Chronik/Burgenland

"Im Keller": Ermittlungen gegen die fünf Film-Akteure

"In Marz gibt es 1989 Einwohner, 1500 waren schon im Keller." Dieser Witz kursiert derzeit in der nordburgenländischen Gemeinde. Josef Ochs’ Keller voller Nazi-Devotionalien ist in aller Munde. Selbst in französischen Medien wird über Deux hommes poliques autrichiens dans une cave nazie (zwei österreichische Politiker in Nazi- Keller) berichtet.

Ochs selbst ist ziemlich zerknirscht nach der gestrigen zweistündigen Befragung der Staatspolizei am Posten Mattersburg. Es war aber nicht das erste Mal, dass Josef Ochs von der Staatspolizei einvernommen wurde. Bereits im Jahre 1985 stattete sie ihm einen Besuch ab. Warum, wollte er nicht sagen. KURIER-Recherchen ergaben: Wiederbetätigung. Die Untersuchungen liefen damals aber ins Leere. Aufgefallen sei Ochs auch dadurch, dass der heute 58-Jährige Totenköpfe gesammelt hatte.

Verdacht

Am vergangenem Freitag hingegen hat die Staatsanwaltschaft Eisenstadt nach dem Auftritt der fünf Männer in Ulrich Seidls neuer Doku "Im Keller" ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts nach § 3g Verbotsgesetz ("Wiederbetätigung") eingeleitet. Die Marzer – darunter die zwei Ex-ÖVP-Gemeinderäte Ewald W. und August H. – hatten sich im Keller voller Nazi-Objekte samt Hitler-Bild und Hakenkreuzfahne zugeprostet. Josef Ochs sei für seine Objekte im Keller nicht strafbar, solange er sie nicht zur Schau stelle. Nach dem Abzeichengesetz jedoch könnte er sich maximal 4000 Euro Verwaltungsstrafe einhandeln, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Für Andreas Peham, Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, sei das nicht der einzige Keller, wo sich sogenannte Sammelstücke fänden, "da gibt es viele – nicht nur im Burgenland."

Update: Die Posse geht weiter: Nachdem der KURIER am Dienstag ein Schreiben veröffentlicht hatte, das Josef Ochs selbst seinen Musikerkollegen als "Eidesstattliche Erklärung" zukommen hatte lassen, zauberte der Marzer Bürgermeister Gerald Hüller am Mittwoch eine zweite, die "tatsächliche eidesstättige Erklärung" aus dem Hut.

Die zweite eidesstattliche Erklärung finden sie hier

Vier Musiker stimmen gemeinsam mit Josef Ochs ein Prosit der Gemütlichkeit an. In Ochs’ Keller prosten sie einander unter einem Hitlerbild in einem Raum voller NS-Devotionalien zu. Gefilmt wurde die Szene von Ulrich Seidl für seinen neuen Dokumentarfilm "Im Keller".

Zwei ÖVP-Gemeinderäte, die im Film noch lautstark mitgesungen haben, mussten bereits zurücktreten. Auch den anderen Musikern geht es schlecht, sie sehen sich von Seidl ins falsche Licht gerückt. Sie erklären gegenüber dem KURIER (siehe Interview unten), dass sie "in den letzten Jahren nie unter Hitler gefeiert und geprostet haben". Nur für die Kamera seien sie dort gewesen und hätten mit Ochs in diesem Raum gefeiert. "Die Bilder sind da und nicht mehr wegzubringen, wir haben den Blödsinn gemacht", gestehen die Musiker ein. Vom NS-Gedankengut wollen sich die vier Marzer aber klar distanzieren. 35 Euro hätten sie jeweils als Aufwandsentschädigung für die Dreharbeiten bekommen, "wir haben uns noch gefreut", sagt ein Musikant.

Der Regisseur bestreitet vehement, dass er die Szene inszeniert hat, genau so soll es sich schon hundert Mal in diesem Keller abgespielt haben, erklärt Ulrich Seidl im Interview mit dem KURIER (siehe unten).

Kellerbesitzer Josef Ochs war am Dienstag bei der Polizei zur Einvernahme. Er habe nicht geahnt, welche Kreise dieser Film ziehen würde, sagte er danach zum KURIER (siehe unten).

KURIER: Warum haben Sie sich überhaupt auf diese Geschichte "Im Keller" eingelassen?

Das war ein Blödsinn, sicher. Wenn wir gewusst hätten, welche Kreise das zieht, hätten wir gesagt: Dankeschön. Aber im jugendlichen Leichtsinn denkt man nicht viel darüber nach.

Herr Ochs, jugendlicher Leichtsinn? Sie waren damals 53 Jahre alt.

Ich weiß wirklich nicht, was wir geglaubt haben. Der Herr Seidl war mir sympathisch.

Wie ist dieser Film Ihrer Meinung nach zustande gekommen?

Die Sekretärin aus der Umgebung vom Seidl war mit jemandem aus Marz liiert. Sie haben mich besucht und Fotos vom Keller gemacht. Ich hab mir nichts dabei gedacht. Später dann ist der Seidl gekommen, der hat Lunte gerochen.

Wie oft war Seidl bei Ihnen?

So genau weiß ich das nicht mehr. Wir sind auch ins Wirtshaus gefahren und immer ist Alkohol geflossen. Dann wird’s halt leichter, wenn man einmal viel getrunken hat.

Herr Ochs, waren das gestellte Szenen? Hat der Regisseur gesagt, so und so müssen Sie agieren, jetzt müssen Sie singen?

Na sicher. Wer wär’ denn sonst auf die Idee gekommen, im Keller aufg’mascherlt zu singen.

War das eine einmalige Aufnahme oder wurde öfter gedreht?

Das war nur ein Mal an einem Tag. Wie oft er probiert hat, das weiß ich nicht.

Wie ist es zur Auswahl der Akteure des Films gekommen?

Wir waren mit dem Musikverein auf einer Hochzeit. Das war ausgemacht. Er meinte, dass er uns filmen möchte. Es war natürlich bei den Musiker-Freunden Halligalli. Dann hat er gesagt, der und der und der.

Haben Sie das Gefühl, dass Ulrich Seidl Sie ,einelassn‘ hat?

Ich bild es mir jetzt fast ein. Früher hab ich mit ihm noch telefoniert, ihn gefragt, wie der Film war. Er hat gesagt: Ich brauch mir keine Sorgen zu machen. Er macht das schon. Jetzt meldet er sich nicht.

Warum haben Sie sich Sorgen gemacht?

Weil ich mir im Nachhinein gedacht habe: War das alles okay? Seidl hat gemeint, es sei alles rechtens.

Warum sammeln Sie Sachen wie Hitler-Devotionalien?

Weil ich an Geschichte interessiert bin. Ich sammle ja nicht nur vom Hitler, sondern auch über den Ersten Weltkrieg, von König Ludwig. Aber das hat Herrn Seidl anscheinend nicht interessiert. Er hat’s zwar gefilmt, aber ich weiß nicht, ob er es gebracht hat. Ich hab’ den Film noch nicht gesehen.

Haben Sie von Stalin auch ein Bild?

Nein. Aber von österreichischen Bundespräsidenten habe ich viele. Auch vom Kaiser Franz Josef.

Hängt das Hitlerbild noch?

Na sicher, ich hab bis jetzt überhaupt nichts geändert. Aber ein Nazi bin ich deswegen nicht.

KURIER: Herr Ochs und die weiteren vier Musikanten behaupten, die ganze Szenerie sei gestellt worden.

Ulrich Seidl: Das ist völliger Unsinn. Ich habe das gedreht, was dort immer passiert.

Wie sind Sie überhaupt auf diesen Keller gestoßen?

Ich habe durch Zufall von Herrn Ochs gehört und ihn kennengelernt, über zwei, drei Ecken. Es hat ja der ganze Ort gewusst, dass er diesen Nazi-Keller hat, auch der Polizei war das bekannt. Und ich habe halt auch irgendwann mal davon erfahren.

Und wie haben Sie die anderen vier Männer kennen gelernt?

Na, weil die immer dort sitzen. Genau das wollte ich ja zeigen: Man kennt das, das ist ganz normal. Ich habe den Ochs bei den Vorbereitungen über Wochen öfter getroffen. Und der war da ja nicht immer allein zu Hause, da waren oft Leute bei ihm. Seine Schwester, oder eben seine Freunde und Musikerkollegen.

Und die saßen dann immer in diesem Keller zusammen?

Ja. Die waren oft und gewohnheitsmäßig dort.

Im Nazi-Keller?

Ja. Im Nazi-Keller. An diesem Tisch, unterm Hitlerbild. Der Ochs sagt ja selbst im Film: "Das ist der gemütlichste Raum im ganzen Haus, dort sitzen wir immer und trinken und musizieren."

Und wer hat ausgewählt, welche Musiker im Film dort sitzen und trinken sollen?

Die kommen direkt vom Ochs. Ich habe zu ihm gesagt, ich brauche für den Dreh vier, fünf von den Musikern, die dort immer herumsitzen. Und er hat gesagt: "Ich werd schon ein paar auftreiben."

Die Männer behaupten aber, sie seien nur Statisten gewesen.

Glauben Sie mir – wären das Statisten, würde schon ich die aussuchen, über eine Agentur oder so. Nein, die machen eine Situation, die sie schon hundert Mal genau so gemacht haben. Das war die Regieanweisung, wenn Sie so wollen: Macht einfach das, was ihr immer tut. Wenn man da irgendwas Fremdes hineinbringt, würde das ja auch gar nicht funktionieren.

Und wieso gab es einen Werkvertrag?

Das ist der ganz normale, branchenübliche Statistenzettel. Den bekommt jeder. Den muss jeder vor dem Dreh unterschreiben. Es ist eine Einverständniserklärung, dass man gefilmt wird.

Für den Dreh gab es laut dem Vertrag auch Geld – 35 Euro für jeden. Ist das auch üblich?

Das ist eine Aufwandsentschädigung. Jeder, der bei mir mitspielt, bekommt Geld, das gehört sich einfach so, finde ich. Die Leute haben ja einen Zeitaufwand.

Ein Vertrag, etwas Geld – ist es denkbar, dass die Männer geglaubt haben, sie seien Darsteller in einem Spielfilm?

Nein. Die haben gewusst: Das wird ein Dokumentarfilm, ein Porträt über den Ochs, in und mit seinem Umfeld. Schauen Sie, ich verstehe ja, dass sie jetzt versuchen, ihre Haut zu retten. Aber wenn sie die Wahrheit verdrehen, muss ich mich wehren. Die haben natürlich gewusst, was sie da tun.

Die vier Musiker, die in Ulrich Seidls Film gezeigt werden, melden sich nun auch im KURIER-Interview zu Wort. Sie sehen sich falsch dargestellt, denn mit NS-Gedankengut hätten sie nichts am Hut.

KURIER: Wie lange kennen Sie Herrn Ochs schon?

Sprecher der Musikanten: Ich kenne Herrn Ochs schon seit 24 Jahren. Er ist ein Sammler und betreibt keine Wiederbetätigung. In dem besagten Kellerstüberl waren wir bisher noch nie. Wir haben noch nie unter Hitler gefeiert und geprostet.

Wie sind Sie zu den Dreharbeiten gekommen?

Wir haben bei einer Hochzeit gespielt und Herr Ochs ist mit Seidl gekommen und hat uns vier Musikanten von 15 anderen ausgesucht. Er hat uns im Keller hingesetzt und noch die Einrichtung umgehängt, damit man die Fahne sieht.

Sind Ihnen das Hitlerbild und die NS-Devotionalien nicht aufgefallen?

Doch, natürlich. Wir stehen dazu, es war ein Fehler, wir waren zu blauäugig. Mit NS-Gedankengut haben wir aber alle nichts am Hut.

War die Szene von Seidl inszeniert?

Ja, wir haben uns zwar freiwillig hingesetzt, aber wie er uns benutzt hat, war eine Inszenierung. Dieses Bild ist jetzt da und nicht mehr zum Wegretuschieren, wir haben diesen Blödsinn gemacht. Seidl hat uns gebraucht und jetzt hat er eine schöne Werbung.

Wie lange dauerten die Dreharbeiten mit Ihnen?

Wir haben von 18 Uhr bis halb zwei in der Früh gedreht und auch viel getrunken. Herr Seidl hat uns zugeprostet und animiert, dass wir Witze erzählen und singen. Dann haben wir den Statisten Vertrag unterschrieben.

Sie wurden für den Dreh auch bezahlt?

Ja, wir haben 35 Euro bekommen. Wir haben damals nicht gewusst was auf uns zu kommt. Zwei von uns waren Gemeinderäte und auch die anderen beiden leiden sehr unter der Medienberichterstattung. Allen geht es sehr schlecht.