Die letzten Oasen: Wo man in Österreich noch richtig Sterne sieht
Die Nachfrage nach dem Nachterlebnis ist groß. Doch nur an wenigen Orten kann man noch richtig "Sternderlschauen".
von Ingrid Greisenegger
Im Jahr 2001 begannen der Verein Kuffner-Sternwarte und die Universität Wien das Thema Lichtverschmutzung unter die Leute zu bringen. „Wie viele Sterne sehen wir noch?“ fragten sie im Rahmen einer Kampagne, der sie die Beobachtung des „Kleinen Wagens“ zugrunde legten. Das Idealbild, im Foto, wurde der Wirklichkeit gegenüber gestellt. Das Echo war groß, 2.500 Meldungen gingen ein, mit dem ernüchternden Ergebnis, dass das Sternbild kaum noch irgendwo komplett zu sehen war.
Lichtverschmutzung als Problem
„Der ‚KleineWagen’ hat ein Rad verloren“, kommentiert das der Astronom und Leiter der Kuffner-Sternwarte, Günther Wuchterl, heute. Er gehört zu den Pionieren und Architekten einer immer lautstärker werdenden Bewegung zur Bewahrung der Nacht.
Immer schon war die Dunkelheit ein Teil des Lebens. Jetzt hat das Schwarz der Nacht aber kaum mehr eine Chance. Sobald die Sonne untergeht, gehen die Lichter an. Zu viele. Die Kinder der 24-Stunden-Gesellschaft kennen keine Milchstraße mehr. Die orangefarbenen Lichtglocken über den Städten fluten weit hinaus ins Umland und auch in der Landschaft hat beispielsweise die Beleuchtung von Bergstationen die Nacht vertrieben. „Lichtverschmutzung“ nennen Experten dieses Phänomen, das den Sternenhimmel für den Betrachter verblassen lässt. Auf Satellitenbildern der NASA erkennt man die Lichtkonzentration in den Industrieländern und den Megastädten. Shanghai, Tokio und Dubai sind unrühmliche Spitze. Die größte Lichtkonzentration hat Europa aufzuweisen und das nicht nur in den Städten. Ein Quadratkilometer holländischer Tomatengewächshäuser soll nachts über vierzig Mal heller strahlen als eine vergleichbare Fläche in Manhattan.
Messstation
Das Lichtfeuerwerk bewirkt, dass 90 Prozent der früher mit freiem Auge wahrnehmbaren Sterne „verschwinden“. Es können auch astronomische Phänomene wie Sternschnuppen und leuchtende Kometen nur noch fernab der Lichtglocken um die Städte beobachtet werden. Punktuell gibt es sie aber noch, die unberührten Nachtlandschaften. Beispielsweise im „Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassnigtal“ in Niederösterreich, wo sich auch der größte Urwaldrest des Alpenbogens erhalten hat. Dort, auf der Legsteinalm betreut Astronom Wuchterl schon seit 2010 eine Messstation auf dem Dach einer alten Jagdhütte.
Astronom Günther Wuchterl am Refraktor-Teleskop in der Kuffner-Sternwarte. Saturn, Jupiter oder die Plejaden rücken dort näher
©Kurier/Juerg ChristandlSternlicht-Oase vor den Toren Wiens
Ziel ist es, den Lichtzustand zu erheben, um belastbare Indikatoren zu erhalten, auf denen Maßnahmen zum Schutz der Nacht entwickelt werden können, darunter die Anerkennung der letzten „Sternlicht-Oasen“ als UNESCO-Weltnaturerbe. Zu den rar gewordenen Plätzen, an denen noch die vielen Milliarden Sterne des Milchstraßenbandes in einer Helligkeit erscheinen, wie sie sonst nur in Wüstengegenden oder den Bergen Chiles zu finden sind, zählt überraschenderweise auch der 1.900 Seelenort Großmugl, nur 33 Luftkilometer von Wien entfernt. Das liegt an der besonderen topografischen Gegebenheit, dass eine umgebende Hügelkette die Lichtsmog-Glocke abhält. „Man spürt die Unendlichkeit, man ertrinkt in lauter Sternen,“ schwärmt Wuchterl von dem Nachterlebnis, das sich oben auf der Leebergwiese – bei einem der schönsten Hügelgräber der Hallstattkultur – den Hobbyastronomen und Astrofotografen bietet.
Die Nachfrage nach dem Nachterlebnis in der Natur ist groß. Doch nur in wenigen „Sternlicht-Oasen“ hat man noch den klaren Blick in den unendlichen Sternenhimmel.
©Markus ReithoferNachthimmelwandern als Zukunft des Tourismus
Noch ist er fast ein Geheimtipp: der Sternentourismus. Während sich Gletscher, klimabedingt der sportlichen Nutzung entziehen, Skilifte sperren, weil ihr Betrieb den Gemeinden und ihre Nutzung den Skifahrerinnen und Skifahrer zu teuer werden, steigt das Interesse an einer neuen, sehr stillen Form der Naturbegegnung: „Nachthimmelwandern“ öffnet im Sommer und im Winter den Blick in die Weiten des Universums. „Mitte Dezember“, sagt der Astronom Günther Wuchterl, „beeindruckt jedes Jahr der Schnuppenstrom der Geminiden“. Benannt ist er nach dem Sternbild der Zwillinge, lateinisch Gemini, und ist bekannt für seine hohe Rate an Sternschnuppen pro Stunde. Am 13. Dezember wird Wuchterl Interessierte auf den Weg zu den Sternen begleiten.
Sternfahrt zu den Geminiden
Die Geminiden sind ein starker Sternschnuppenstrom, der nach dem Sternbild Zwillinge benannt ist. Wenn die Erde im Dezember diese Staubwolke auf ihrer Bahn kreuzt, dringen die Teilchen in die Atmosphäre ein und erzeugen als Sternschnuppen sichtbare Leuchtspuren am Himmel. Der Höhepunkt liegt in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember. Abhängig vom Wetter am 13. Dezember wird entschieden, wann und zu welchem Ort man gemeinsam (in Fahrgemeinschaften) aufbricht, beispielsweise zur Aflenzer Bürgeralm oder ins Wildnisgebiet am Dürrenstein.
Anmeldung und Information:
geminiden@kuffner-sternwarte.at
Wann: Samstag 13. Dezember 2025
Wo: Treffpunkt ist die Kuffner-Sternwarte, Johann Staud-Straße 10, 1160 Wien um 17 Uhr
Leitung: Prof. Dr. Günther Wuchterl
UNESCO-Weltkulturerbe
Winterangebote gibt es vom Tiroler Kaunertal über den Naturpark Attersee-Traunsee bis nach Großmugl. Die Astrotourismus-Vorzeigegemeinde will jetzt auch wieder die bürokratische Arbeit aufnehmen, die es benötigt, UNESCO-Schutzstatus zu erwerben. Ein erster Versuch 2017 war fehlgeschlagen. Im neuen Anlauf will man jetzt gleich im Stück, als erste Gemeinde weltweit, Weltkultur- und nicht „nur“ Weltnaturerbe werden. Indem man das Anliegen in einen umfassenderen Zusammenhang stellt, nämlich in den mit der Hallstatt-Kultur. Längst geht es um mehr als um ein beschauliches „Sternderlschauen“, nämlich um die Rettung der Nacht.
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