Ein Hotelangestellter steht einladend in der Lobby des Hotels Stefanie in Wien.

Ältestes Hotel Wiens: Auch der Kaiser hat einen Zimmerschlüssel

Vom Einkehrgasthof mit Pferdestellplatz zum Vier-Sterne-Haus: 425 Jahre Hotel Stefanie - ein Blick hinter die Kulissen.

Erst mit dem Pferdegespann hüahott ins Hotel preschen, dann nach geruhsamer Nacht ein Frühstück mit Melange und Butterkipferl im Festsaal. Am nächsten Tag geschnäuzt und gekampelt zurück in die Stadt – wo die Geschäfte warten und das große Geld. Das wär’s. Zumindest in der Vorstellung. In Wirklichkeit war es ziemlich sicher völlig anders, damals, als das Hotel Stefanie noch als Einkehrgasthof seine Gäste begrüßte. 

Als ein Zimmer zu beziehen hieß, dass dort meist noch eine oder zwei andere Personen nächtigten. Und Wien, das ident mit dem Ersten Bezirk war, nur eine einzige Brücke über die wilde Donau mit dem Norden verband, die heutige Schwedenbrücke. Die führte direkt in die Taborstraße und dort steht – bis heute! – das Hotel Stefanie, durchgehend geöffnet seit dem Jahre 1600, also seit satten 425 Jahren. 

Eine Heimat für die Reisenden, die in Wien emsig Handel betrieben, etwa 7.000 Lastschiffe legten pro Jahr zu Zeiten des Vormärz an. Diese Reisenden benötigten einen Platz zum Schlafen, außerdem mussten sie ihre Pferde verstauen, die in der Stadt verboten waren. Am Tabor außerhalb der Stadtmauern fanden sie Kost und Logis – und das weitaus günstiger als in der teuren Residenzstadt.

Ein Hotelangestellter eilt mit einem Koffer durch die Lobby des Hotel Stefanie.

Wo heute im Hotel Stefanie die Lobby und die Portiersloge sind, trabten früher die Postkutschenpferde durch, auf dem Weg zu den Stallungen der Herberge

©Barbara Nidetzky

Und heute? Im lang gestreckten Trakt, wo im Hotel Stefanie einst die Postkutschenpferde zu den Stallungen durchtrabten, ist nun die Lobby angesiedelt. In der Portiersloge warten die Concierges Zlatko und Andreas, beide in schicker Livree, mit blitzenden Augen und verschmitztem Lächeln – „herzlich willkommen.“ Seit 36 bzw. 34 Jahren empfangen sie die Gäste. Das ist eine lange Zeit, aber beileibe nicht so lange, wie es das Stefanie gibt: Es ist das älteste Hotel Wiens, war Herberge, jüdisches Bethaus, Wohnstatt russischer Soldaten – und bei der Rezeption hängen nicht nur die Schlüssel der Gäste, sondern auch der goldene Zimmerschlüssel Franz Josephs. Ja, des Kaisers.

Offiziell sehenswürdig

Schon das Portal zur Straße verheißt Stil der alten Wiener Art. Der distinguierte grauschwarze Stein, der mattgoldene Überbau, die verzierten Fenster. Der Hotelname in dieser schnörkellos schlanken Schrift. Noch gar nicht so lange, nämlich seit 2018, prangt eine Gedenktafel an der Front, angebracht von der Stadt Wien, bekränzt von rot-weiß-roten Fähnchen. „Wir sind die Nummer 253 der gelisteten Sehenswürdigkeiten Wiens“, weiß Hoteldirektor Alexander Schick. Eine Auszeichnung, die es hochzuhalten gilt. In einer Zeit, in der durchdesignte Luxushotels Gewinne schreiben und lifestylige Dreisterner den Markt aufmischen, muss man seine Identität betonen, um zu bestehen.

Alexander Schick, Chef des Hotel Stefanie, steht vor dem Hotel.

Hotelchef Alexander Schick: "Das Stefanie hat von klein auf mein ganzes Leben geprägt"

©Barbara Nidetzky

Zumal das Stefanie keiner internationalen Hotelgruppe angehört. Es ist in der fünften Generation familiengeführt, vor zwei Wochen hat Schick die Führung nach 35 Jahren von seinem Vater Martin übernommen. Schon als Kind krabbelte er durch die Lobby, heute setzt er auf zarte Renovierungen und Digitalisierung, ohne dabei die Tradition zu vergessen. „Das Stefanie hat von klein auf mein ganzes Leben geprägt“, erzählt er, „es ist wie mein zweites Wohnzimmer.“ Und das quillt über vor Antiquitäten, die Geschichte atmen – doch dazu später.

Zu Ehren des Prinzenpaars

Was heute der zweite Bezirk ist, war einst das „Untere Werd“. „Werd“ – das stand für eine Insel vor der Stadt – ein Auengebiet, das als Weideland genutzt wurde, für die Jagd, und als Holzlieferant. Und es war ein wichtiger Handelsweg, was dazu führte, dass Herbergen die Taborstraße säumten – eben auch das Hotel Stefanie, das anfangs unter dem Namen „Zur Weißen Rose“ firmierte, wie die Historikerin Marion Luger herausfand.

1833 bot es 90 Stellplätze für Pferde auf. Der 1838 eröffnete Nordbahnhof und die erste Dampfeisenbahn machten das Werd als Businesscenter noch bedeutender, und das Hotel profitierte davon. 1888 schließlich übernahm Carl Witzmann, der Ururgroßvater des aktuellen Chefs. Und taufte es in Hotel Stefanie um, damals noch mit „ph“, was seinen Grund hatte: zu Ehren der Hochzeit von Kronprinz Rudolf und Stephanie von Belgien. Die Tragödie um den Selbstmord Rudolfs und seiner Geliebten Mary Vetsera, der die Monarchie erschütterte, konnte damals noch niemand ahnen.

Uniform eines k. u. k. Husaren-Oberleutnants im Hotel Stefanie.

Uniform eines k. u. k. Husaren-Oberleutnants

©Barbara Nidetzky

Heute gehören zur Schick-Gruppe fünf Vier-Sterne-Häuser. Insgesamt beschäftigt sie 170 Mitarbeiter. Einer davon ist der Concierge Andreas, ein Hotelmann alter Schule, der viel zu erzählen hat. Von Zeiten, als Stammgäste Kredite aufnahmen, oder man den Champs-Élysées in Paris für den Concierge-Kongress sperrte. Ein Gentleman, der für Städte-Tipps kein Internet braucht – und mit Zlatko (siehe Artikelaufmacher) Herr der Lobby ist.

Die Übersicht teilen die zwei sich mit der Schutzpatronin des Hauses – als Büste gleich rechts, wenn man eintritt, wacht Prinzessin Stephanie. Wie sein Vater kauft Hotelchef Alexander Schick gern schöne Dinge. Glatt polierte Skulpturen, goldverzierte Wand- und Kommodenuhren, prachtvolle Luster regieren bereits die Lobby. Perserteppiche, Holzschnitte und arabeske Stehlampen prägen das Bild. In jeder Ecke glänzt es, prangt ein kostbares Kleinod. Im ganzen Haus stehen alte Schreibmaschinen, die „Erika“ heißen oder „Senta“. Und dann ist da die allgegenwärtige Monarchie: Hinter Glasvitrinen sind Speiseteller der Kronprinzessin zu beäugen, die Uniform eines k. u. k. Husaren-Oberleutnants, imperiale Schoko-Schatullen. Und dann eben der kaiserliche Hofstaatschlüssel, verliehen an einen Kämmerer.

Es passt, wenn sich zu Veranstaltungen wie zur Krimishow „Dinner & Crime“ demnächst ein Sisi-Dinner gesellt: Während die Gäste speisen, lebt, liebt und leidet die Kaiserin. Das Hotel Stefanie wird es vertragen, seine Wände haben bereits viel gesehen. Im ersten Weltkrieg war es ein jüdisches Bethaus für die Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina. Und bis 1903 bot die jüdische Budapester Orpheumgesellschaft hier ihre Kabaretts dar, im Festsaal mit seiner per Knopfdruck im Boden versenkbaren Trennwand. Unter ihnen: Volksschauspielstar Hans Moser. Bis heute ist die Verbindung des Hotels mit der jüdischen Gemeinde eng.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schliefen die russischen Soldaten im Hotel, für einen Schilling die Nacht. Um so viele Betten wie möglich zu vermieten, holte der damalige Chef Betten aus den Kasernen: Die Russen schliefen in Betten der deutschen Wehrmacht. Das Hotel Stefanie ist Wiener Zeitgeschichte. Mit dem Pferd reitet man heute zwar nicht ein. Der Kaiser würde dennoch gerne einkehren.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

Kommentare