"Der Präsident heißt Fischer Heinz"
Von Jürgen Zahrl
Wie heißt der Bundespräsident von Österreich? "Fischer", antwortet Mohammad, ohne nachdenken zu müssen. Beim Vornamen hilft ihm der Anfangsbuchstabe auf die Sprünge: "Heinz." Der 18-jährige Afghane lebt seit neun Monaten in Tulln und beweist, dass er seine neue Heimat schätzt und wissenshungrig ist. Auch wenn er nicht jede Frage auf Deutsch sofort versteht, hat er eine Antwort parat: "Jo!" Mohammad hofft, seinen gelernten Mechanikerberuf bald in Österreich ausüben zu dürfen.
Der 18-Jährige ist einer von 150 Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und Iran, die in fünf Containerdörfern und Privatquartieren in Tulln (NÖ) untergebracht sind. Dass die Integration funktioniert, dafür sorgen rund 250 Ehrenamtliche, die anhand einer strukturierten Datenbank binnen weniger Minuten verfügbar sind oder mit Sachspenden helfen wollen. Zudem liefert ein eng verzweigtes Betreuungsnetz zwischen Stadt, Vereinen und Organisationen die Hauptversorgung.
"Von Anfang an war klar, dass bei der Flüchtlingsbetreuung Arbeit, Fortbildung und Freizeit im Fokus stehen muss. Sonst führt die Wartezeit die Asylwerber in die Depression und Aggressivität", sagt Tullns Bürgermeister Peter Eisenschenk, ÖVP. Bisher habe es einen Zwischenfall gegeben, bei dem aber noch nicht klar ist, ob ein Asylwerber oder ein Einheimischer Frauen begrapscht hat.
Auch wenn es zunächst da und dort Widerstände gegeben hat, sei die Stimmung unter den Anrainern längst ins Positive gekippt. "Viele berichten von schönen Momenten", sagt Wolfgang Apfelthaler, Leiter der "Flüchtlingshilfe Tulln". Er koordiniert gemeinsam mit dem Roten Kreuz die Deutschkurse und Freizeitaktivitäten wie Basketball, Laufen oder Musik.
Kompass
Damit keiner planlos durch Tulln irren muss, hat jeder Asylwerber gleich bei seiner Ankunft einen eigens von der Stadt angefertigten Leitfaden für Flüchtlinge bekommen. Die Orientierungshilfe mit dem Titel "Der Kompass" ist in vier Sprachen verfasst und enthält Infos über Österreich, den Probealarm, die Gleichstellung von Mann und Frau, Verkehrsregeln, Öffnungszeiten oder QR-Codes, mit deren Hilfe der Weg zum Supermarkt auf dem Smartphone angezeigt wird.
"Bei uns haben die Flüchtlinge eine Berechtigungskarte, um im Sozial-Markt einkaufen zu können", sagt Dominik Binder, Geschäftsführer des Roten Kreuzes Tulln. Er und seine Kollegen kümmern sich darum, dass Arzt- und Behördentermine eingehalten werden, die Infrastruktur in den Containerdörfern reibungslos funktioniert und dass Schüler und Kinder in umliegenden Schulen und Kindergärten untergebracht sind. Die Kunst in der Betreuung liegt vor allem darin, die Balance zwischen Langeweile und Überforderung zu finden, glaubt Apfelthaler: "Die Flüchtlinge brauchen auch Zeit, um Kontakt zu ihren Familien halten zu können."
Trotzdem geht es den Asylwerbern nicht schnell genug. "Wir wollen gerne arbeiten", sagt der 25-jährige Saif aus dem Irak. Zumindest Minijobs kann die Gemeinde anbieten. "3,50 Euro pro Stunde für Blumengießen, Malen, Reinigen und Baumschnitt", erklärt Eisenschenk. Mehr geht im laufenden Asylverfahren nicht. Daher nutzt Kamaran, 49, seine Zeit, um Bilder zu malen. Seine Kunstwerke zeigt er auf Facebook unter "Pecasso Art".