Chronik/Burgenland

"Wir wollt’n kan Stress mehr hab’n"

"Aussteigen für Anfänger – Einwandern im Südburgenland" lautet der Titel des Buches, das Ingrid Weber über ihr "Aussteiger-Experiment", wie sie es nennt, geschrieben hat. "Den Titel habe ich bewusst gewählt, weil es ein Einwandern war – die Südburgenländer sind so nett. Wir wurden hier so herzlich aufgenommen." Entstanden ist die Idee zum Buch aus ihrem Blog, in dem sie seit den Anfängen des "Aussteigens" ihr neues Leben festhielt. Aus dem Experiment wurde eine neue Lebensphilosophie. Heute können sich die beiden nicht mehr vorstellen, anders zu leben.

Acht Jahre ist es mittlerweile her, dass Ingrid und ihr Mann Gerhard dem hektischen Leben den Rücken gekehrt haben. Ausschlaggebend waren gesundheitliche Probleme. "Ich hatte immer mehr Stress im Job und das machte der Körper nicht mehr mit, ich bekam immer mehr Beschwerden bis hin zum Burnout", erzählt der 57-Jährige. Neben dem Stress im Beruf bot auch die Lage ihres Hauses in Niederösterreich, direkt an der Ostautobahn, keine Möglichkeit zur Entspannung. Also haben sie beschlossen, sich zu verändern. "Wir wollt’n kan Stress mehr hab’n", steht auch in ihrem Buch geschrieben.

Wink des Schicksals

Als Kontrast dazu kannten sie von Wochenendbesuchen das "Paralleluniversum Burgenland", die Heimat von Gerhards Eltern und Großeltern. "Insgeheim hegte ich schon immer den Wunsch, ins Burgenland zurückzukehren. In das Land meiner unbeschwerten Ferien bei Oma."

2007 war es schließlich so weit. Der Pächter des Grundstückes in St. Michael, das Gerhard von seinen Eltern geerbt hatte, kündigte den Vertrag und für die beiden war klar: Das ist ein Wink des Schicksals. Also wurden die Jobs gekündigt, das Haus verkauft und aus dem Wunsch auszusteigen wurde Wirklichkeit. Seither leben sie von ihren Produkten und ihrem Erspartem. "Wir haben es uns durchgerechnet. Das geht sich bis zur Pension aus, ohne Unterstützung vom Staat. Wir liegen niemandem auf der Tasche."

Trotz des neuen Lebenswandel arbeiten die Webers immer noch viel. Der Unterschied: "Früher arbeitete ich für die Firma, jetzt bin ich mein eigener Chef", erklärt Gerhard Weber. Schafe, Hühner, Hasen und Enten, bis zu 70 Tiere – je nach Nachwuchs – müssen jeden Tag versorgt werden. "Die Tiere sind zu meinem Lebensinhalt geworden. Sie geben den Tages- und Jahresrhythmus vor", sagt Gerhard Weber, der sich hauptsächlich um Haus und Tiere kümmert und diese auch schlachtet. Nur einmal hat er es nicht über das Herz gebracht, ein Tier zu töten. "Wir hatten ein Hausschwein. Das war einfach zu herzig. Daher haben wir keine Schweine mehr."

Seine Frau Ingrid kümmert sich derweil um den Obst- und Gemüseanbau. "Im letzten Jahr habe ich 60 Kilo Himbeeren geerntet." Weil die beiden mehr ernten, als sie essen können, tauschen sie es mit anderen. "Wir geben, was wir zu viel haben und bekommen dafür Sachen, die wir nicht haben." Neben der freien Zeiteinteilung und der Unabhängigkeit, schätzen die Webers vor allem die Ruhe. "Es ist einfach herrlich hier. Die Nachbarn weit weg, kein Straßenlärm, ringsum nur Natur."

Das "Aussteiger-Experiment" hat sich für die beiden gelohnt. "Aus dem Hamsterrad wurde die Freiheit, individuelle Entscheidungen zu treffen und die Erkenntnis, dass Geld nicht Lebensqualität garantiert", lautet ihr Fazit am Ende des Buches. "Und vielleicht machen es uns andere ja nach."