Chronik/Niederösterreich

"Lockern der Zulassung ist wichtig"

Wie könnte die Zukunft der Arzneimittelversorgung in Österreich aussehen? Lassen sich ärztliche Hausapotheken tatsächlich durch Zustelldienste öffentlicher Apotheken ersetzen? Bleiben dadurch Bewohner am Land unterversorgt bzw. auf der Strecke? Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwälte, hat die Debatte zuletzt wieder frisch angeheizt.

Österreichweit gibt es insgesamt 866 ärztliche Hausapotheken. Laut Bachinger könnten die meisten durch kostenlose Zustelldienste öffentlicher Apotheken ersetzt werden. Der nö. Patientenanwalt ist der Meinung, dass das in Österreich "brach liegende Fachwissen der Pharmazeuten stärker genutzt werden sollte." Denn Faktum ist: Alleine in Niederösterreich werden in den nächsten Jahren rund 40 der 242 ärztlichen Hausapotheken schließen müssen, weil nach und nach Arzt-Pensionierungen bevorstehen. Nur mehr in (ländlichen) Ausnahmefällen, wo es keine Apotheken gibt, "sollten ärztliche Hausapotheken weiterhin erhalten bleiben."

Um die Arzneimittelversorgung bestmöglich garantieren zu können, gehöre allerdings das Apothekergesetz "dringend reformiert", argumentiert Wolfgang Sobotka, Chef des nö. Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS). "Derzeit entscheiden Kilometer und Ortstafeln, nicht die Bedürfnisse der Menschen, wo eine öffentliche Apotheke eröffnet werden sollen. Die Lösung kann nur die Lockerung der Zulassungsregelungen sein, sowohl für ärztliche Haus- als auch öffentliche Apotheken", betont Sobotka. Allerdings dürfe die ärztliche Hausapotheke nicht – das sieht auch Bachinger so – die Existenzgrundlage für Hausärzte sein. "Das setzt voraus, dass die Arbeit der Ärzte fair bezahlt wird. Dafür müssen die Krankenkassen ihren verstaubten Leistungskatalog überarbeiten."

Liberalisierung

Die Vorschläge stoßen bei Christoph Reisner, Präsident der nö. Ärztekammer, auf Zustimmung. Reisner verlangt ein freies Nebeneinander von ärztlichen Haus- und öffentlichen Apotheken. "Das bestehende Gesetz ist in Bezug auf die Bedarfsprüfung antiquiert." Denn nicht das Rezept helfe bei einer Erkrankung, sondern das Medikament müsse so schnell wie möglich beim Patienten sein.

Elisabeth Biermeier, Vizepräsidentin der nö. Apothekerkammer, spricht sich gegen eine Liberalisierung aus. "Ein Nebeneinander ist nicht in unserem Sinne. Wir streben ein Miteinander von Arzt, Apotheker und Patient an, wo sich jeder auf seine Aufgaben konzentriert."

Wenn eine ärztliche Hausapotheke schließen muss, dann wird es emotional. Das zeigt eine Protestwelle, die Bürger in Schwadorf, NÖ, vor Kurzem losgetreten haben. Sie sammeln Unterschriften, damit die einzige Allgemein-Medizinerin in der Gemeinde, Claudia Ertl, ihre Hausapotheke weiterhin betreiben darf. Nur so könne eine "rasche Medikamentenversorgung" gewährleistet sein.

Doch die Bezirkshauptmannschaft zwingt Ertl dazu, ihre Hausapotheke zu schließen, weil in der zwei Kilometer entfernten Nachbarortschaft Enzersdorf/Fischa vor einem Jahr eine öffentliche Apotheke eröffnet hat.

"Vor allem für ältere Menschen und Mütter mit Kinderwägen ist das schlimm", erklärt Hausärztin Ertl. Sie könne den finanziellen Verlust zwar verkraften, weil sie genügend Patienten zu betreuen hat: "Aber wenn ich die Hausapotheke verliere, geht Lebensqualität im Ort verloren." Ertls Anwalt Markus Lechner kann die Entscheidung der BH nicht nachvollziehen. Nach alter Rechtslage gelte zwar die Entfernung bis zur nächsten öffentlichen Apotheke über die Gemeindegrenzen hinweg, "aber dann kann die Behörde nur nach Antrag der öffentlichen Apotheke die Schließung erwirken. So einen Antrag gibt es aber nicht", sagt Lechner.

Zustelldienst

Dass die Medikamenten-Versorgung am Land nicht mehr funktioniert, sobald ärztliche Hausapotheken zusperren müssen, glaubt Werner Luks, Besitzer einer öffentlichen Apotheke in Ybbs, NÖ, nicht. "Wir bringen die nötigen Medikamente, wenn es sein muss, bis ans Krankenbett", erklärt Luks. "Dieses Service bieten wir seit mehreren Jahren an."

Europaweit gibt es 1700 ärztliche Hausapotheken, alleine in Österreich fast 900. "Das zeigt, dass Hausapotheken ein österreichisches Spezifikum sind", sagt Apotheker Werner Luks, der überzeugt ist, dass mit dem immer dichter werdenden Apothekernetz in Österreich und den Zusatzdiensten eine optimale Versorgung möglich sei.