Buzz

"Lulu": Erst gegen Schluss verführerisch

Was machen Giganten der Rock-Szene in Zeiten der schwindenden CD-Verkäufe? Sie suchen sich einen anderen Giganten zwecks Kollaboration. Die Rechnung: Zwei Fangemeinden zusammengespannt ergibt doppelt so viele Käufer. Mick Jagger und Dave Stewart haben das so gemacht. Bushido und Sido. Und jetzt: Metallica und Lou Reed für das Doppel-Album "Lulu".

Letztere beteuern, ihre Rechnung war rein künstlerisch. Als "seelenverwandt" bezeichneten sie sich, nachdem sie 2009 erstmals für die "Rock 'n' Roll Hall Of Fame"-Zeremonie zusammen gespielt hatten.

Man ist zunächst geneigt, das zu glauben. Schließlich ist Reed der Pionier der Avant-Rock-Szene, ein Poet und Freigeist. Schließlich sind Metallica die Heroen des Trash-Metal, ebenfalls Pioniere in ihrem Genre. Weshalb die Rechnung auch lauten könnte: Zwei kreative Kräfte zusammen ergeben ein innovatives Album.

Feedback

Alle Inhalte anzeigen

Doch die ist bei "Lulu" nicht aufgegangen: Anfangs klingt es zumeist so, als würde Lou Reed seine Poesie über sich endlos wiederholende Jams von Metallica legen, ohne dass sich die beiden befruchten. Oder sogar das eine das andere schwächt. Reed kämpft in der Rezitation der Texte gegen den stampfenden Background, schreit drüber und verliert dabei seine Eindringlichkeit.

So wird es etwa bei "The View" erst kribbelnd, wenn Reed aussetzt, James Hetfield singt oder Gitarrist Kirk Hammett zur Feedback-Orgie ansetzt. Und umgekehrt, wenn Reed in "Pumping Blood" plötzlich nur über eine simple Akkord-Zerlegung singt. Es gibt also durchaus Gänsehaut-Momente. Aber in den ersten 40 Minuten sind sie eher die Lichtblitze in breitgewalzten, nach Improvisation klingenden Tracks. Richtige Songs gibt es wenige. Und wenn doch ("Iced Honey", "Brandenburg Gate"), sind sie zu konventionell.

Ursprünglich schrieb Lou Reed diese Stücke als musikalische Begleitung der Robert-Wilson-Inszenierung der Frank-Wedekind-Theaterstücke "Erdgeist" und "Die Büchse der Pandora", die zusammen den "Lulu"-Stoff ergeben. Die Geschichte der lüsternen Kindfrau ist voll mit Mord, Sex und Leidenschaft.

Doch erst auf der zweiten CD kommt davon etwas rüber. Auf der ersten ist nichts verführerisch, nichts beängstigend, nichts erotisch. Klar, Reed ist zwar ein Meister im Porträtieren mysteriöser Obsessionen, aber auch ein grantelnder, alter Mann, der sich in Lulus Rolle zwangsläufig schwer tut.

Unter die Haut gehen so nur "Cheat On Me" und "Little Dog", "Dragon" und "Junior Dad" von der zweiten CD, bei der das Gespann mehr experimentiert und nicht nur Reed zu Metallica-Riffs über Sex und Gewalt brabbelt und dabei klingt wie ein Brötchen-Verkäufer.

KURIER-Wertung: ***
von *****