T.C.Boyle: „Die Wahrheit ist das, was der Führer sagt"
T.C. Boyle kommt nach Wien. Im Interview spricht er über sein neues Buch, die politische Lage in Amerika und das Schreiben.
Video-Interview mit T.C. Boyle. Bei uns ist es dunkle 22 Uhr, in Kalifornien sonnige 13 Uhr. Wie geht es dem Literatur-Rockstar, Trump-Kritiker, Weltautor? Boyle lacht. „Nun, ich bin immer noch am Leben“, antwortet er. „Was angesichts der Lage der Welt ein beachtliches Wunder ist.“
Boyle ist eine der wichtigsten Stimmen Amerikas und Seismograph gesellschaftlicher Zustände. Sein neues Buch „No Way Home“ präsentiert Boyle am 19.11. im Wiener Konzerthaus, unterstützt von Schauspieler Ben Becker. Im Roman kämpfen zwei Männer um eine Frau, einer aus der Stadt, der andere vom Land. Eine Story über obsessive Liebe, aber auch ein politischer Kommentar über das Amerika von heute.
Sie fliegen nicht gerne mit dem Flugzeug. Dennoch feiern Sie die Weltpremiere Ihres neuen Romans in Wien. Was mögen Sie denn nicht am Fliegen?
Ich habe keine Angst. Ich bin sogar öfter im Flugzeug gesessen als die meisten Piloten, vor allem in den Jahren, in denen ich für „Drop City“ auf Lesetour war. Damals habe ich 75 Städte in ganz Amerika und Europa besucht. Deswegen bin ich, was das Fliegen betrifft, ein wenig ausgebrannt. Was ich am Fliegen nicht mag, ist: Ich bin hyperaktiv. Es fällt mir sehr schwer, so lange Zeit auf engstem Raum eingesperrt zu sein.
Besonders in Österreich und Deutschland werden Ihre Romane geliebt. Was vermuten Sie, warum werden Ihre Bücher gerade hierzulande so gerne gelesen?
Weil die Österreicher und die Deutschen einen hervorragenden literarischen Geschmack haben natürlich. Im Laufe meiner Karriere habe ich mit meinen Fans viele Beziehungen aufgebaut.
Als wir den Termin für unser Interview festlegten, meinten Sie, nachmittags hätten Sie immer gut Zeit. Wie verbringen Sie für gewöhnlich Ihre Vormittage?
Mein Tag läuft für gewöhnlich so ab: Ich gehe jeden Tag pünktlich um 23:30 Uhr ins Bett – selbst dann wenn ich gerade das beste Buch der Welt lese, mache ich dafür keine Ausnahme. Um 6 Uhr früh öffne ich dann wieder meine Augen. Wann gehen Sie für gewöhnlich schlafen?
Meistens um Mitternacht.
Ein ausgeglichener Schlaf ist wichtig, besonders für einen Schriftsteller. Wenn du müde bist, verlierst du den Faden, denn dann willst du nur noch eines: ein Nickerchen machen. Ich stehe also auf, räume zusammen, gehe mit dem Hund an den Strand, lese Zeitung und frühstücke. Dann mache ich ein 15-minütiges Nickerchen – bloß 15 Minuten, nicht länger. Anschließend gehe ich an die Arbeit und schreibe bis etwa 14 Uhr. Im Moment bin ich ein wenig frustriert, weil ich an nichts schreibe. Aber ich sammle Material und beginne zu wissen, was im nächsten Roman passieren wird.
Erfolgsautor T.C. Boyle: „Das Schreiben ist mein Leben. Und meine Art, dieses verrückte Leben zu verstehen“
©Jamieson FryWas ist die relevantere Arbeit für Sie, wenn Sie an einem neuen Roman sitzen: die Recherche oder das Schreiben?
Das Schreiben selbst. Manche Schriftsteller sind so tief in die Recherche vertieft, dass sie vergessen, dass diese nur dazu dient, zum Schreiben anzuregen. Im Grunde ist es eine Möglichkeit für sie, das Schreiben auf die lange Bank zu schieben.
Wie gehen Sie ans Schreiben heran?
Für mich ist die Arbeit an einem Roman etwas sehr Organisches. Es ist ein Prozess, der in mir abläuft, ich weiß nicht wie und warum. Die Strukturen all meiner Bücher entstehen in meinem Inneren. Ich schreibe nicht im Vorhinein auf, was passieren soll, das wäre langweilig für mich. Vielmehr ist es ein Prozess des Entdeckens, vom Anfang bis zum Ende eines Buches. Es beginnt mit Notizen, die ich mir mache. Ich sehe, was ich sehen muss. Irgendwann kommt mir ein weiterer Gedanke. Und dann folge ich ihm.
Das klingt weniger nach qualvoller, sondern genussvoller Arbeit. Wie schön!
Und es klingt so einfach! (lacht) Nicht mit fehlender Inspiration zu kämpfen und sich vom Elend der Hoffnungslosigkeit leiten zu lassen. Zum Glück arbeite ich sehr strukturiert. Sobald ich mit dem Schreiben beginne, schreibe ich jeden Tag, sieben Tage die Woche, an einem Buch. Klar, an manchen Tagen komme ich einfach nicht weiter. Aber an guten Tagen verlasse ich meinen Körper, versinke in meiner Arbeit und vergesse völlig, was ich tue. Das ist das Schöne daran. Für meine Leser wünsche ich mir dasselbe: Sie mit einem Buch für eine Weile aus diesem Leben herauszuholen.
Sie veröffentlichen ungefähr alle 18 Monate ein Buch. Können Sie nicht anders, müssen Sie schreiben – ist es das, was Sie lebendig und am Denken hält?
Ja, auf jeden Fall. Ich fühle mich privilegiert und glücklich, meine Berufung gefunden zu haben. Als ich das Schreiben entdeckt habe, mit etwa 25 Jahren, habe ich mich direkt in die Arbeit gestürzt. So kostbar ist es. Das Schreiben ist mein Leben. Es ist, was ich immer wollte. Und meine Art, dieses verrückte Leben zu verstehen – und uns Menschen, diese großen Affen, die sich Kleidung anziehen, die wissen, dass es weder einen Gott noch einen Sinn des Lebens gibt und dass sie eines Tages sterben müssen. Das Schreiben ist meine Art, das Mysterium Leben zu entschlüsseln.
Meisterschriftsteller T.C. Boyle über die aktuelle Lage in den USA: „Im Moment ist der Präsident das Gesetz. Die Gewaltenteilung funktioniert nicht mehr“
©jamieson frySie schildern in Ihrem neuen Roman „No Way Home“ eine Dreiecksgeschichte. Was hat Sie an dieser Konstellation gereizt?
Zwei Männer kämpfen um eine Frau. Dabei gebe ich tiefen Einblick in die Charaktere von allen dreien. Mir gefällt das, weil der Leser sich dabei mit dem einen identifizieren kann oder dem anderen. Man taucht in die eine Gedankenwelt ein, dann in die andere. Es hilft mir, Spannung aufzubauen.
Zwei Männer kämpfen um eine Frau, die Turbulenzen entladen sich in Gewalt. Ist Friede im Roman wie auch in der Welt keine Option mehr?
Die Wirklichkeit geht über Gespräche weit hinaus. Wenn wir uns paaren und einen Partner suchen, können wir sehr aggressiv werden. Denken Sie an die großen, gehörnten Schafe oben in den Bergen. In Naturfilmen sieht man, wie sie ihre Köpfe aneinanderstoßen, um an ein Weibchen zu kommen und sich fortzupflanzen. Wir mögen es nicht, uns selbst so zu betrachten, aber so ist die Realität.
Wie sieht Ihr Blick auf Sie selbst aus?
Einst war ich ein junger, verrückter Mann. Ich selbst hatte keinen Schimmer davon, aber die Natur und meine Gene wollten, dass ich eine Partnerin finde und mich fortpflanze. Ich habe nie bewusst darüber nachgedacht. Ich bin Vater von drei Kindern, alle drei sind auf diese Weise entstanden. Ich bin ein Tier, lebe das Leben eines Tiers und versuche, das zu verstehen.
Zwei Welten prallen im Roman aufeinander. Der Akademiker aus der großen Stadt und der tätowierte Biker aus der Provinz. Das hat auch eine politische Dimension. Wollten Sie die Lage in den USA in einem Beziehungsdrama widerspiegeln?
Ich wollte es nicht offensichtlich machen, aber die Leute sehen darin schon eine Art Kommentar zum heutigen Amerika. Die letzte Wahl war die katastrophalste in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Roman ist eine Reflexion dessen, was heute in Amerika passiert, die Polarisierung. Aber das ist der Subtext. Im Vordergrund steht eine spannende Geschichte über zwei Männer und eine Frau.
Der Autor Jonathan Franzen meinte in einem Interview, in Kalifornien gebe es einen „Code des Schweigens“. Man spreche unter seinesgleichen nicht über das neue Regime, jeder gehe nach Hause und leide für sich: „You just go home and suffer by yourself about what’s happening.“
Ich bin mir da nicht so sicher. Die Machtübernahme passierte so schnell. Ich glaube, wir brauchen etwas Zeit, um zu erkennen, wie vollständig sie ist und wie wir dagegen protestieren können. Es gibt jetzt die „ No Kings“-Proteste. Im Moment aber sind wir machtlos. Wir müssen hoffen, dass wir bei den Midterms (Zwischenwahlen) das Repräsentantenhaus zurückgewinnen, sodass dem Autokraten zumindest Einhalt geboten wird. Aber wer weiß, vielleicht bleibt es für immer so. Oder aber diese Regierungen kommt auf diese Weise zu Fall. Im Moment habe ich noch die Freiheit, zu sagen und zu schreiben, was ich will. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Bruce Springsteen bis Jennifer Lopez haben sich im Wahlkampf gegen Donald Trump ausgesprochen. Verloren hat Kamala Harris trotzdem. Fühlt man sich da zunehmend machtlos als Künstler?
Nein. Aber es ist sehr beunruhigend, dass dieses Regime versucht, jede Kritik und jede abweichende Meinung zu unterdrücken. Im Moment ist der Präsident das Gesetz. Die Gewaltenteilung funktioniert nicht mehr. Ich hoffe wirklich auf die Midterms.
Donald Trump rühmt sich, den Krieg in Gaza beendet zu haben. Hätte er sich dafür den Friedensnobelpreis verdient, was ja zur Diskussion stand?
Ich muss ihm zugestehen, dass er sich in diesen Konflikt eingeschaltet und zumindest vorläufig einen Waffenstillstand erreicht hat. Hoffen wir, dass er hält. Trotzdem ist er derjenige, der den Friedensnobelpreis am wenigsten verdient, denn alles, was er schafft, ist Krieg. Krieg gegen sein eigenes Volk in Amerika. Es ist katastrophal, was in Gaza passiert ist, insbesondere den Palästinensern.
T.C. Boyle: „No Way Home“ (Hanser). Lesung und Gespräch mit dem Autor am 19.11. im Wiener Konzerthaus. Ben Becker liest, Gespräch mit Katja Gasser.
©HanserWenn wir über die Demografie der USA nachdenken, Stadt und Land – sind diese beiden Welten unversöhnlich geworden?
Nein. Was beim Aufstieg Trumps und anderer Autokraten passiert ist, ist: Es gibt keine Wahrheit mehr. Der Krieg der Rechten gegen die Wissenschaft und überprüfbare Fakten etwa ist genau, was George Orwell vorhergesagt hat. Die Wahrheit ist das, was der Führer sagt. Punkt. Dasselbe ist es mit den Angriffen auf die Universitäten und die freie Presse. All das dient dazu, individuelles Denken zu unterdrücken, um im Gleichschritt zu marschieren. Das sieht man in vielen Ländern. Es ist eine traurige Zeit. Man muss hoffen, dass die intakte Demokratie sich wieder erholt.
Wie ist Ihre Sicht auf Europa, wo viele Politiker den Polit-Stil Trumps kopieren?
Sehr, sehr besorgniserregend.
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