Kampusch: Eine Zeugin und mehrere Versäumnisse
Der Freitag war ein wichtiger Tag für die Justiz: Ischtar A., die einzige Zeugin der Entführung der Natascha Kampusch, wurde in Innsbruck einvernommen. Ihre Angaben könnten jene fünf Staatsanwälte, die sich zurzeit wegen Amtsmissbrauchsverdachts verantworten müssen, in arge Bedrängnis bringen. Die Ankläger hatten den Fall Kampusch Anfang 2010 mit einem toten Einzeltäter zu den Akten gelegt. Ischtar A. hingegen hatte mehrfach von zwei Tätern gesprochen. Bis sie überraschend ihre Meinung änderte.
Am 2. März 1998 war die zehnjährige Natascha Kampusch in Wien verschwunden.
Ischtar A., damals 12-jährige Mittelschülerin, hat die Tat beobachtet. Zwei Täter will sie im Entführungsfahrzeug erkannt haben, wie sie immer wieder (laut Polizei) glaubwürdig versicherte. Doch dann kam der 3. Dezember 2009. Eine Gegenüberstellung zwischen Opfer Natascha Kampusch und Zeugin Ischtar A. im Bundeskriminalamt Wien. Und siehe da, man einigte sich auf die Einzeltätertheorie (Ischtar A.: "Ich will Kampusch nicht der Lüge zeihen") - über Einwände der ebenfalls anwesenden Mutter der Zeugin, ihre Tochter habe stets von zwei Entführern gesprochen, setzte man sich hinweg.
Tags darauf, am 4. Dezember 2009, wurde ein Amtsvermerk über die seltsame Amtshandlung angefertigt. Problematisch für die Justiz: Die "Gegenüberstellung" verlief nicht gesetzeskonform. Eine Gegenüberstellung ist nämlich wie eine Zeugenvernehmung durchzuführen. Das heißt: Zeugen werden an die Wahrheitspflicht erinnert - falsche Aussagen sind mit bis zu drei Jahren Haft bedroht. Diese Erinnerung blieb aus.
Nächster Punkt: Die Gegenüberstellung wurde - offiziell - laut Paragraf 163 der Strafprozessordnung durchgeführt. In dem Paragrafen heißt es unter Absatz 3 allerdings: "Die einander gegenübergestellten Personen sind über jeden einzelnen Umstand ihrer von einander abweichenden oder einander widersprechenden Aussagen besonders zu vernehmen, die beiderseitigen Antworten sind zu protokollieren. " Und dies ist an jenem 3. Dezember ebenfalls unterblieben.
Das bedeutet: Die Tatzeugin, die sechs Mal davor angegeben hatte (insbesondere auch laut Videoaufzeichnung der Tatrekonstruktion), zwei Täter beobachtet zu haben, wurde eben darauf bei der Gegenüberstellung nicht angesprochen. Ein schwerer Verstoß mit schwerwiegenden Folgen: Denn die Staatsanwaltschaft beendete nicht zuletzt auch auf Basis dieser nicht ordnungsgemäßen Gegenüberstellung die brisante Causa mit der Einzeltätertheorie.
Vor einigen Wochen meldete sich ein Mann bei der Staatsanwaltschaft, der behauptet, Hintergründe zum Fall Kampusch zu kennen. Der wegen Betrugs verurteilte Häftling bezeichnet sich selbst als Mitwisser und meint, dass Wolfgang Priklopil kein Einzeltäter gewesen sei. Gestern hätte der Mann von der Polizei befragt werden sollen. Er lehnte allerdings ab, weil er sich nur einer offiziellen Vernehmung im Beisein seiner Anwältin Andrea Wagner stellen möchte.
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