Sieben Schuldsprüche im Schlepper-Prozess
Nach einem langatmigen Finale gab es am Donnerstagabend kurz vor halb 12 ein Urteil im Schlepper-Prozess in Wiener Neustadt. Mindestens zehn Fremde seien nachweislich geschleppt worden, verkündete Richterin Petra Harbich. Den acht Männern - vorwiegend Pakistani - wurde vorgeworfen, im Rahmen einer kriminellen Organisation gewerbsmäßig als Schlepper tätig gewesen zu sein. Ein Angeklagter wurde freigesprochen. Die Schöffen hatten zuvor fast acht Stunden lang beraten, die Urteile sind nicht rechtskräftig.
Chaotische Urteilsverkündung
Die Richterin verhängte sieben teilbedingte Freiheitsstrafen von sieben bis 28 Monaten. Die Verurteilten haben den unbedingt verhängten Teil allesamt bereits in der U-Haft verbüßt. Bei der Verkündung kam es zu Chaos. Es gab unflätige Zwischenrufe und Beschimpfungen aus dem Publikum. Ein Angeklagter rastete verbal aus und ließ die Richterin nicht mehr weiterreden. Harbich blieb dennoch lange gelassen.
Den Asylwerbern war vorgeworfen worden, dass sie illegal eingereisten Landsleuten u.a. die Weiterfahrt in andere Länder organisiert haben sollen. Derartige Hilfsdienste wurden an insgesamt 43 Verhandlungstagen kaum bestritten, wohl aber, daran verdient und somit gewerbsmäßig agiert zu haben. Anwälte der Verurteilten legten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein.
"Shame on you"
Der Fünftangeklagte, von der Staatsanwaltschaft als Chef der Schlepper-Zelle in Österreich bezeichnet, wurde ebenfalls von etlichen Anklagefakten freigesprochen. Den Schuldspruch zu den übrig gebliebenen Anklagepunkten, für die der Pakistaner eine teilbedingte Haft von 28 Monaten, davon 21 Monate auf Bewährung, ausfasste, begründete die Richterin folgendermaßen: "Sie haben in den abgehörten Telefongesprächen sehr wohl differenziert, ob sie bei der Schleusung von Landsleuten Geld verdienen wollen oder nicht." Lediglich der Viertangeklagte erhielt einen glatten Freispruch. Der 38-jährige Pakistaner war übrigens derjenige, der unfreiwillig den Prozess initiiert hatte. Weil er in Österreich als Unternehmer tätige Landsmänner wegen Steuerhinterziehung angezeigt hatte, "revanchierte" man sich mit einer Schlepper-Anzeige.
Ein langer Tag: Proteste vor dem Gericht
Gesetz ist Gesetz, und „die Staatsanwaltschaft nicht zuständig für eine rechtspolitische Bewertung“: So eröffnete Anklägerin Gunda Ebhart den Finaltag im seit März laufenden Prozess gegen acht mutmaßliche Schlepper. Er begann begleitet von Protesten gegen den §114 des Fremdenpolizeigesetzes. Vor dem Landesgericht Wiener Neustadt und im prall gefüllten Schwurgerichtssaal. „Flucht ist kein Verbrechen“, stand auf den Schildern. Und: „Schlepper retten Leben“.
Nach 4000 abgehörten Telefonaten, acht Monaten U-Haft und 43 Prozesstagen musste die Staatsanwältin einräumen, dass die Angeklagten aus Pakistan, Afghanistan und Indien, „kein großes Business“ gemacht haben, „aber der Tatbestand ist erfüllt.“ Gemeint ist gewerbsmäßige Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung.
Für Verteidiger Lennart Binder trifft nicht einmal das zu: „Man kann bei Gefälligkeiten nicht von Entgelt sprechen. Die Angeklagten waren eine Schicksalsgemeinschaft, keine kriminelle Organisation.“
Vom ursprünglich kolportierten millionenschweren Schlepperring blieben im Prozess Männer, die für ein bisschen Geld, etwas zu Essen, einen Schlafplatz oder ein bisschen Haschisch anderen Flüchtlingen geholfen hatten. Für Binder liegt nicht Schlepperei, sondern unentgeltliche Fluchthilfe vor – statt mit zehn Jahren Haft ist dieses Delikt lediglich mit 5000 Euro Geldstrafe bedroht.
Pannen
Das Verfahren hatte sich nach einigen Pannen in die Länge gezogen. Erst zerpflückte Richterin Petra Harbich die Anklage – teilweise waren einzelne Fakten doppelt angeklagt. Dann tauchten Mängel in der Übersetzung von Telefonüberwachungen auf. „Geld“ wurde etwa mit „Schlepperlohn“ übersetzt, „Leute“ mit „Geschleppte“. Für Binder war es ein „politischer Prozess.“ Vier der acht Angeklagten kommen aus dem Umfeld der Asylwerber-Proteste. Sie waren vor ihrer Verhaftung im Wiener Servitenkloster untergebracht.
Der Vergleich mit dem Tierschützerprozess, der ebenfalls am Landesgericht Wiener Neustadt stattgefunden hatte, wurde von Anwälten und den Protestierenden wiederholt bemüht. Angeklagte von damals waren am Dienstag auch unter den Zuhörern.
Am Freitag haben SOS Mitmensch und die österreichische Hochschülerschaft (ÖH) als Reaktion auf das Urteil Kritik am Asylsystem geübt und eine Entkriminalisierung von Fluchthilfe gefordert. Auch die Grünen sprachen sich für eine entsprechende Gesetzesänderung aus. Für die SJ würden "Opfer zu Tätern gemacht".
Aufruf zu Kundgebung
"Asyl in Not" hat die Schuldsprüche als "Schandurteil" bezeichnet und zu einer Kundgebung am Tag der Menschenrechte aufgerufen: Am 10. Dezember soll in Wien für die ersatzlose Streichung der Paragrafen 114 Fremdenpolizeigesetz (Schlepperei) und 274 StGB (Landfriedensbruch) demonstriert werden.
Geplant ist ein Marsch vom Westbahnhof (ab 18.00 Uhr) bis zum Ballhausplatz. An unterstützenden Organisationen wurden in einer Aussendung von u.a. Offensive gegen rechts, KPÖ und dem Grünen Klub im Rathaus sowie dem gewerkschaftlichen Linksblock.