Chronik/Niederösterreich

"Irgendwelche Straftaten sind nicht verübt worden"

Nach schwerwiegenden Vorwürfen von ehemaligen Heimkindern, die das Kinderheim Wimmersdorf, Niederösterreich, betreffen, erklärte sich ein ehemaliger Erzieher bereit, dazu Stellung zu nehmen. Er hat sich ausbedungen, anonym zu bleiben, weshalb sein Name von der Redaktion auf Franz Z. geändert wurde. Dieser Franz Z. war nach eigenen Angaben von 1967 bis 1969 Erzieher in Wimmersdorf. Seine Frau war ebenfalls als Erzieherin in dem Heim.

Das nachstehende Interview ist die von Franz Z. autorisierte Fassung und hat in manchen Passagen mit dem eigentlich geführten Gespräch kaum noch etwas zu tun. Wir wollen den geschätzten Leserinnen und Lesern dennoch die Möglichkeit geben, seine Ausführungen zu lesen, weil sie doch Einblicke in den Heimalltag gewähren.

Franz Z.s Frau wird von ehemaligen Heimkindern vorgeworfen, die Buben in den 1970er-Jahren sexuell missbraucht zu haben. Im ursprünglichen Interview hat Franz Z. auf diese Anschuldigungen geantwortet, zog diese Antwort jedoch nachträglich zurück. In seiner autorisierten Fassung nimmt er aber allgemein zum Thema Gewalt und Missbrauch Stellung: „Irgendwelche Straftaten an Kindern sind nicht verübt worden. Weder sexuell noch gewalttätig.“

Im Übrigen greift Franz Z. auch den ORF an, der im Jahr 2012 in der Sendereihe „Am Schauplatz“ zwei Reportagen über das Kinderheim Wimmersdorf gebracht hat. Die Stellungnahmen von ORF-Redakteurin Christine Grabner finden sie im unteren Abschnitt.

KURIER: Herr Z., Sie waren Erzieher im Kinderheim Wimmersdorf?

Franz Z.: Ich war 1963 beim Jugendamt Amtsvormund und wollte Erzieher werden, weil ich diesen Beruf sehr positiv gesehen habe und zwar aus eigener Erfahrung. Als elfjähriger, körperlich schwacher Bub habe ich einen Sommermonat in einem Ferienlager verbringen müssen. Das war ein Schock für mich, ich bin fast umgekommen vor Heimweh. Nach einer für mich furchtbaren Woche ist ein Erzieher auf mich aufmerksam geworden, hat mich beschützt und sich überhaupt um mich angenommen. Das war prägend für mich.

Jetzt wird über diese Berufsgruppe nur negativ berichtet, und ich bin dem KURIER dankbar für die Möglichkeit zu einer unzensurierten Stellungnahme. Im Gegensatz dazu hat der ORF zwei vernichtende Sendungen über das Heim gebracht, und die verantwortliche Redakteurin hat mir ein Interview verweigert. Das habe ich mehrmals vehement und schriftlich verlangt, es hat alles nichts genützt. Auch vorgelegte Unterlagen wurden von ihr nicht berücksichtigt. Durch die Einhaltung der Meinungsvielfalt können sich KURIER-Leser eine eigene Meinung bilden. Den ORF-Sehern wurde hingegen die Meinung der Redakteurin vorgesetzt, getarnt als objektive Reportage.

Welche Ausbildung hatten Sie?

Ich hatte die Matura. Für die Erzieher-Ausbildung habe ich mich sehr interessiert. Ich musste jedoch erkennen, unter welchen weltfremden Bedingungen die stattgefunden hätte. Alles war auf die Führung von Gruppen von Jugendlichen aufgebaut. Es wurde von mir verlangt, ich solle ein Instrument lernen, zumindest Flöte, und mich auch mit Laubsägearbeiten befassen. Das war aber wirklich nicht notwendig. Die Kinder, die ins Heim gekommen sind, waren ja komplett verunsichert. Die haben einen Ansprechpartner gebraucht, um mit ihm zu reden, und keinen Flötenspieler. Das Herausreißen aus dem häuslichen Milieu und die Überstellung in ein Heim haben sie sehr beschäftigt. Sie waren verwirrt und einsam. Das musste alles verarbeitet werden. Die wichtigen Einzelgespräche fanden sehr selten statt. Wegen meiner Arbeitsüberlastung, denn ich führte eine Gruppe mit 25 Zöglingen.

Die Kinder und Jugendlichen haben ständig Kontakt gesucht, ich hatte aber dafür zu wenig Zeit, und sie haben sich enttäuscht zurückgezogen. Das Flötenspielen, das Vogelhäuschenbauen oder Volksliedersingen hat sie wenig interessiert. Damals haben sie die Rolling Stones begeistert. Das Individuelle konnte wegen Personalmangel nicht gefördert werden. Die Kinder waren wirklich arm.

Das war auch in Wimmersdorf so?

In Wimmersdorf war es nicht anders. Der finanzielle Druck war ja so stark. Die Gemeinde Wien hat so wenig gezahlt. Aber nicht aus Willkür, sondern weil dem Jugendamt einfach keine finanziellen Mittel zur Verfügung standen. Die Öffentlichkeit hat auch damals, im Gegensatz zu heute, kein Verständnis für Heimkinder gehabt. Man muss bedenken, dass es in den Wiener Krankenanstalten schmutzige, abgewohnte Krankensäle mit 30 Betten gegeben hat. Dort wurden sogar, heute undenkbar, medizinische Eingriffe vorgenommen. Jetzt gibt es eine Beschwerdestelle für Patienten, und so eine Stelle sollte auch für Jugendliche eingerichtet werden.

Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Den Zöglingen in den städtischen Heimen ist es ja noch schlechter gegangen. Die Heimzöglinge von der Hohen Warte waren miserabel gekleidet. In Wimmersdorf hat die Frau Direktor ihre Pension nicht für sich, sondern für die anvertrauten Zöglinge verwendet und hat dadurch eine individuelle Kleidung ermöglicht.

Wie lange waren Sie als Erzieher im Heim?

Ich war rund zwei Jahre von 1967 bis 1969 in Wimmersdorf Erzieher. Dann bin ich in die Privatwirtschaft gegangen, habe aber weiterhin im Heim gewohnt, war in das Heimgeschehen integriert und habe auch regelmäßig Ausflüge mit Heimkindern unternommen. Dabei habe ich immer meinen Sohn mitgenommen, der sich in die Reihe der Zöglinge einreihte und mit den Zöglingen auch das beste Verhältnis hatte.

Bei meiner Tätigkeit in der Privatwirtschaft habe ich bei geringerer Anstrengung mehr verdient und habe auch mehr Freizeit gehabt. Da habe ich richtig erkannt, wie anstrengend der Job eines Erziehers ist. Deshalb findet man auch keine Leute dafür. In einer solchen Situation kommt es zwangsläufig zu negativen Auslesen. Deshalb kann man aber nicht eine ganze Berufsgruppe pauschal diffamieren.

Einmal war ich in der Hohen Warte bei einem psychologischen Vortrag mit Arbeitskreis. Dabei haben sich die Teilnehmer vorgestellt, alles Erzieher und Erzieherinnen. Ich war der einzige, der selbst ein Kind hatte. Alle anderen waren kinderlos und ohne partnerschaftliche Beziehung. Das waren lauter Einzelpersonen. Ich habe mir damals gedacht, dass dies dem Dienstgeber auffallen müsste. Jetzt, wo aufgedeckt wurde, dass es in manchen Heimen zu sexuellen Übergriffen gekommen ist, kann ich mir das vorstellen.

Gab es auch in Wimmersdorf sexuelle Übergriffe?

Nein, in Wimmersdorf nicht. Das kann ich dezidiert ausschließen. Und zwar deshalb, weil dies hätte nicht geheim gehalten werden können. Die Kinder haben scharf beobachtet. Es wäre schon aus Sensationslust zur Aufdeckung gekommen. So eingeschüchtert wie in anderen Heimen waren unsere Kinder nicht. Irgendwelche Straftaten an Kindern sind nicht verübt worden. Weder sexuell noch gewalttätig.

Sexuelle Übergriffe zwischen den Burschen?

Höchstens, wie es auf allen Schulskikursen vorkommt. Sexuelle Handlungen gab es sicher, wie es wohl auch bei Pfadfindertreffen vorkommt. Wenn ich an das Ferienlager als Kind denke und an meine Skikurse als Schüler, so kann ich mich erinnern, dass es bei jeder dieser Veranstaltungen immer Mitschüler gegeben hat, die in dieser Richtung etwas unternommen haben, die waren aber in der Minderheit.

Mir wurde erzählt, dass Heimkinder Ihr Auto waschen mussten. Und dass die Kinder das Schwimmbad mit einer ätzenden Flüssigkeit reinigen mussten, wobei einige in Ohnmacht gefallen seien.

Niemand ist bei uns in Ohnmacht gefallen! Aber zuerst zum Autowaschen:

Ja, zwei, drei Mal, haben Kinder mein Auto gewaschen, aber die haben sich direkt darum gerissen, weil sie dadurch von der Gruppe weggekommen sind. Das Leben in der Gruppe war so unattraktiv. Aber da kann man niemand verantwortlich machen, das ging organisatorisch nicht anders. Mein PKW war übrigens immer im Bereich des Kinderheims geparkt. In all den Jahren ist es nicht zu einer einzigen mutwilligen Beschädigung gekommen. Regelmäßig haben Kinder für meine Frau und mich Kaffee zubereitet. Die Kaffeemaschine stand in unserer Wohnung. Das jeweilige Kind war bei dieser Arbeit unbeaufsichtigt. Dann wurde der fertige Kaffee gebracht, und das war mit längeren Wegen durch Gänge verbunden. Die Situation war auch hier so entspannt, dass wir nie daran gedacht hätten, dass uns eines der Kinder in den Kaffee spuckt. In anderen Heimen wie Wilhelminenberg, Hohe Warte oder Biedermannsdorf wäre das undenkbar gewesen.

Zu der Behauptung, man hätte ein Schwimmbad reinigen müssen, möchte ich folgendes sagen: Als die Missstände in diversen Heimen aufgedeckt wurden, ist eine winzige Gruppe von Ex-Zöglingen aufgetreten, die behauptet hat, im Kinderheim Wimmersdorf hätte es ähnliche Zustände gegeben, sie wären zu schweren Arbeiten herangezogen worden und deshalb stünde ihnen eine finanzielle Entschädigung zu. Wegen ihrer Vorstrafen wie Brandstiftung, Tierquälerei, Einbruch, schwerer Körperverletzung und jahrelangem Aufenthalt in Stein wäre es sinnvoll gewesen, deren Angaben einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das ist nicht geschehen, denn alle haben vom Weissen Ring eine Entschädigung erhalten. Das verstehe ich nicht, denn der Weisse Ring hat es sich zur Aufgabe gemacht, Opfer von Verbrechen zu unterstützen und Ihnen Spendengelder zukommen zu lassen. Wieso verteilt der Weisse Ring Spendengelder an Leute, die aus Spaß Tiere langsam umbringen und schwer vorbestraft sind?

Zu der Zeit, in der diese Ex-Zöglinge im Kinderdorf Wimmersdorf gewesen sind, waren auch andere Zöglinge dort. Häufig aus übelsten häuslichen Verhältnissen. Nach jahrelangem Aufenthalt ergriffen sie einen Beruf, gründeten eine Familie und wurden nicht straffällig. Das ist der Regelfall. Viele hielten weiterhin Kontakt mit ehemaligen Erziehern, kamen wieder in das Heim, stellten ihre Familien vor, und oft kam es auch zu einem jahrelangen Briefwechsel. Diese Ex-Heimkinder, die es ebenfalls im Leben immer schwer gehabt haben, bekommen keine Entschädigung. An die Ausnahmen, also jene mit schweren Vorstrafen, werden vom Weissen Ring Spendengelder verteilt.

Ein ehemaliger Zögling schildert, dass für ihn das Heim Wimmersdorf schlimmer als der Spiegelgrund zur Nazi-Zeit war. Er war in beiden Heimen.

Da haben wir einen anderen, der war in der Nazi-Zeit bei uns im Heim und schreibt, dass er nur das Beste über die Frau Direktorin berichten kann. Mein Schwiegervater war notgedrungen Parteimitglied, aber nie aktiv.

Die Schwiegermutter auch

Ja. Und der Schwiegervater war Bürgermeister, weil es die einzige Möglichkeit war, der deutschen Wehrmacht zu entkommen. Irgendwelche Nazi-Handlungen hat es nie gegeben.

Mussten Sie auch wochenlang Milchnudeln essen?

Nein, natürlich nicht. Auch niemand anderer musste wochenlang Milchnudeln essen. Richtig ist, dass es manchmal Milchnudeln gegeben hat. Die haben den Erziehern genauso wenig geschmeckt wie den Kindern.

Schwester Mimi soll eine fürchterliche Schlägerin gewesen sein. Zum Beispiel bei der Kleidungsausgabe.

Die Tante Mimi war streng und unbeliebt. Sie war aber keine Schlägerin.

Ein Heimkind erzählt von alten, gestopften Unterhosen.

Vielleicht gab es alte Unterhosen. Die Kleidung war teils privat, teils aus dem Heim. Wir waren ein offenes Heim. Die Kinder sind in das Dorf gegangen, ein Teil ist nach Sieghartskirchen in die Schule gefahren, und die waren immer zeitgemäß angezogen. Die Frau Direktor hat bei der Kleidung privates Geld dazugegeben und hat auch Bekleidungswünsche der Kinder erfüllt. Zum Beispiel hat sie es ermöglicht, dass sich Heimkinder selbst die Schuhe auswählen konnten. Dann ist es schon vorgekommen, dass sich Zöglinge die teuersten modischen Schuhe besorgt und anschließend damit Fußball gespielt haben.

Mehrere ehemalige Zöglinge erinnern sich, dass sie von der Heimleiterin windelweich geprügelt wurden. Mit Schlapfen, mit der Hundeleine, mit Fäusten und Füßen.

Zum Thema Ohrfeigen übergebe ich Ihnen ein Schreiben eines ehemaligen Heimzöglings. Darin schreibt er, dass er vier Jahre lang Zögling im Kinderheim war und nur das Beste über die Heimleiterin berichten kann. Sie war streng und natürlich hat es auch manchmal Ohrfeigen gegeben, aber niemals Misshandlungen. Sie war immer sehr um unser Wohlergehen besorgt.

Berüchtigt soll der Teppichklopfer der Heimleiterin gewesen sein.

Die Frau hat in ständiger Angst gelebt, dass ein Kind krank wird oder sich verletzt.

Eine Erzieherin soll Heimkinder zum Heim nach Judenau mitgenommen haben und ihnen dort zwei behinderte Mädchen zum Sex zugeführt haben.

Also das halte ich für ausgeschlossen. Das hätte sich im Heim in Windeseile verbreitet. Da viele Kinder sehr aufgepasst haben. Das wäre aus Neid, Sensationslust und Imponiergehabe sofort durchgesickert. Nur bei sexuellen Handlungen der Buben untereinander wurde geschwiegen. Alles, was Mädchen betroffen hat, Liebesbriefe, Küsse bei den wöchentlichen Ausgängen, Treffen oder Ähnliches hat sofort im Heim die Runde gemacht.

Es war 1980 auch ein Mädchen in Wimmersdorf.

Ja. Das war die Schwester eines Heimzöglings, und die Schwiegermutter hat sich von der MA11 breitschlagen lassen und hat sie aufgenommen, weil sie von ihrem Bruder nicht getrennt werden sollte. Daraufhin mussten unter Anleitung des Jugendamtes Veränderungen im sanitären Bereich und im Schlafbereich durchgeführt werden. Sie musste in einem getrennten Schlafbereich zu den Buben in unmittelbarer Umgebung einer Erzieherin schlafen. Wenn diese Erzieherin im Urlaub war, musste gemäß MA11 eine andere Erzieherin im unmittelbaren Nahbereich ständig für das Mädchen erreichbar sein.

Sie hat im Schlafsaal mit den Buben geschlafen?

Das kann ich mir nicht vorstellen, denn meine Schwiegermutter hat die Anweisung des Jugendamtes immer befolgt.

Das Mädchen soll bei den Burschen untergebracht gewesen sein und dort vielfach vergewaltigt worden sein.

Das weiß ich nicht.

Warum glauben Sie, werden nun von vielen ehemaligen Zöglingen diese Anschuldigungen erhoben?

Ich sage Ihnen, dass das mit finanziellen Forderungen einer kleinen Gruppe von Ex-Zöglingen zusammenhängt. Es ist klar, dass die Opfer von Klöstern und von Heimen nie zu einer Entschädigung gekommen wären, wenn sie nicht laut aufgeschrien hätten und dadurch auf sich aufmerksam gemacht hätten.

Nur gibt es Gruppen von schwer Vorbestraften, denen eigentlich keine Entschädigung zusteht, die aber am lautesten schreien, und die Erfahrung gemacht haben, dass man auf Grund von Verleumdungen mit größeren Geldzuweisungen rechnen kann. Da ist einiges außer Kontrolle geraten.

Vor zwei Jahren wurde Missbrauch und Gewalt im Bereich der katholischen Kirche aufgedeckt. Nach einiger Zeit auch in Heimen der Stadt Wien. Für die weitere Bearbeitung im kirchlichen Bereich wurde die Klasnic-Kommission eingerichtet und für die Wiener Heime die Dr. Helige-Kommission. Beide Damen verfügen in der Öffentlichkeit über hohes Ansehen und haben sich ausbedungen, dass sie unabhängig, also unbeeinflusst, arbeiten können.

Frau Klasnic hat jeden Fall einzeln betrachtet und dann finanzielle und therapeutische Maßnahmen zuerkannt. Sie hat geholfen. Generelle Angriffe auf die Kirche hat sie nicht zugelassen. Kein kirchlicher Entscheidungsträger wurde in diese Angelegenheiten hineingezogen. Einige wenige kirchliche Institutionen müssen noch mit Klagen rechnen, sonst ist aber durch die Arbeit der Klasnic-Kommission eine Beruhigung eingetreten.

Frau Dr. Helige hat eine andere Vorgangsweise gewählt. Sie trifft generelle Aussagen und lässt keine Gegenstimmen zu. Ich habe sie zwei Mal angeschrieben und keine Antwort erhalten. Jetzt werden sogar der Bürgermeister Häupl, der Stadtrat Oxonitsch und Dr. Jesionek angegriffen. Die Opfer, die finanzielle Entschädigung erhalten haben, sind unzufrieden. Jeder glaubt, er wäre ungerecht behandelt worden, weil andere höhere Beträge erhalten hätten. Die Stadt Wien muss in Zukunft mit einer Vielzahl an Klagen rechnen. Durch die Dr. Helige-Kommission ist keine Beruhigung eingetreten. Ich bemühe mich, sachlich zu bleiben, aber hier bin ich der Meinung, dass Frau Dr. Helige ein Chaos verursacht hat.

Frau Dr. Helige stellt Tatsachen fest. Erklärt einschränkend dazu, dass ihre Kommission nicht mit einem Gericht vergleichbar ist und übersieht dabei, dass ihre Feststellungen in der Praxis die Auswirkungen von letztinstanzlichen Gerichtsurteilen haben. Sie missachtet den Grundsatz „Audiatur et altera pars“. Das begründet sie damit, dass mit den meisten Verantwortlichen nicht mehr gesprochen werden kann, weil sie bereits verstorben sind. Und was ist mit den noch Lebenden? Mir verwehrt sie das Recht auf Stellungnahme. Auf diese Weise erzeugt sie kein sicheres Wissen, und ihre Untersuchungen sind so angelegt, dass sie Verleumdern Tür und Tor öffnet, und meine Familie und ich sind die Leidtragenden.

Irmtraut Karlsson hat herausgefunden, dass Wimmersdorf gemeinsam mit dem Wilhelminenberg und der Hohen Warte eigentlich bereits 1975 sofort geschlossen hätte werden müssen.

Es ist mir unverständlich, dass Frau Karlsson das Kinderheim Wimmersdorf im gleichen Atemzug wie Wilhelminenberg und der Hohen Warte nennt. Dort waren die Kinder eingesperrt. Wenn sich sadistische Erzieher, Lehrer oder Geistliche in diesem schlechten Sinn entfalten möchten, brauchen sie dazu eine ganz bestimmte Voraussetzung, nämlich eine geschlossene Einrichtung. Immer spielt sich alles hinter dicken Klostermauern ab oder an anderen besonders abgeschirmten Orten wie eben am Wilhelminenberg oder in der Hohen Warte. Damit nichts herauskommt, müssen die leidenden Kinder total von der Außenwelt abgegrenzt sein, und in diesen beiden städtischen Heimen waren sie das oft jahrelang. Frau Karlsson hätte doch den Unterschied bemerken müssen. Das Kinderheim Wimmersdorf war ein offenes Heim mit zuerst monatlichen Ausgängen. Im Laufe der Jahre ist das immer liberaler gehandhabt worden und zuletzt gab es an jedem Wochenende Ausgang. Da sind also die 80 Kinder am Samstag nach Wien gefahren, und sind dann am Sonntag wieder vollzählig ins Heim zurückgekommen.

Dem Vernehmen nach soll es in diesen beiden Heimen auch keine Kontrolle gegeben haben. Wimmersdorf wurde ständig kontrolliert. Zum Beispiel von der Kinderärztin Frau Dr. L. Die Familie dieser feinfühlenden Dame ist von den Naziverbrechern ausgerottet worden. Es ist daher anzunehmen, dass sie besonders sensibel bei Misshandlungen reagiert hätte. Jahrelang hat diese Ärztin den Gesundheitszustand sämtlicher Heimkinder sehr gründlich kontrolliert.

Gerne hätte ich auch Frau Karlsson die vielen Briefe gezeigt, die meine Schwiegermutter bis zu ihrem Tod von ehemaligen, dankbaren, Heimkindern bekommen hat.

Die ORF2-Sendung Am Schauplatz bemüht sich immer möglichst viele Seiten einer Geschichte darzustellen. Auch in der Reportage „Gestohlene Kindheit“ vom 17. August 2012 und der Folgesendung „Albtraum Heim“ (9.11.2012) haben wir ErzieherInnen und LehrerInnen zu Wort kommen lassen. Teil beider Sendungen war auch das Kinder-Heim Wimmersdorf. Eine ehemalige Erzieherin wohnt direkt neben dem Heim, ihr Sohn hat uns spontan ein Interview gegeben. Der Erzieher Z. hat davon erfahren und sich bei unserem Kundenservice gemeldet. Ich habe mit ihm länger am Telefon gesprochen und ihn danach im ORF getroffen. Er hat mir Postkarten und Briefe damaliger Zöglinge an die Direktorin gezeigt, für ihn ein Beleg, dass es im Heim doch gar nicht so schlecht gewesen sein könne. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er die Briefe auch vor der Kamera zeigen könne, ich ihn aber natürlich auch mit Aussagen über Gewalt und Missbrauch konfrontieren würde. Im Gespräch hat Z. vieles bestätigt, was die Zöglinge erzählt haben, etwa, dass die Direktorin in der Küche mit der Peitsche drohte, ein Erzieher mit dem Gewehr auf Kinder zielte oder dass es fast KZ-mäßig harte ErzieherInnen gab. Leider wollte Herr Z. dann, anders als zu Beginn von ihm selber gefordert, doch kein Interview vor der Kamera geben. Er sagte er sei krank außerdem könne er das der Familie nicht antun (er ist der Schwiegersohn der verstorbenen Direktorin). Auch anonymisiert nicht. Ich habe das sehr bedauert, weil es für unsere Zuschauer spannend gewesen wäre. Bis heute steht das Angebot für ein Interview. Seltsamerweise hat Herr Z. in vielen Briefen an den ORF gedroht, er werde seinen Anwalt einschalten, weil er kein Interview geben hätte dürfen. Ich vermute, dass er mit diesen Mitteln versuchen wollte, eine Berichterstattung über das Kinderheim Wimmersdorf zu verhindern. Der ORF lässt sich aber selbstverständlich von niemandem vorschreiben, was berichtet werden darf.

"Ich verweise lediglich darauf, dass sich die Wilhelminenbergkommission - ausschließlich, aber dafür detailliert - mit den Vorgängen am Wilhelminenberg auseinandergesetzt hat. Herr Z. war nie am Wilhelminenberg beschäftigt und ist daher von den Erkenntnissen in keiner Weise betroffen. All jene Personen, gegen die Vorwürfe erhoben wurden, erhielten Gelegenheit Stellung zu nehmen. Wo das aufgrund von deren Ableben nicht möglich war, kommt das im Bericht zum Ausdruck. Im übrigen verweise ich auf den Bericht und die darin enthaltene Darstellung der Methodik der Kommission."

In unserer Heimkinderstudie 1974 wurden die Heime , in denen Kinder durch die Stadt Wien untergebracht waren, einzeln und unabhängig voneinander sorgfältig beobachtet und untersucht. Ein ausführliches Heimleiterinterview gab diesen die Möglichkeit ihr Heim zu beschreiben. Danach wurde ein "Restriktionsindex" gebildet. In dem Ende der Woche erscheinenden Buch: "Verwaltete Kindheit- der österreichische Heimskandal"(Kral Verlag) wird dieses Verfahren ausführlich beschrieben. Mindestens elf Heime, darunter Wimmersdorf, hätten nach diesem Prüfverfahren sofort geschlossen gehört. Es wurden also nicht Heime miteinander verglichen, sondern einzeln und unabhängig voneinander beurteilt.