Jack Unterweger-Verhaftung: So kam es zur Exklusiv-Story des KURIER
Von Ernst Bieber, ehemaliger KURIER-Redakteur
Unter den vielen Kriminalfällen, über die ich im KURIER berichten durfte, ist mir die Verhaftung des („mutmaßlichen“) Massenmörders Jack Unterweger am lebhaftesten in Erinnerung geblieben. Es war der 27. Februar 1992. Ich hatte Spätdienst, in der Redaktion herrschte an diesem Abend hektische Betriebsamkeit.
Wien stand im Zeichen des Opernballs. Richard Lugner wollte gerade seinen ersten Stargast, Harry Belafonte, präsentieren. Die Gesellschaftskolumnisten und Fotografen waren längst ausgeschwirrt. Uns in der Chronik-Redaktion beschäftigte in diesen Stunden vor allem der riesige Wirbel nach dem Aufmarsch von Opernball-Demonstranten, die in der Innenstadt für einen gewaltigen Polizei-Einsatz sorgten.
Einige Tage vorher, am 14. Februar, hatte ein Haftbefehl gegen „Häfenliterat“ Jack Unterweger für KURIER-Schlagzeilen und für empörtes Aufsehen in Schickeria-Kreisen gesorgt. Unterweger wurde verdächtigt, in den vergangenen Jahren mindestens acht Prostituierte ermordet zu haben. Schon 1974 hatte er in Deutschland eine 18-Jährige brutal erdrosselt. Wenig später wurde er in Salzburg aufgegriffen. Als österreichischer Staatsbürger konnte er nicht an Deutschland ausgeliefert werden. 1975 wurde er wegen des Mordes in Deutschland im Landesgericht Salzburg zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im Gefängnis tobte er sich nur noch auf dem Papier aus. Er begann sich hinter Gittern als Schriftsteller zu etablieren und verarbeitete seine traurige und mörderische Vergangenheit in Büchern wie „Fegefeuer“ oder „Endstation Zuchthaus“. Sogar vom ORF bekam er Aufträge, so durfte er Texte für die „Traummännlein“-Serie verfassen.
Prompt plädierten prominente Literaten für die vorzeitige Freilassung des Gefängnis-Poeten.
Neue Morde und Flucht
Auch den Gerichtspsychiater konnte der Sträfling derart täuschen, dass ihm gute Zukunftsaussichten und keine Rückfallgefahr bescheinigt wurden. Im Mai 1990 kam Unterweger nach 15 Jahren Haft auf Bewährung frei. Der Entlassene finanzierte von seinen Tantiemen eine Wohnung in Wien-Josefstadt und mehrere schnittige Autos.
Doch schon wenige Monate nach seiner Freilassung geschahen die nächsten Dirnen-Morde. Zwischen 26. Oktober 1990 und 16. Mai 1991 wurden acht Prostituierte in Graz, Dornbirn und Wien immer auf die gleiche Weise erdrosselt. Und in jedem der Fälle war Unterweger in Tatort-Nähe. In seinem Wagen wurde später das Haar eines der Opfer sichergestellt.
Unterweger flüchtete nach dem Haftbefehl mit seiner Wiener Freundin Bianca über die Schweiz und Frankreich in die USA. In Miami mietete er sich am 17. Februar 1992 in einem Appartement direkt am Strand ein. Nach zehn Tagen Bade-Urlaub wollte er in einem Postamt ein Paket abholen, das ihm eine Bewunderin aus Wien geschickt hatte – 5000 Schilling (rund 350 Euro) und Medikamente für seine Schilddrüsen-Krankheit. Das FBI, von seinem Wiener Kontaktmann informiert, erwartete den Gesuchten mit Handschellen am Postschalter.
Der Zund
Neben dem Demo-Wirbel bei der Oper recherchierte ich an jenem Abend des 27. Februar 1992 auch in der Causa Unterweger weiter. Und bekam, wie man im Reporterjargon sagt, den entscheidenden „Zund“ über die Festnahme. Eiligst suchte ich den vormaligen Chefredakteur und nunmehrigen Blattmacher Dr. Günther Wessig auf, um ihm die neue „Aufmacher“-Story zu melden. Denn für die nächste KURIER-Ausgabe war ursprünglich eine Schlagzeile über die Demo geplant gewesen.
Dr. Wessig traf ich in der Fotoredaktion, wo er mit Kollegin Renate Urch gerade die neuesten Demo-Bilder auswählte. Er wollte wissen, ob eine Nachrichtenagentur die Verhaftung gemeldet habe oder ob eine offizielle Bestätigung des Innenministeriums vorliege. Ich musste verneinen, doch ich war überzeugt, dass meine Informationsquelle zuverlässig war.
„Was machen wir, wenn es nicht stimmt?“ fragte Wessig. Kollegin Renate Urch erinnert sich noch heute an meine Antwort: „Herr Doktor, dann melden wir uns morgen beim AMS.“ Günther Wessig vertraute mir, kannte er meine Arbeitsweise doch seit vielen Jahren. Er war es, der mich vom Volksblatt, wo ich Chronik-Chef gewesen war, zum KURIER geholt hatte.
Die Nachricht stimmte jedenfalls, und der KURIER meldete die Verhaftung Unterwegers am 28. Februar 1992 exklusiv. Die Auslieferung Unterwegers verzögerte sich dann, weil das FBI den Häftling auch zu drei anderen Mordfällen in Los Angeles überprüfen wollte: Im Juni und Juli 1991 waren drei Prostituierte auf gleiche Art wie die Opfer in Österreich stranguliert worden. Unterweger hielt sich damals jeweils in der Nähe der drei Tatorte auf. Nach Monaten wurde der Verdächtige nach Österreich überstellt – mitsamt dem Belastungsmaterial über die Morde in LA.
Im Juni 1994 wurde er wegen elffachen Mordes in Graz angeklagt. Doch Unterweger bestritt die Taten bis zuletzt. Er wurde schließlich wegen neunfachen Mordes erneut zu lebenslangem Kerker verurteilt. In zwei Mordfällen reichten die Indizien für einen Schuldspruch nicht aus. In der darauffolgenden Nacht erhängte er sich in seiner Zelle – mit der Kordel seiner Jogginghose und mit der gleichen komplizierten Schlinge, wie sie bei fast allen Mordopfern zum Tod geführt hatten. Weil das Urteil nie Rechtskraft erlangte, darf man Unterweger auch posthum nur als „mutmaßlichen“ Serienmörder apostrophieren.
Mein anderes Leben
Die ständige Konfrontation mit widerlichen und grausamen Delikten ließen mich in meinem Job als Reporter nach einem emotionalen Ausgleich suchen. Ich berichtete deshalb auch gerne über die vinophile Genusswelt in Österreich. Dabei wurde ich vom Wein-Virus so intensiv infiziert, dass ich sogar begann, Wein zu keltern. Und als ich 1995 in Wien mit meinem Riesling die Goldmedaille errang, meinte der damalige Bürgermeister Michael Häupl im Rathaussaal, wo er mir das Gold-Dekret überreichte: „Endlich, dass ein Schreiberling auch was G’scheites macht.“