Chronik/Geschichten mit Geschichte

Klimts Schwiegertochter: "Der Name Klimt sagte mir nichts"

Es war eine ungewöhnliche Beziehung. Er war Klimts Sohn und machte als erfolgreicher Filmregisseur Karriere – auch in der Nazizeit, in der sie als „Halbjüdin“ verfolgt wurde. Sie war um 23 Jahre jünger als er und erbte nach seinem Tod die weltweit größte private Klimt-Sammlung. Heute lebt Ursula Ucicky, 96 Jahre alt, zurückgezogen in Wien. Hier erzählt sie aus ihrem aufregenden Leben.

Hausgehilfin und Modell

„Fünf Jahre sind in meinem langen Leben eine kurze Zeit“, sagt Ursula Ucicky, „aber diese fünf Jahre hatten es in sich“. So lange war sie mit Gustav Ucicky verheiratet, der als Sohn des Genies Gustav Klimt und seiner Hausgehilfin Maria Ucicka im Jahr 1899 in Wien unehelich zur Welt kam. Maria war auch eines der vielen Modelle Gustav Klimts.

Wer ist Klimt?

„Als ich Gustav Ucicky kennen lernte“, erzählt seine Witwe, „hatte ich keine Ahnung, wer Klimt war“. Es war anlässlich einer Filmpremiere, 1956 in Hamburg, „der Gustl war 57, ich 34. Ich arbeitete als Journalistin und bat ihn um ein Interview, worauf er mich zum Gespräch in seine Wiener Wohnung einlud. Als ich dort Zeichnungen und Ölgemälde sah, sagte ich: ,Interessante Bilder haben Sie.’ Er erwiderte: ,Die sind von Klimt.’ Doch der Name sagte mir nichts.“

Tatsächlich war Klimt damals noch lange nicht als Jahrhundertgenie bekannt, geschweige denn, dass seine Bilder zu den teuersten Werken der Welt gezählt hätten. „Die Bilder hingen an den Wänden seiner Wohnung, aber ich kann mich heute nicht mehr erinnern, ob Gustav Ucicky damals schon erwähnt hat, dass der Maler sein Vater war.“

Ein Jahr später heirateten Ursula Kohn und Gustav Ucicky. „Klimts Aktzeichnungen mussten runter von den Wänden, weil wir eine Bedienerin hatten, die sie als zu anstößig empfand.“

Besuch im Atelier

Ursula wurde die Regieassistentin ihres Mannes. „Er hat mir erzählt, dass er als Kind seinen Vater in seinem Atelier in Hietzing besucht und ihm bei der Arbeit zugesehen hat. Aber nach kurzer Zeit sagte Klimt dann immer zu seinem Sohn: ,Da hast ein paar Heller, verstehst eh nix von der Malerei, kauf dir was Süßes.’“

Kaisers Begräbnis

Mit 17 träumte Gustav Ucicky bereits von einer Filmkarriere und stellte sich beim Produzenten Graf Kolowrat vor. Er wurde als Hilfskameramann aufgenommen, drehte im selben Jahr noch das Begräbnis Kaiser Franz Josephs und wurde Leibkameramann von Kaiser Karl.

In der Ersten Republik filmte Gustav Ucicky in Wien zunächst als Kameramann und dann als Regisseur u. a. den Film „Café Elektric“ (1927), in dem Marlene Dietrich und Willi Forst ihre ersten Hauptrollen spielten. Die Ufa holte Ucicky nach Berlin, wo er in der Zeit der Weimarer Republik zu einem der führenden Regisseure aufstieg. Waren es vorerst Unterhaltungs- und Literaturfilme wie „Der zerbrochene Krug“ und „Der Postmeister“, so entstand 1941 unter Ucickys Regie der NS-Propagandafilm „Heimkehr“ mit Paula Wessely in der Hauptrolle.

Ursula Ucicky geb. Kohn war 1922 als Tochter eines jüdischen Tuchfabrikanten zur Welt gekommen, dessen Anteil an der Fabrik, Haus und Vermögen von den Nazis beschlagnahmt wurden. Als „Mischling zweiten Grades“ musste sie die Schule verlassen und mit Eltern und Schwester in der Anonymität der Großstadt Hamburg untertauchen. Nach dem Krieg lebte sie u. a. in England und Israel, ehe sie 1953 nach Deutschland zurückkehrte.

Natürlich wusste Ursula Kohn, als sie Gustav Ucicky 1957 heiratete, dass er für die Nazis Filme gedreht hatte, doch sie klagt ihn nicht an. „Er war ein besessener Regisseur, sein jüdischer Produzent bezeichnete meinen Mann in der Nachkriegszeit einmal als politischen Trottel. Ihn hat sein ganzes Leben lang nur der Film interessiert, darunter habe ich später auch gelitten, weil er nichts anderes kannte, als den Film. Mein Mann war kein Nazi, aber er war auch kein Held, der den Mut gehabt hätte, die Dreharbeiten zu ,Heimkehr’ konsequent abzulehnen. Dieser Film ist ein schreckliches Machwerk, aber er hat ihn sicher nicht freiwillig gedreht. Wer in dieser Zeit nicht mit den Wölfen geheult hat, war erledigt.“

Ursula Ucicky sagt, dass sie kaum mit ihrem Mann über seine Tätigkeit für das Dritte Reich gesprochen hätte. „Wir hatten ganz andere Sorgen, er war meist auf der Suche nach neuen Filmstoffen, die nicht und nicht kamen, weshalb er ständig in der Angst lebte, dass wir eines Tages nichts zu essen haben würden.“

Die Klimt-Gemälde und Zeichnungen, die Gustav Ucicky besaß, hatte er nicht geerbt. „Er hat sie gekauft“, meint Ursula Ucicky, „weil sie von seinem Vater stammten. Ich glaube, er hat durch die Bilder seine Nähe gesucht, zu der es im Leben nie wirklich gekommen ist. Als Gustl durch den Film sein erstes Geld verdiente, begann er Klimt-Bilder zu kaufen, die damals noch erschwinglich waren.“

Gustav Ucicky starb 1961 im Alter von 61 Jahren während der Dreharbeiten zu dem Film „Das letzte Kapitel“ an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine Witwe hat erst nach seinem Tod von der wahren Bedeutung ihres Schwiegervaters erfahren, „als jemand zu mir sagte: ,Mein herzliches Beileid’ – und gleich darauf: ,Wollen Sie nicht einen Klimt verkaufen?’“

Die Preise steigen

Nein, das wollte sie nicht. Doch die aus zahlreichen Gemälden und Zeichnungen bestehende Kunstsammlung in ihrer Wiener Wohnung zu belassen, war auf Dauer auch keine Lösung. Zur Jahrtausendwende begann dann „das Affentheater“, wie Ursula Ucicky sagt, um Klimt. Die Preise stiegen ins Unermessliche, vor allem als mehrere Restitutionsfälle in Museen gerichtsanhängig wurden.

Einige Bilder im Wiener Belvedere wurden den Erben der in der NS-Zeit enteigneten Besitzer zugesprochen und in den USA versteigert, wobei die „Goldene Adele“ im Jahr 2006 mehr als 100 Millionen Euro erzielte. Jetzt erst war Ursula Ucicky klar, auf welchem Schatz sie saß.

Klimts Bilder in Gefahr

„Gerade da tauchte in meiner Wohnung ein riesiger Wasserschaden auf, der den Bildern gefährlich werden konnte. Die Wohnung musste saniert werden, da wusste ich, dass die Bilder so schnell wie möglich wegmussten.“

Ursula Ucicky entwickelte 2013 gemeinsam mit dem Museumsexperten Peter Weinhäupl, der Kunsthistorikerin Sandra Tretter und dem Anwalt Andreas Nödl die gemeinnützige Klimt-Foundation, die die Sammlung für Österreich rettete und die Bilder weltweit Museen für Ausstellungen zur Verfügung stellt. „Gemäß den Statuten der Stiftung darf kein einziges Bild verkauft werden“, erklärt Foundation-Direktor Peter Weinhäupl. Darüber hinaus ist die Foundation heute als Forschungszentrum zum Thema „Wien 1900“ etabliert.

„Die Braut“

Der Wert der Sammlung ist indes in die Höhe geschnellt: Allein das Gemälde „Die Braut“ würde einen ähnlich hohen Preis erzielen wie die „Goldene Adele“.

Ursula Ucicky empfindet solche Summen als „schrecklich, weil Klimts Werke dadurch meist wegen ihres enormen Wertes im Mittelpunkt stehen, während die Kunst oft in den Hintergrund tritt.“ Sie selbst ist „glücklich, dass ich die Sorge um die Bilder hinter mich gebracht habe. Sie sind jetzt gut aufbewahrt und viele Menschen können sich in Zukunft an ihnen erfreuen“.georg.markus