Chronik/Niederösterreich

Die Angst vor der rechten Spur steigt

Freitagvormittag auf der Westautobahn; Polizist Willy Konrath sitzt am Steuer einer Zivilstreife. Ihm ist ein VW aufgefallen, der seit einiger Zeit mit 120 km/h auf der mittleren der drei Fahrspuren fährt. Auch als die rechte Spur frei wird, wechselt der Lenker den Fahrstreifen nicht. Konrath folgt dem VW unauffällig, dann überholt er den Wagen, beobachtet die Situation im Rückspiegel. Sekunden später hört man ein kurzes Surren, das Blaulicht wird aktiviert, hinter der Heckscheibe erscheint das Signal "Polizei Bitte Folgen!" Scheinbar fühlt sich nicht nur der VW-Fahrer angesprochen, denn gleich mehrere Autos folgen der Zivilstreife auf den Parkplatz.

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"Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte", sagt Konrath. Er blickt dabei in ein erstauntes Gesicht. Alfred E., der VW-Fahrer, ist sich keiner Schuld bewusst. Bis der Polizist den Salzburger aufklärt, dass auf Autobahnen und Schnellstraßen das Rechtsfahrgebot gilt. Dem Pensionist ist auch nicht aufgefallen, dass sich hinter ihm bereits eine Kolonne gebildet hatte.

Gefahr

80 Prozent aller Lenker fühlen sich durch Linksfahrer gestört. Das hat eine Internet-Umfrage des Autobahnbetreibers Asfinag ergeben, der nun mit einer Kampagne auf dieses Problem aufmerksam machen will. Denn die Folgen des Linksfahrens sind gefährlich: Laut der Umfrage lässt sich jeder Zweite dadurch zum verbotenen Rechtsüberholen verleiten. Zudem gelten Linksfahrer bei mehr als drei Viertel der anderen Verkehrsteilnehmer als Stressauslöser.

Bewusstseinsbildung

"Mehr Aufklärung, beispielsweise über Hinweisschilder am Straßenrand, Überkopf-Anzeiger, Bodenmarkierungen und eine verstärkte Thematisierung in der Fahrausbildung können mithelfen, dass die Vorschrift in der Praxis eingehalten wird", sagt ÖAMTC-Verkehrsexperte Felix Etl.

Dass Bewusstseinsbildung in diesem Bereich dringend notwendig ist, ist auch anhand der Strafen abzulesen. Allein in Niederösterreich wurden im Vorjahr rund 8000 Geldstrafen wegen Linksfahrens verhängt. Dass diese Zahlen steigen, hängt aber auch mit den Ausbau der Autobahnen zusammen.

Zurück auf die A1, Höhe Melk. Ein Suzuki gleitet auf der mittleren Spur gemächlich über die Autobahn. Auch in diesem Fall wird der Verkehrsfluss blockiert, obwohl der rechte Fahrstreifen frei wäre. Im Wagen sitzen zwei Frauen, die auf dem Weg in den Thermenurlaub sind.

Auch hier ist die Überraschung groß, als sie angehalten werden. "Ich habe einmal gehört, dass in Deutschland das Rechtsfahrgebot gilt. Aber bei uns auch?", zeigt sich die Dame verwundert. Konrath gibt sich viel Mühe, um den Sinn dieses Gebots zu erklären. Die Worte scheinen anzukommen, man verspricht Besserung.

Freilich: Auch die Raser und Drängler bleiben an diesem Vormittag nicht ungeschoren. Ein silberner Bolide schießt mit Tempo 180 an der Zivilstreife vorbei – die Lenkerin dürfte die Autobahn mit einer Rennstrecke verwechselt haben. Blaulicht, Anhaltung an einer Raststätte. Sie kann nicht erklären, warum sie gerast ist. Ihr Mitfahrer, der am Beifahrersitz in einen Laptop tippt, lässt nur folgenden Satz fallen. "Wenn’s so deppert fahrt, soll’s zahlen, die S.."

"Ich könnte ein Buch darüber schreiben, was man alles auf der Autobahn erlebt", schüttelt Konrath den Kopf.

Man glaubt es ihm aufs Wort.

Seit mehr als fünf Jahrzehnten ist das Rechtsfahrgebot in der Straßenverkehrsordnung (StVO) festgelegt. Es besagt im Wesentlichen, dass Fahrzeuglenker so weit rechts fahren müssen, wie ihnen dies zumutbar und möglich ist.

Die Zumutbarkeit wird unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs beurteilt. Durch das Rechtsfahren dürfen andere Straßenbenutzer nicht gefährdet, behindert oder belästigt werden. Darüber hinaus darf der Fahrer sich nicht selbst gefährden oder Sachen beschädigen.

Wer gegen dieses Gebot verstößt, muss 30 Euro Bußgeld zahlen. Pkw-Lenker, die sich durch einen Linksfahrer zum Rechts-Überholen verleiten lassen, müssen 50 Euro berappen.