"Jede Stunde ist eine Deutschstunde"
Von Georg Gesellmann
"Ich bin in einer Zeit groß geworden, wo alles ganz anders war", sagt Professor Dr. Brigitte Schittengruber, die von 1955 bis 1989 Jahre im Mattersburger Gymnasium Biologie und mitunter auch Physik ("obwohl ich zwei linke Hände habe") und Chemie unterrichtete. Wie vielen Schülern sie ihr Wissen vermittelte, könne sie nicht sagen. "Aber es waren viele, und es war eine schöne Zeit." Sie bereut bis heute nicht den Schritt, Lehrerin geworden zu sein. Mit den Kollegen hatte sie immer ein gutes Einvernehmen. "Selbst dann wenn wir nicht per du waren." Und das waren viele.
Dann mit der Zeit war es nicht mehr so schön. Die Schüler seien nie ein Problem gewesen. Das war es nicht. "Es hat natürlich solche und solche gegeben, aber unterrichten, den Schülern etwas beizubringen, das war doch eine Selbstverständlichkeit, dafür wurde ich ja bezahlt."
Doch als sich die Politik in der Schule bei Postenbesetzungen einmischte, das war der gelernten Biologin ein Dorn im Auge. "Wir Kollegen hatten immer ein sehr gutes Verhältnis", erzählt die heute 86-Jährige. Parteipolitik sei nie ein Thema unter ihnen gewesen. Man wusste zwar in welcher Richtung der eine oder die andere tendierte, aber das war nicht vorrangig. Das habe sich geändert. "Man hatte manchmal das Gefühl, wenn du anderer Meinung bist als der Direktor, der sehr g’scheit war, dann tut es dir nicht gut." Und so verflachten viele Gespräche. Es entstand Misstrauen.
Reform über Reform
Brigitte Schittengruber ging mit sechzig in Pension. "Nicht wegen der Schüler. Aber wissen Sie, da hat es Reformen über Reformen gegeben", erzählt Schittengruber "und die wollte ich nicht mittragen".
Unter anderem war sie nie eine Freundin der schriftlichen Tests, die in den 70er Jahren sehr populär waren und vor allem von den jungen Kollegen mitgetragen wurden. "Doch ich hab immer gesagt, jede Stunde ist auch eine Deutschstunde. Die Schüler müssen sprechen lernen, sich artikulieren." Das habe sie auch einem Kollegen, den sie acht Jahre lang unterrichtete, gesagt. "Der wollte nicht hören."
Direktor Karl Pinter ist dennoch überzeugt, dass es sich auszahlt das Mattersburger Gymnasium zu besuchen: "Und zwar ganz einfach deshalb, weil wir eine Schule mit Herz sind. Wir schauen, dass wir jeden Schüler individuell betreuen können."
Direktor Pinter maturierte selbst in Mattersburg und meint Jahre danach: "Der Unterricht hat sich massiv geändert." Damals sei es "sehr streng" gewesen. Es sei auf Wissensvermittlung gerichtet gewesen. Heute schaue man aber auch darauf den Schülern Kompetenzen beizubringen und "wirklich mit Herz zu unterrichten, dass man auf die Lebensprobleme der Schüler auch Rücksicht nimmt". Für den Direktor ist es heute unvorstellbar, dass ein Lehrer in die Klasse kommt, und sagt: Der Termin für die Schularbeit sei zwar in zwei Wochen festgesetzt, aber wir machen sie morgen. "So etwas würde es heute nicht mehr geben."
Das Mattersburger Gymnasium feiert dieser Tage sein 90-jähriges Jubiläum. 2016 wird es saniert. "Wir brauchen ganz einfach mehr Platz". Karl Pinter ist bei den Verhandlungen. Bei der Fertigstellung wird er nicht mehr dabei sein. "Wahrscheinlich gehe ich in zwei Jahren in Pension."