
Julia Franz Richter: Die Widerspenstige, nach der Hollywood ruft
Julia Franz Richter ist eine der spannendsten Schauspielerinnen des Landes. Jetzt spielt sie im Horrorfilm „Welcome Home Baby“.
Ob Komödie, Sci-Fi oder Thriller: Julia Franz Richter überzeugt in jedem Genre. Das fällt auf. Die US-Branchenbibel Hollywood Reporter widmete der Österreicherin ein Porträt. Jetzt ist ein Horrorfilm dran: In „Welcome Home Baby“ erbt eine Berliner Notärztin ein Haus in Österreich, von dessen Existenz sie nichts wusste, von einer Familie, die sie als Kind weggegeben hat. Sie reist hin, um den Verkauf abzuwickeln. Ihre undurchschaubare Tante (Gerti Drassl) versucht sie im Dorf zu halten. Ein bildgewaltiger Psycho-Horror von Regisseur Andreas Prochaska („Das finstere Tal").
Kontrollverlust, Trauma, Angst. Ihr neuer Film ist harter Stoff.
Die Kontrolle über die eigene Wahrnehmung zu verlieren, war für mich eines der unheimlichsten Motive des Films. Ich bin eine recht kontrollierte Person. Auch die Begegnung mit verdrängten Traumata, die meine Figur durchlebt, hat mich beschäftigt. Die Vergangenheit kennen zu müssen, um in der Gegenwart handlungsfähig zu sein.
Sind Sie gut im Verdrängen?
Leider gar nicht. Wenn mich etwas beschäftigt, rattert es am Abend beim Schlafengehen durch meinen Kopf, und es ist das erste, an das ich denke, wenn ich aufwache.

Für die Öffentlichkeit zeigt Richter sich gern mit ernster Miene: „Ein Schutzmechanismus“
©Kurier/Juerg ChristandlPanik und Angst , wie spielt man das, was ist Ihre persönliche Herangehensweise?
Ich lege mir schon vor den Dreharbeiten eine Playlist für den Film und die Figur zurecht. Wenn ich die Szenen dann drehe, bringen mich diese Lieder in die richtige emotionale Stimmung. Die Lieder sind ein Bindeglied zwischen der Fiktion und mir.
Welche Lieder waren diesmal dabei?
Zum Beispiel „Ritual Awakening“ von Jenny Hval, „Believe“ von Okay Kaya oder „Sad Day“ von FKA Twigs. Insgesamt ein sphärischer, dunkler Sound.
Was waren die größten Herausforderungen beim Drehen?
Viele Drehtage in einem klaustrophobischen Setting. Und die Unterwasserszenen. Wobei ich emotional fordernde Szenen anstrengender empfinde als körperliche. An die gehe ich mit sportlichem Ehrgeiz heran, weil ich nicht gedoubelt werden möchte. Gedreht haben wir die Szenen in einem See in Hinterbrühl und einem Studio-Tauchbecken. Das war kalt, aber ich wurde gut umsorgt. Wenn ich privat friere, kommt auch niemand mit der Wärmeflasche.
Was blieb Ihnen noch in Erinnerung?
Ich muss oft lachen, wenn gedreht wird. Besonders wenn mir die Absurdität einer Situation bewusst wird. Bei diesem Film war das eine Szene, bei der Gerti Drassl und Maria Hofstätter mich mit einer Topfengolatsche füttern mussten. Wenn es verboten ist zu lachen, muss ich es garantiert.

„Ich spiele gerne Rollen, bei denen ich mich ausleben kann. Figuren, die gegen den Strich gebürstet sind, an denen ich mich reiben kann und die sich etwas trauen", sagt Richter
©Kurier/Juerg ChristandlAuf Fotos von Premieren und am roten Teppich sieht man Sie hingegen selten bis nie lachen. Ist das Absicht?
Ich mag diese Form von Öffentlichkeit nicht besonders, mich stressen solche Situationen sehr. Auf diese Weise fühle ich mich sicher. Es ist auf eine Art auch wie in eine Rolle schlüpfen – eine öffentliche Rolle.
Sie möchten also nichts damit aussagen.
Nein. Ich bin grundsätzlich eigentlich eine Person, die gern und viel lacht. Wenn ich in solchen Momenten ernst schaue, ist das mehr ein Schutzmechanismus als ein Statement. Ich glaube aber, dass es vielen Kolleginnen und Kollegen da ähnlich geht.
Sie spielen mit Vorliebe widerspenstige Figuren. Was hat es damit auf sich?
Ich spiele gerne Rollen, bei denen ich mich ausleben kann. Figuren, die gegen den Strich gebürstet sind, an denen ich mich reiben kann und die sich etwas trauen. Alles, wobei ich mich anders ausdrücken kann als sonst. Auch, was mich wegführt von mir. Deshalb schätze ich die Arbeit am Theater: Da kann ich sogar einen Hund spielen oder eine Tanne. Die Arbeit beim Film ist psychologischer.

Julia Franz Richter beim Interview mit Kurier-Redakteur Alexander Kern
©Kurier/Juerg ChristandlSchauspielen als sportliche Herausforderung. Ist das Ihr Zugang?
Ich schätze es, an Projekten und mit Menschen arbeiten zu können, die Haltung haben, nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben. Grundsätzlich das Dialogische an meiner Arbeit. Gleichzeitig hat Schauspiel für mich einen egoistischen Aspekt. Ich habe viel über mich selbst gelernt, als ich mich für diese oder jene Rolle ausleben durfte.
Sie könnten nicht nur Hunde spielen, Sie haben auch Männer dargestellt.
Die besseren Rollen wurden in den Klassikern für Männer geschrieben. Sie leben von Ambivalenz und Widersprüchen. Ich habe mich am Theater dafür eingesetzt, dass diese Geschlechtertrennung aufgelöst wird.
Gesellschaftliche Themen sind Ihnen wichtig. Welche Anliegen zum Beispiel?
Feministische Anliegen. Erfahrungen im Umgang mit Macht und in diesem Kontext mit Machtmissbrauch. Grundsätzlich beschäftigt mich, dass wir aus der Geschichte offenbar nicht gelernt haben. Überall wird Faschismus salonfähiger, Österreich und Deutschland unterstützen einen Genozid, während Menschen, die hierher fliehen, als Sündenböcke für soziale Missstände missbraucht werden.
Die US-Branchenzeitschrift „Hollywood Reporter“ bezeichnet Sie als aufstrebenden Star. Wie fühlt sich das an?
Ich fühle mich natürlich geschmeichelt und hoffe, dass ich längerfristig Projekte machen kann, die mich interessieren. Klar ist es schön, wenn die eigene Arbeit Wertschätzung erfährt.
Sind Sie Horrorfilm-Fan?
Ich mag feministischen Body-Horror, weil ich das als etwas Lustvolles empfinde. Die Transformation von Frauenkörpern hat etwas Befreiendes, vielleicht auch Kathartisches für mich. Auch Andreas Prochaskas Genre-Filme habe ich gesehen. Ich war gespannt, welche Vision er mit dem Psychohorror dieses Films hatte.
Familie ist ein großes Thema in Ihrem Film. Was bedeutet Ihnen Herkunft?
Es ist weniger ein bestimmter Ort als etwas, das in einem selbst wohnt. Es ist Reibefläche, Anker, etwas mit dem man sich abgrenzt und zu dem man sich hingezogen fühlt. Es ist individuell, aber auch politisch. Ich kann an meinen Heimatort zurückkehren, viele andere können das nicht.
Wie viel Familie steckt in Ihnen, was vom Vater, was von der Mutter?
Meine Eltern sind Menschen mit großen sozialen Netzwerken und Lust am Austausch mit anderen – das habe ich geerbt.
Welche Eigenschaften hätten Sie lieber nicht übernommen?
Ich kann nicht gut nein sagen, das habe ich von meiner Mama. Wir können öfter schwer abschätzen, wo wir uns voll involvieren sollen und wo es besser ist, etwas Distanz zu wahren.
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