"Die meisten kommen aus Favoriten"
Von Jürgen Zahrl
"Für uns war entscheidend, dass die Verkehrsanbindung passt, der Weg zum Arbeitsplatz nicht allzu weit ist; Nahversorger, Kindergarten und Schulen im Ort sind", erklärt Klaus Loidolt. Daher ist der 33-jährige Familienvater mit seiner Ehefrau Daniela, 31, und seinen beiden Kindern nach Vitis im Bezirk Waidhofen an der Thaya gezogen. Er hatte Glück. Für seinen Traum vom Einfamilienhaus war ein leistbarer Baugrund gerade frei.Durch die zentrale Lage und Nähe zur Franz-Josefs-Bahn gehört die 2700 Einwohner zählende Gemeinde zu den wenigen Orten im Waldviertel, die derzeit ständig neue Grundstücke benötigen. Trotz Zuzugs kann die Einwohnerzahl (zumindest) gehalten werden.
Schrumpfen
Auch wenn das Waldviertel aufgrund negativer Geburtenbilanzen nach wie vor schrumpft, gibt es inzwischen positive Zahlen zu verbuchen. "Seit 2010 sind über 1500 Hauptwohnsitzer dazugekommen", freut sich Josef Wallenberger, Regionalberater und Projektleiter der Initiative "Wohnen im Waldviertel". Einen weiteren Lichtblick liefern die Daten des Vorjahres. Alleine 2015 ist das Waldviertel um 750 Personen gewachsen – zwar nur aufgrund des Flüchtlingszuzugs, aber immerhin. In fast allen Gemeinden – bis auf Zwettl: minus 0,2 Prozent – wurde ein Bevölkerungsplus erzielt.
In erster Linie ist "Wohnen im Waldviertel" das regionale (Web-)Instrument von derzeit insgesamt 56 Waldviertler Gemeinden, um freistehende Häuser, verfügbare Grundstücke und offene Arbeitsplätze über das Internet anbieten zu können. "Interessant ist, dass die meisten Zuzügler im Waldviertel aus dem 10. Wiener Gemeindebezirk (Favoriten) stammen. Offenbar ist dieser Bezirk schon überhitzt", erklärt Wallenberger und bestätigt, dass immer mehr Städter ihren teuren Wohnraum in den Ballungszentren aufgeben wollen, um auf dem Land – günstiger und mitten in der Natur – leben zu können.
Herausforderung
Trotzdem wird die demografische Verschiebung zur größten Herausforderung des Waldviertels. "Fehlende Bewohner im erwerbsfähigen Alter kann eine Region nur schwer verkraften", erklärt Wallenberger. Maßnahmen müssten entwickelt werden. Er gibt Forscherin Ger-lind Weber (siehe auch Zusatzbericht) recht: Ein "Labor für komfortables Altwerden" wäre eine Zukunftschance.
Um dafür die Voraussetzungen zu schaffen, sei ein intelligentes Öffi-Netz, das etwa aus Gemeindebussen, Car-Sharing und Mitfahrgelegenheiten besteht, wichtig. Dazu zählt auch eine attraktive Franz-Josefs-Bahn. Wie berichtet, wird derzeit an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet. "Es geht nicht nur um eine kürzere Fahrzeit nach Wien, sondern auch um Handy-Empfang und drahtlose Internetverbindung (WLAN) im Zug", betont Wallenberger.
Erreichbarkeit sei auch der Schlüssel für den touristischen Erfolg der Region. "Mit dem Fokus auf Natur, Gesundheit und Genuss sind wir gut aufgestellt. Aber wir brauchen auch ein verfügbares Busnetz am Wochenende, um nichtmobile Touristen zu unseren Sehenswürdigkeiten zu bringen", meint Andreas Schwarzinger, Chef der "Destination Waldviertel".
Nachgefragt: Moderne Alterswohnsitze als Chance
Gerlind Weber leitet das Institut für Raumplanung an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien. Seit Jahren ist der ländliche Raum ihr Forschungsgebiet. Sie kennt die Probleme und Chancen des Waldviertels genau.
Der Abwärtstrend – auch wegen der negativen Geburtenbilanz – sei weiterhin spürbar. „Noch immer sind es die 20- bis 40-Jährigen, die das Waldviertel verlassen. Zurück bleiben die älteren Bewohner“, erklärt Weber. Die Region müsse sich darauf einstellen. „Schrumpfen muss aber kein Schreckgespenst, sondern kann auch eine Chance sein“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt.
Sie hat einige Vorschläge, wie sich das Waldviertel in Zukunft besser positionieren könnte. Zumal die Region als traditionelle Genuss-, Natur- und Gesundheitsdestination weithin bekannt ist. „Eine Möglichkeit wäre, das Waldviertel als Musterregion für das ’Altern der Zukunft’ zu nutzen. Was spricht gegen einen modernen Alterswohnsitz im Grünen? Das wäre aus meiner Sicht eine ganz wichtige Sache“, betont Weber.
Die Forscherin verlangt gleichzeitig ein Umdenken der Politik. „Mittlerweile gibt es ganze Straßenzüge, die brach liegen. Daher ist es notwendig, die Wohnbauförderung viel stärker auf den Rückbau großer, verlassener Häuser und alter Höfe zu lenken. Das Förderprogramm ist noch zu stark auf den Neubau fokussiert“, meint Weber.
In der Kärntner Nockregion sei man schon viel weiter: „Dort gibt es bereits eine Demografie-Beauftragte, die als erste Aufgabe einen Leerstandskataster erstellt.“ Danach könnte man auch Wächterhäuser vergeben: Darin leben Leute, die darauf achten müssen, dass die Bausubstanz des Hauses nicht verfällt.