genug gute Konzepte. Woran es  scheitert, ist die Umsetzung. Es geht dabei um die Klientelvorherrschaft in den Parteien und in der Wählerschaft. Der ehemalige Außenminister Deutschlands, Hans-Dietrich Genscher, antwortete mir einmal auf die Frage, was ein politisches Talent sei: Das ist jemand, der seine Überzeugung sagt, auch wenn er dafür abgewählt wird.Was halten Sie von alternativen Schulen wie der Waldorfschule?Die finde ich cool. Alles, was zur Individualität beiträgt, ist cool. Nur geht es eben auch nicht ohne Mindeststandards. Die müssen einfach sein.

Vita: Mit 24 Doktor der Genetik

Markus Hengstschläger promovierte mit  24 Jahren zum Doktor der Genetik. Mit 35 Jahren wurde er zum Uni-Professor für Medizinische Genetik berufen. Er war Hochschulrat der Pädagogischen Hochschule  Wien  und ist Mitglied des österreichischen Rats für Forschung und Technologieentwicklung. Anfang 2012 erschien sein Buch „Die Durchschnittsfalle“. Darin kritisiert der  44-Jährige, das  Bildungssystem bringe durchschnittliche Alleskönner hervor. Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, sei es   notwendig, Talente zu fördern, die in den Menschen schlummern.

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