Chronik/Niederösterreich

Strecke soll eingestellt werden: Großer Kummer um kleine Bahn

„I love Dani“ hat jemand mit einem Messer in die alte Holzbank geritzt. Über der Sitzgelegenheit belehrt die Hausordnung, dass das eigentlich nicht erlaubt ist. Windgeschützt ist es in dem kleinen gemauerten Wartehäuschen mit roten Schindeln am Bahnhof der Regionalbahn R18 in Obersdorf, NÖ.

Gebraucht wird es an diesem Donnerstagnachmittag aber nicht. Die Pendler, die mit der Nordbahn aus Wien ankommen, eilen zu der bereitstehenden Dieselgarnitur. „Servas“, grüßt Helmut Mark die anderen Fahrgäste beim Einsteigen. Man kennt sich eben.

Bahnfahren wie damals

Die Bahn, die im Weinviertel zwischen Obersdorf und Bad Pirawarth (mit einer Gabelung in Groß-Schweinbarth in Richtung Gänserndorf) verkehrt, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Vierersitze mit beige-braunen Bezug samt Tischchen am Fenster, Ticketautomat in der einzigen Garnitur. Ein Fahrdienstleiter mit roter Kappe am Knoten Groß-Schweinbarth.

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Laut ÖBB nutzen 700 Fahrgäste pro Tag die Strecke. Doch der teils 111 Jahre alten Strecke droht mit 15. Dezember das Aus. Zu unwirtschaftlich sei die Bahn, argumentieren die ÖBB. Es bräuchte 2.000 Passagiere pro Tag, um der Empfehlung des Bundes zu entsprechen.

Für Pendler wie Mark ist die Entscheidung „eine Katastrophe“.

„Wir sind total zufrieden mit unserer Regionalbahn. Sie ist eine der pünktlichsten überhaupt“, sagt Gerhard Mayer aus Großengersdorf. Und das, obwohl zuletzt wenig investiert wurde und der Zug manche Abschnitte im Schritttempo zurücklegt. Die Weinviertler lieben ihre R18.

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Kein Ersatz

Dass nun auf Betreiben des Landes seit September Dieselbusse auf zwei Linien die Orte – sogar die Ortskerne – mit der Schnellbahn verbinden, ist für sie kein Ersatz. Diese würden für dieselbe Strecke länger brauchen. Mayer hat deshalb eine Aktionsgruppe „Regionalbahn statt Bus“, ins Leben gerufen.

Er und seine Mitstreiter sammelten tausende Unterschriften, lobbyieren bei Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und im Ministerium. Bisher vergebens. Immerhin: Sie haben zwei private Betreiber aufgetrieben, die die Bahnstrecke übernehmen könnten.

Der Zug, der vorbei an Einfamilienhaussiedlungen, Sportplätzen und Feldern, fährt, leert sich. Immer wieder drücken Fahrgäste auf den Halteknopf – um dem Zugführer zu signalisieren, dass jemand aussteigen will.

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Länger und teurer

Um nach Wien zu kommen, brauche er mit dem Bus nun pro Strecke zehn Minuten länger, erzählt Pendler Christian Sterzl – und die neben ihm Sitzenden nicken. Dafür würde seine Jahreskarte aufgrund der geänderten Route teurer. 1.450 statt 1.080 Euro müsse er dann zahlen. „Die meisten werden einen Park-and-Ride-Platz vor den Toren Wiens nehmen“, ist Sterzl überzeugt.

Busse im Stau

Dazu komme, dass die Busse öfter auf den überlasteten Straßen im Stau stehen – gerade jetzt, wo wegen Erntearbeiten viele Traktoren unterwegs seien, wirft ein Fahrgast ein. Pensionistin Maria Berger erzählt, dass sie erst einmal den Bus genutzt habe. Der habe Verspätung gehabt, sie prompt den Anschlusszug verpasst.

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Die Entscheidung der ÖBB kann niemand nachvollziehen. Beitrag zum Klimaschutz sei das keiner, sind sich die Fahrgäste einig. Dass laut ÖBB 170 Tonnen im Jahr eingespart werden, glauben sie nicht. Vielmehr würden die Leute wieder ins Auto steigen.

„Der Verkehr in den Ortszentren ist explodiert“, meint Mayer. Immerhin: Künftig sollen Elektrobusse zum Einsatz kommen. Ob die von den Pendlern genutzt werden? Mayer zieht die Augenbrauen hoch. „Wir brauchen den Zug. Dringend“, sagt Berger und drückt den Halteknopf.

Nach den Schließungen von regionalen Bahnlinien wie die zwischen Korneuburg und Ernstbrunn, oder der zwischen Laa an der Thaya und Zellerndorf, folgt nun die nächste Bahnstrecke im Weinviertel. Nach 111 Jahren wird das Schweinbarther Kreuz am 15. Dezember stillgelegt. Die Strecke, auf der täglich rund 700 Menschen fahren, ist nicht mehr wirtschaftlich führbar, heißt es bei der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Insgesamt gibt es in Niederösterreich aber noch einige Regionalbahnen wie zum Beispiel die Traisental-, die Erlauftal, die Puchberger und die Kamptalbahn. Die letztgenannten Linien werden, aufgrund von Fahrgaststeigerungen, in den kommenden Jahren ausgebaut und modernisiert. Das kommt  auch sieben Linien in Oberösterreich zu. Hier werden in den kommenden zehn Jahren 725 Millionen Euro investiert.