Murkraftwerk: "Keine Geheimaktivitäten"
Trocken ist das alte Flussbett noch nicht. "Das dauert noch", betont Andreas Fürst, einer der Projektleiter der wohl bekanntesten Baustelle von Graz: jene des Murkraftwerkes im Bezirk Puntigam.
Seit ein paar Wochen fließt die Mur einen Umweg, damit auf ihrem angestammten Platz das Kraftwerkshaus errichtet werden kann. Im November sollen dafür die Fundamente gelegt werden, 2019 soll die Staustufe Puntigam in Betrieb gehen und laut Energie Steiermark Strom für 20.000 Haushalte liefern.
Doch selten war ein Projekt so sehr umstritten, in der Politik wie in der Zivilgesellschaft. Es gab Widerstandscamps am Murufer, Projektgegner blockierten die Baustellen, Historiker sorgen sich um den Umgang mit den Resten eines NS-Zwangsarbeiterlagers. Die Grazer Politik spaltete sich, Schwarz-Rot-Blau dafür, KPÖ und Grüne dagegen. Konzernsprecher Urs Harnik-Lauris kontert jedoch mit den Ergebnissen einer Umfrage (550 Befragte): Vier Fünftel der Befragten sind demnach für das Kraftwerk. Unter den restlichen 20 Prozent seien auch nur sieben Prozent "absolut dagegen".
Zuschauen erwünscht
Aber die Zeit für Debatten um das Für und Wider scheint ohnedies längst vorbei. Die Baustelle verändert sich rasant, das können Spaziergänger und Radfahrer selbst sehen: Ein Teil des Murradweges wurde provisorisch auf eine Brücke bei der Baustelle verlegt. "Wir haben sogar eine Plattform eingerichtet, damit die Leute stehen bleiben können", sagt Andreas Fürst. "Baustellentourismus" nennt das Konzernsprecher Harnik schmunzelnd. "Wir haben intern natürlich darüber diskutiert, dass der Radweg direkt über die Baustelle läuft." Man habe sich aber bewusst für Transparenz entschieden: "Jeder, der hier vorbei kommt, kann sehen, dass hier keine Geheimaktivitäten stattfinden."
Die Otter blieben
Auch Ökologin Sara Weiß inspiziert die Baustelle regelmäßig. Auf einer meterhohen Mauer, die später in das Kraftwerkshaus integriert soll, entdeckte sie Spuren von Fischottern. An der Böschung selbst gibt es Höhlen und Aufstiegshilfen für die Otter, denen Bautätigkeit oder Lärm offenbar nichts anhaben. "Es sind neugierige Tiere und nicht wirklich schreckhaft."
Sie blieben da, während andere abgesiedelt werden mussten, so sieht es die Umweltverträglichkeitsprüfung vor. Würfelnattern zählen dazu und Fledermäuse, auch Fische. Elf unterschiedliche Arten wurden aus dem Bereich der Mur gefischt, beschreibt Weiß. 600 Reptilien wurden eingesammelt und ein Stück flussabwärts in Gössendorf ausgesetzt. "Die kommen aber wieder", ist Weiß überzeugt. "Es gibt genug Lebensraum, die Reptilien werden irgendwann wieder von dort unten raufwandern."
Auch Bäume sollen widerkehren: Von jenen Weiden, die am Ufer gerodet worden sind, wurden 1000 Steckhölzer genommen und in Fernitz eingepflanzt. "Die treiben schon", freut sich Weiß. "Das ist genetisches Material der alten Weiden. Was Besseres gibt’s nicht."
Die Staustufe in Graz-Puntigam hat eine lange Vorgeschichte. 2011 reichte die Energie Steiermark (ESTAG) die Unterlagen zur Umweltverträglichkeitsprüfung ein. 2012 wurde das Projekt vom Land Steiermark genehmigt, dann legte die ESTAG das Projekt aber selbst auf Eis (2013), ehe 2014 die Absegnung durch den Verwaltungsgerichtshof als letzte Instanz folgte.
Im September 2016 kam vom Aufsichtsrat der ESTAG grünes Licht für den Bau. Die Plattform "Rettet die Mur" sammelte 10.262 Unterschriften gegen das Projekt. Von der Anzahl her genug, um eine Volksbefragung durchführen zu lassen: Doch die 2012 gesammelten Unterschriften wurden erst im Oktober 2016 eingereicht. Die Stadt lehnte die Befragung aber ab, weil das Kraftwerk zwischenzeitlich alle Genehmigungen hatte.
Der Zwist der Politiker darüber löste Neuwahlen aus, die am 5. Februar 2017 stattfanden. Am 6. Februar wurden die ersten Bäume für das Kraftwerk gerodet.