Chronik/Niederösterreich

Überfallopfer schaut durch die Finger

Kein Laut, sonst bist du tot!" Am 23. April jährte sich der Überfall auf eine Jet-Tankstelle in Bad Vöslau (Bezirk Baden) schon zum elften Mal. Für Johann Ruzicka sind diese Worte aber präsent, als hätte er sie gestern gehört. Der 66-Jährige hatte die Tankstelle damals gepachtet. Heute ist er verbittert und frustriert – vom Kampf um Wiedergutmachung, in dem er mehr Niederlagen als Erfolge erlebte. "Die Opfer werden links liegen gelassen", sagt Ruzicka.

Zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren wurde einer der beiden Täter verurteilt, der andere zu 18 Monaten, zwölf davon musste er absitzen. Beide hatten neben dem Raub noch andere Vergehen auf dem Kerbholz. Auf dem Zivilrechtsweg bekam Ruzicka 40.000 Euro Schadenersatz zugesprochen. Gesehen hat der davon bisher nichts – inklusive Zinsen ist die Forderung mittlerweile auf 65.146,38 Euro angewachsen. Wenn überhaupt, wird Ruzicka ein paar Prozent davon bekommen. Er hat den Schaden bei einem der beiden Täter eingeklagt. Der ist aber im Februar in Privatkonkurs gegangen.

Die Hände mit Handschellen am Rücken gefesselt schleiften die Täter Johann Ruzicka damals zum Öl-Lagerraum. Einer drückte ihm eine Waffe gegen die Schläfe – oder etwas, das Ruzicka dafür halten musste. Erst stellte er sich tot, dann versuchte er zu flüchten. Er stürzte. Die Täter traten gegen seinen Körper – und gegen seinen Kopf. Ihre Beute: 60 Euro.

"Ich habe nach dem Überfall normal gearbeitet. Der Schock kam erst zwei, drei Monate später", erinnert sich Ruzicka. Schließlich ging er doch in Frühpension. Mit 55 Jahren. 100 Stunden Therapie hat er hinter sich – Misstrauen und auch Angst sind geblieben. "Früher habe ich selbst gesagt, dass so etwas doch nicht so schlimm sein kann. Man kann es nicht nachvollziehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat." Vom Sozialamt bekommt er eine monatliche Zusatzzahlung zur Rente. Von der Opferhilfeorganisation "Weißer Ring" erhielt er eine Einmalzahlung von 1000 Euro.

Anfrage

Der FPÖ-Abgeordnete Christian Hafenecker hat Ruzicka zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage gemacht. "Die Täter werden entschuldet, das Opfer schaut durch die Finger", poltert er. Schadenersatz sollte im Insolvenzverfahren ausgeklammert werden. Außerdem fordert er, dass der Staat Verbrechensopfern ihren Schaden ersetzt und sich dann an den Tätern schadlos hält.

Im Sozialministerium will man den konkreten Einzelfall nicht kommentieren, verweist auf das Verbrechensopfergesetz. Schmerzensgeld nach einer Körperverletzung wird schon ersetzt – allerdings mit 12.000 Euro gedeckelt. "Da wurde schon einiges erreicht", sagt Marianne Gammer von der Organisation "Weißer Ring".

Ruzicka hat von dieser Regelung freilich wenig: Sie gilt nur für Opfer von Verbrechen, die nach dem 31. Mai 2009 begangen wurden.

Grundsätzlich hilft der Staat nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG). Mit einem Antrag beim Bundessozialamt kann man etwa Teile des Verdienstentgangs, Therapiekosten oder "Maßnahmen der beruflichen, sozialen und medizinischen Rehabilitation" ersetzt bekommen. Opfer, die verletzt wurden, bekommen auch eine Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld. Die Höchstsumme von 12.000 Euro gibt es aber nur bei schweren Dauerfolgen. 1660 Anträge nach dem VOG hat es 2013 gegeben. 3,5 Millionen Euro wurden ausbezahlt.

"Viele wissen nicht, was ihnen zusteht", erklärt Marianne Gammer von der Opferhilfe "Weißer Ring". Die Organisation hilft neben der Beratung auch mit Prozessbegleitung oder finanziell – etwa für psychologische Betreuung oder für Begräbniskosten. 23.900-mal haben sich im Vorjahr Menschen gemeldet, 2250 mussten über die Beratung hinaus betreut werden.