Retiro-Park

Madrid entdecken: Kunst, König und die besten Churros der Stadt

Madrid ist voller Leben. Auf den Straßen, in den Tapas-Bars, in den Museen. Was man sehen und probieren muss.

Der Meister ging mit Madrid harsch ins Gericht. Die Stadt und ihr Ruf, schrieb Javier Marías 2009 einmal in der Tageszeitung El Pais, sei ein „schmutziger, schlampiger Ort“, „städtebaulich verbrecherisch“ und „mit einem Stadtzentrum irgendwo zwischen Favela und dem kriegsverwüsteten Beirut“. Das Scheitern von Madrid als Austragungsort der Olympischen Spiele wäre demnach unausweichlich. Madrid, das sei, kurz gesagt – „eine furchterregende Hölle“.

Der weltberühmte, 2022 verstorbene Autor muss damals kurz besonders schlecht auf seine Stadt zu sprechen gewesen sein. Vielleicht war ihm die Hitze im Sommer zu groß geworden, die Bürokratie zu langsam, auf jeden Fall der Lärm zu viel geworden. Doch Marías, der Intellektuelle mit den endlosen, rhythmischen Satzkaskaden, durfte schimpfen. 

Sein Dasein war unabdingbar mit der Zuneigung zur spanischen Hauptstadt verbunden, seine Romane spielten hier, er besuchte die Spiele seines geliebten Real Madrid und schrieb sogar ein Buch darüber. Ein gelungener Pass, ein schönes Tor, das bedeutete ihm ähnlich viel wie eine gelungene Theatertragödie. Und literarisch blieb er ihr treu. Unnachgiebig verliebten sich die Helden seiner Romane weiterhin in Madrid oder setzten sich hier die Pistole an die Brust.

Gran Via, Madrid

Das Metropolis-Haus mit der Victoria auf der Kuppel an der Kreuzung der Calle de Alcalá und der Gran Vía

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Monumente und Mahlzeiten

Tatsächlich fällt es schwer, sich in Madrid nicht zu verlieben – und zwar in die Stadt selbst. Was Marías nervös machte, lieben andere: den vibrierenden Pulsschlag, der sie durchdringt. Beim ersten Schritt hinaus auf die Gran Via spürt man ihn. Die Stadt lebt. Der „Broadway Madrids“ wird die Prachtstraße genannt oder die „Fifth Avenue Madrids“. Sie steht für das moderne Madrid, welches das Knäuel kleiner Gassen durch eine dominante Lebensader ersetzen sollte, mit seinen Wolkenkratzern und der bedeutenden Architektur. 

Da wäre etwa das monumentale Metropolis-Haus mit dem Türmchen und der Kuppel, auf deren Spitze eine Victoria mit ausgebreiteten Flügeln schwebt, ein Zeichen des Sieges. Was für Zeiten, als die Sitze von Versicherungen so aussehen durften – und nicht wie panoramaverglaste Büroquader. Wer vor dem Edificio Telefónica, das im Dienste der Telekommunikation arbeitet, stehen bleibt, könnte wiederum glauben, er befände sich im New York der Zwanzigerjahre, so amerikanisch ist seine Bauweise. Niemanden würde wundern, führe ein gelbes Taxi vorbei oder ein Mann in Frack und Zylinder auf dem Kopf spazierte aus der Tür. Oder gar Dagobert Duck. 

Ob das Casino oder das Capitol, man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dann zieht es einen wieder hinein, in den Menschenfluss der Gran Via, und in den Shoppingwahnsinn von Sephora über Swarovski bis Zara. Vielleicht kauft man sich für unterwegs ein Schinkensandwich, das berühmte El Bocata de jamón: ein aufgeschnittenes Baguette, spanischer Schinken, fertig. Ideal als Imbiss für zwischendurch.

Süße Churros probieren

Für einen anderen Klassiker setzt man sich allerdings besser zu Tisch, und am besten bindet man sich auch ein Patterl um den Hals – beim Schnabulieren der Churros ist die Gefahr sich anzupatzen eher groß. Die frittierten, mit Zucker bestreuten goldgelben Teigstangerln sind sicherlich nicht der gesündeste Snack auf der Welt, aber sie gehören zu Spanien wie das Croissant zu Frankreich und sind lustig zu essen, wie man sie immer wieder in einen Topf aus heißer Schokolade eintaucht. Am besten geht man dafür in die Chocolatería San Ginés, dort stellt man sie seit 130 Jahren her. Das zieht auch Stars an, Plácido Domingo über Tina Turner bis Stevie Wonder stürzten sich hier schon mit Genuss ins Zuckerkoma. Damit das niemand vergisst, zieren Fotos ihrer Besuche die Wände.

Churros

Süßer Snack: Churros sind gezuckerte Teigstangerln, die man in Schokolade taucht. Ein Klassiker

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Kulinarisch darf aber natürlich auch eines nicht fehlen: Tapas. Dafür geht man am besten ins Stadtviertel La Latina nahe des Zentrums, mit seinen engen Gassen, der historischen Atmosphäre, wo sich eine charmante Tapas-Bar an die nächste reiht und die Madrilenen sich treffen, plaudern, lachen. Hier beginnt der Abend und die Nacht. Wenn man die Cava Baja hinaufspaziert, diese zauberhafte Straße mit ihren Bars, Restaurants und Tavernen, landet man vielleicht im La Chata, was eine gute Idee ist, wenn man sich an der Stierkampf-Deko nicht stört, man stellt und setzt sich dazu und probiert sich durch, ob mit Jamón, Croquetas oder Calamares. 

Auch gute Restaurants sind in dieser Gegend angesiedelt, etwa das Botín, gegründet 1725, das laut Guinness-Buch der Rekorde das älteste Restaurant der Welt ist, oder das Almendro 13 mit seinen Chacinas, Tortillas und Tapas. Für Vegetarier ist die Küche Madrids kaum etwas, Fleischtiger dagegen feiern Hochamt. Und akzeptieren auch das eine oder andere Gramm zu viel auf den Rippen, wenn sie von ihrer Reise zurückkehren.

Retiro-Park

Bootfahren mit Aussicht: Im Teich des Retiro-Parks kann man sich rudernd ins Zeug legen und nebstbei das Monument zu Ehren von König Alfons XII. samt Reiterstatue bestaunen

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Boote und Bäume

Wer viel isst, sollte am besten auch viel spazieren gehen. Zum Beispiel im Retiro-Park, eine der sogenannten Grünen Lungen, die jede halbwegs zivilisierte Stadt zwischen New York und London vorsieht. Ein beschauliches Plätzchen, das sich auf 125 Hektar erstreckt, auf denen einem 15.000 Bäume Gesellschaft leisten, von Pinien über Zedern bis Eukalyptusbäume.

Familien machen hier einen Spaziergang, Jogger laufen, Verliebte schnappen sich ein Boot für zwei und rudern über den Parkteich. Währenddessen man sich in die Riemen legt, blickt man abwechselnd schwärmerisch auf die Liebste, dann wieder ehrfurchtsvoll auf das monumentale Bauwerk, das den Teich auf einer Seite säumt: das Monument zu Ehren von König Alfons XII. mit den in einem Halbkreis angeordneten 76 dorischen Säulen, in deren Mitte (und 30 Meter über dem Boden) die Reiterstatue des Monarchen in die Höhe ragt. 

Im Frühling erfreut ein Rosengarten das Auge. Erwähnt sei, nebst dem sich im Umbau befindlichen Kristallpalast, auch die Statue des Gefallenen Engels, die Luzifer bei der Vertreibung aus dem Paradies zeigt. Madrid wird deshalb von manchen dafür getadelt, es sei die einzige Stadt der Welt, die dem Teufel ein Denkmal (inmitten eines Springbrunnens) gesetzt hätte. Erbaulicher sind da zwei andere Fixpunkte im Park: eine Ahuehuete, für Nicht-Botanikern besser als Mexikanische Sumpfzypresse auszusprechen, wurde 1633 gepflanzt. Ein Olivenbaum wiederum stammt aus der Zeit um 1396 und ist der älteste Baum in ganz Madrid. Nicht einmal der Teufel konnte den beiden den Garaus machen.

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Hohe Kunst: Im Museo del Prado sind Werke von Caravaggio bis Rubens zu sichten. Besonders eindrucksvoll: die Goya-Sammlung

©álvaro lópez del cerro/madrid destino

Museen und Monarchen

Doch genug von der von Menschenhand angelegten Natur, widmen wir uns Kunst und König. Was die Erstgenannte betrifft, reichen drei Worte: Museo del Prado! Eine der wichtigsten Kunstsammlungen der Welt, drei Millionen Besucher pilgern jedes Jahr hierher. Versäumen darf man zum Beispiel nicht „Die drei Grazien“ von Rubens, das Triptychon „Der Garten der Lüste der Erde“ von Bosch, oder „David besiegt Goliath“ von Caravaggio

Und natürlich die Spanier! Herauszustreichen ist hier Francisco de Goya, mehr als die Hälfte seines Werkes beherbergt das Museum, von Hannibal in den Alpen bis zum gekreuzigten Christus, aber besonders stechen seine schwarzen Bilder hervor, die „Pinturas Negras“. Düstere Gemälde, von denen „Der Saturn“ einen bis in den Schlaf verfolgen kann: Zeigt es doch, wie Saturn, der römische Gott der Zeit, dargestellt als halb Tier, halb Mensch, dem prophezeit wurde, von einem seiner Kinder gestürzt zu werden, eines der solchen packt und verzweifelt verschlingt. Mit wahnhaft weit aufgerissenen Augen hält Saturn einen Torso in den Klauen, der Kopf ist abgebissen, Blut fließt. Ein Albtraum in Pinselstrichen.

Wer zeitgenössische Kunst sehen will, besucht hingegen das Museum Reina Sofía. Zu sehen sind Braque, Dalí oder Miró, der große Publikumsmagnet aber hier ist eindeutig Picassos „Guernica“, des Genies berühmtestes Gemälde und eine erschütternde Anklage gegen die Barbarei des Krieges.

Königspalast, Madrid

Beeindruckend: der Königspalast

©Getty Images/iStockphoto/StockByM/istockphoto

Diese Kunstwerke mögen auf ihre Art Kronjuwelen von Madrid sein, die tatsächliche Krone aber wohnt anderswo. Nein, gemeint ist nicht Spaniens Ex-Skandalkönig Juan Carlos I. (Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Mangel an Beweisen), der inzwischen dauerhaft in den Arabischen Emiraten im Exil weilt. Felipe VI. ist jetzt der tonangebende Monarch. Dem Königspalast mit seinem weiten Vorplatz konnte all das nichts anhaben. 

Gewohnt wird nicht mehr darin, für Staatsanlässe wird der Palacio aber weiter genutzt. Sein Prunk ist wahrlich sehenswert. Majestätisch schwingt sich die marmorne Haupttreppe nach oben. Der Thronsaal mit seinen roten Samtwänden und dem spanischen Thron, der von goldenen Löwen bewacht wird, ist so feierlich wie man sich das wünscht. Der Spiegelsaal ist atemberaubend, ebenso das Kabinett von Karl III. und die schweren, eisernen Ritterrüstungen der Königlichen Waffenkammer aus nächster Nähe zu besichtigen, ist faszinierend. 

Und wer jemals den Gala-Speisesaal in seiner gnadenlosen Opulenz auf sich wirken hat lassen, mit seinem barocken Prunk, den Kronleuchtern und seiner langen Tafel und Platz für 144 Gäste, weiß jetzt, was es bedeutet, eine echte Dinnerparty zu geben. Madrid beeindruckt seine Besucher eben gerne. Und erfüllt die stolzen Madrilenen mit noch mehr Stolz.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

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