Chronik

Flüchtlingen droht Abschiebung: "Die Familie gehört hierher"

"Hallo." Die Begrüßung ist herzlich. Nawal aus Daraa im Süden Syriens zieht die Besucher in ihre Arme – Küsschen links, Küsschen rechts. Im kleinen Wohnzimmer drängen sich die Gäste auf zusammengewürfelten Sesseln. Die gespendete Couch hat Nawal erst gereinigt, sie ist noch nicht trocken. Ehemann Wahid serviert süßen schwarzen Tee im kleinen, sauberen Haus, das der örtliche Arzt zur Verfügung gestellt hat.

Dann werden Gastgeber und Besucher ernst. "Unser Leben ist zerstört. Die Kinder sind durcheinander, meine Frau seelisch krank. In Kroatien haben sie unseren Sohn geschlagen", erzählt Wahid leise. Seine Frau ergänzt: "Die Zukunft unserer Kinder ist in Österreich besser. Wir wollen hierbleiben, arbeiten"

Es ist ein Asyldrama im Kleinen, das sich in der Weinviertler Gemeinde Großebersdorf abspielt. Im Ort kämpfen zahlreiche Unterstützer gegen eine mögliche Abschiebung von Nawal, Wahid und ihren vier Kindern zwischen fünf und zwölf Jahren nach Kroatien. Unterschriften wurden gesammelt, Empfehlungsschreiben an die Asylbehörde geschickt. "Bitte schicken Sie diese Familie nicht wieder zurück! Sie gehört inzwischen hierher", appellieren die Großebersdorfer. Niemand mag so recht verstehen, warum die Familie, die seit Ostern hier lebt, vielleicht wieder gehen muss.

Ein Albtraum

Denn die Zukunft der Al Mhdis in Österreich hatte bereits angefangen. Das Paar lernt Deutsch, Wahid hilft in der Gemeinde aus. Die Kinder besuchen Kindergarten, Volksschule und die Neue Mittelschule, haben viele Freunde gefunden. Der elfjährige Abdul Karim entpuppte sich gar als Mathe-Talent und begnadeter Hornspieler. Seiner zwölfjährigen Schwester Gharam attestieren die Lehrer eine hohe soziale Kompetenz. Von den aktuellen Klassenfotos strahlen die Kinder. "Sie haben sich angepasst. Am Abend können sie es gar nicht erwarten, in die Schule zu gehen", erzählt ihr Vater.

Ende Mai brach für die Familie erneut die Welt zusammen. Sie wurden informiert, dass womöglich Kroatien für ihr Asylverfahren zuständig sei – da sie über die Balkan-Route eingereist waren. Ein Albtraum für eine Familie, die alles riskiert hat, um sich ein neues Leben aufzubauen. Dabei wollten die Al Mhdis erst gar nicht nach Europa. Sie flohen in den Libanon, doch als da die Zustände schlechter wurden, schickten sie ihren ältesten Sohn schweren Herzens nach Norwegen und kehrten nach Daraa zurück. Doch da gab es nichts mehr für sie, erzählen die Al Mhdis. Das Haus: weggebombt. Die Männer: zum Kampf gezwungen. "Wir haben nur mitnehmen können, was wir am Leib trugen", erinnert sich Nawal. 22 Tage dauerte die Flucht, ehe die sechs im Jänner in Traiskirchen ankamen. Die Ersparnisse von sieben Jahren sind aufgebraucht. "In Großebersdorf fühlen wir uns zu Hause", sagt Wahid. Auch ihre Freunde sind fassungslos. "Die Nachricht war für uns alle ein Schock", erzählt Sabina Rau.

"Was mich stört, ist diese Willkür. Warum ist für diese Familie das Dublin-Verfahren eingeleitet worden und für Tausende andere nicht", sagt Rechtsvertreter Jakob Binder vom MigrantInnenverein St. Marx. Dabei seien sie Al Mhdis ein Musterbeispiel an Integration. Schon bald nach der Ankunft besuchten sie Pfarrveranstaltungen. Sogar beim Maibaumaufstellen waren sie dabei.

Nun leide Karim wieder unter Albträumen, Gharam habe Angst und Nawal Depressionen, erzählen die Freunde. Binder will durch alle Instanzen gehen. Er hofft, dass auch die Behörden erkennen, dass die Familie im Ort zu Hause ist.