Chronik

Anschlag auf den Istanbuler Flughafen: Wie knapp heimische Ermittler dran waren

"Am ersten Tag, an dem ich draußen bin, kriegen Sie drei Personen." Magomed I.s Angebot an den Staatsanwalt klingt verlockend. Immerhin spricht der Tschetschene, der seit April dieses Jahres in Wien abgesondert von Mithäftlingen in U-Haft sitzt, über potenzielle Terroristen. "Ich kenne Leute, die aus Syrien hierhergekommen sind", sagt er. Sein Gegenüber kann der 38-Jährige nicht beeindrucken. Der Staatsanwalt hält den sechsfachen Vater selbst für einen Mörder und Unterstützer des Emirats Kaukasus, das als terroristische Organisation mit Kontakten in die globale Dschihad-Szene eingestuft wird. Vergangenen Montag verlängerte das Straflandesgericht Wien seine U-Haft. Dass I. sich als Informant anbietet und in seinen Erzählungen dick aufträgt, liegt wohl an den massiven Vorwürfen gegen ihn. Doch zumindest eine seiner Bekanntschaften steht weit oben auf den internationalen Fahndungslisten: Ahmed Tschatajew, ein möglicher Drahtzieher der Anschläge auf den Istanbuler Flughafen mit 44 Todesopfern im Juni.

Die gleichen Vorwürfe

I. kennt ihn. Und auch österreichische Ermittler kennen den Tschetschenen, der 2003 hier Asyl erhalten hat. Ein Verfahren war anhängig, er wurde mehrmals befragt; etwa am 16. April 2013, nachdem georgische Behörden von einem Angriff auf Sicherheitskräfte berichtet hatten. Doch die gleichen Vorwürfe, für die Magomed I. in Wien nun ein Prozess gemacht werden soll, genügten den Behörden damals nicht, um Tschatajew aus dem Verkehr zu ziehen.

21 tote Beamte

Die Vorwürfe stammen aus der Zeit, als I. und Tschatajew Schulter an Schulter kämpften. Mit 16 schwer bewaffneten Glaubensbrüdern sollen sie versucht haben, in Tschetschenien einzusickern. Im Lopotatal an der georgisch-russischen Grenze lieferten sie sich nach einer Geiselnahme am 28. September 2012 Feuergefechte mit Polizeikräften: 21 georgische Beamte und einige Angreifer wurden getötet, darunter zwei mit Wohnsitz in Österreich.

Tschatajew war im Lopotatal eine Führungsfigur. Emir nannten ihn seine Gefolgsleute. Bei seiner Festnahme in Georgien hatte er eine Handgranate bei sich. Österreichische Ermittler speiste er mit der Aussage ab, nur zwischen Angreifern und Sicherheitskräften vermittelt zu haben. Überdies vermuteten die Beamten, dass zwei Scharfschützengewehre samt 340 Stück Munition sowie 979 Sprengzünder, die polnische Polizisten in einem Pkw beschlagnahmt hatten, durch seine Hände gegangen waren. Später verliert sich seine Spur, bis er von Syrien aus den Anschlag auf den Istanbuler Flughafen dirigiert haben soll.

Kopf des "Emirats"

I. füllte nach Tschatajews Verschwinden dessen Rolle als Kopf des "Emirats Kaukasus" in Europa aus. Das glaubt der Staatsanwalt. Auf seinem Handy sicherten Ermittler ein Video, das vermutlich direkt nach dem Vorfall im Lopotatal entstand: Zu sehen ist I., der sich als Warlord geriert und für den "Dschihad im Kaukasus" wirbt. Wenn er nicht selbst einen der 21 georgischen Polizisten getötet hat, dann könnte er dabei geholfen haben, heißt es im U-Haft-Beschluss.

Viele Vorwürfe hat Magomed I. selbst mit detaillierten Erzählungen untermauert. Etwa jene über Bombenanschläge von 2004 bis 2007 in Russland. Oder den Betrugsvorwurf in "Punkt IV." des U-Haftbeschlusses, in dem ihm angelastet wird, drei Millionen Euro für Auftragsmorde kassiert, diese aber nie ausgeführt zu haben. Als Cobra-Beamte ihn festnahmen, hatte I. 70.000 Euro bei sich. Warum erzählte er das alles? Der Staatsanwalt hält seinen Verdächtigen für naiv. Zu lange habe dieser geglaubt, Österreichs Justiz sei unzuständig und er unantastbar. Später bewertete I. seine Angaben als "Scherze".

Für seinen Anwalt Wolfgang Blaschitz sind die Vorwürfe "eine Fehlinterpretation der Gegebenheiten". Sein Mandant sei "unter Druck gesetzt worden", ihm würde bei anderslautenden Aussagen "die Abschiebung drohen". Er stuft I. als einen "Träger brisanter Informationen" ein: "Hätte man auf ihn gehört, hätte man sich vielleicht Istanbul erspart."