"Ein Flächenbrand der Hilfe"
Von Stefan Sailer
Mit dem letzten Flugzeug haben wir uns nach Österreich gerettet", erinnert sich die damals 11-jährige Merina Thralovic. In ihrer Heimatstadt Prijedor, Bosnien, stand vor 20 Jahren der Bürgerkrieg kurz bevor. Der rettende Zufluchtsort: Poysdorf.
Mit der raschen Flucht war die Familie jedoch nicht allein. "Plötzlich standen 20 Personen am Hauptplatz", erinnert sich Flüchtlingshelferin Maria Loley, "die waren total erschöpft, weinten und waren ratlos." Der Großteil war wochenlang zu Fuß unterwegs, in der Hand hielten manche lediglich ein Plastiksackerl mit den wichtigsten Habseligkeiten. Insgesamt waren rund 100 Erwachsene und Kinder nach dem Ausbruch des Konflikts zu den Verwandten ins nördliche Weinviertel geflüchtet.
Nächstenliebe
Innerhalb einer Stunde organisierte die heute 90-jährige Loley rund 20 Privatquartiere. Einheimische stellten Möbel, Kleider und Lebensmittel zur Verfügung. Eine ältere Frau hatte sogar eines ihrer leer stehenden Häuser verschenkt. "Das war ein Flächenbrand der Hilfe und Nächstenliebe", ist Loley noch heute davon begeistert.
Eine Familie kam bei Hans und Grete Tiwald unter. "Zu Beginn haben wir uns mit Händen und Füßen verständigt", erzählt Grete. Dennoch wurde in der Umgebung sofort nach einem passenden Arbeitsplatz gesucht.
Sprachbarriere
Die Sprachbarrieren waren damals für beinahe alle gleich, Deutschkenntnisse waren kaum vorhanden. Deshalb organisierte Hans Tiwald Deutschkurse. Gemeinsam wurde gelernt. "Außerdem haben mich die Leute motiviert, obwohl ich oft Fehler gemacht habe", erzählt Yousif. Einige Einheimische haben sich sogar um die Kinder gekümmert und mit ihnen gelernt. Die Integration wurde durch eigene Koch- oder Musikfeste gestärkt.
Um der großzügigen Unterstützung eine Struktur zu geben, wurde der Verein "Bewegung Mitmensch" gegründet. Mit Loley als treibende Kraft wurde für jede Familie eine Ansprechperson organisiert. Für Landesrat Karl Wilfing war dies die Basis für den Erfolg.
Knapp ein Fünftel der damaligen Flüchtlinge ist bis heute geblieben. Die Kinder sind mittlerweile erwachsen und haben eigene Familien. Und Poysdorf ist längst zur neuen Heimat geworden.
In Spital am Semmering hat sich die Aufregung ein bisschen gelegt: Dafür sorgte das Versprechen der Innenministerin, das Großquartier in einem 250-Betten-Hotel im Ortsteil Steinhaus so bald wie möglich wieder zu schließen –vorausgesetzt, das Land Steiermark erfüllt seine Quote zu 100 Prozent.
Vor knapp drei Wochen wurde Bürgermeister Reinhard Reisinger (SPÖ) von der Anmietung des Hauses durch den Bund überrumpelt. Spital hat schon 70 Flüchtlinge in Landesbetreuung, bis zu 250 weitere seien für so einen kleinen Ort zu viel, wehrte Reisinger ab. Es ist ein oft gehörtes Argument. Fast immer, wenn Bund oder Land wie zuletzt eine größere Unterkunft in einem kleinen Ort gefunden hatten, kam ein Aufschrei. Und es wurde das Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Ortsbewohnern vorgerechnet. Das war etwa im Salzburger Bad Gastein oder im Tiroler Thiersee so.
Doch der Quartiernotstand ist groß: Im Turnsaal der Landespolizeidirektion in Linz wurden Freitagabend 24 Asylwerber untergebracht. Vier Wochen lang dürfen sie bleiben. Zwischen den Feldbetten wurden Paravents aufgestellt, um ein wenig Privatsphäre zu ermöglichen.
In Kärnten ist seit vergangenen Montag in Bad Eisenkappel ein zweites Asylheim in Betrieb, in dem ausschließlich Frauen (derzeit knapp 20) untergebracht sind. "Für weitere Quartiere haben wir drei, vier Anfragen, über die in der nächsten Woche entschieden wird", sagt Flüchtlingsbeauftragte Barbara Payer. Ihrer Rückschiebung nach Italien wollten sich am Samstag in Tirol vier im Zug aufgegriffene Flüchtlinge entziehen. Sie entkamen, wurden aber wenig später festgenommen.