
Jesse Williams im Interview: Von "Grey's Anatomy" nach Positano
Ex-„Grey’s Anatomy“-Star Jesse Williams über seine neue Serie, seine wahre Berufung und sein Engagement als Aktivist.
Es gab McDreamy, es gab McSexy – und dann gab es noch ihn: Als Chirurg Dr. Jackson Avery rotierte Jesse Williams im TV-Dauerbrenner „Grey’s Anatomy“ zwölf Jahre lang zwischen dem OP und allerlei Liebeswirren. Jetzt läuft am 24. September eine neue Serie mit ihm an: In „Hotel Costiera“ auf Amazon Prime spielt er Daniel De Luca, einen halbitalienischen Ex-Marine, der in das Land seiner Kindheit zurückkehrt. Dort arbeitet er als „Fixer“ – ein Problemlöser für reiche Leute in einem Luxushotel an der Küste von Positano. Und er ist auf der Suche nach der verschwundenen Tochter des Hotelbesitzers. Ein Mix von lässiger Action und coolen Pointen , vereint mit dem Charme von Williams und dem unschlagbaren Panorama der Amalfi-Küste.
Die Amalfi-Küste ist einer der schönsten Orte der Welt. Dort seiner Arbeit nachgehen zu dürfen klingt wie ein Traum. Haben Sie das so arrangiert und sich selbst ein Geschenk gemacht?
Ja, ursprünglich sollte die Serie in Cleveland, Ohio, spielen, aber ich habe gesagt, lasst es uns verlegen. (lacht) Spaß beiseite: Es war einer der großen Reize bei der Gestaltung der Welt für diese Serie, dass sie an einem Ort spielt, der sehr attraktiv und auch sehr geheimnisvoll ist.
Waren Sie zuvor schon einmal in Italien?
Ich war schon mehrmals in Florenz, ein paar Mal in Venedig, ich war in Rom und schon vorher in Cinque Terre. Ich habe auch schon öfter Mailand besucht für ein paar Tage, etwa für Modeschauen. Aber so richtig hatte ich Italien nie kennengelernt.
Das hat sich geändert?
Ja, für die neue Serie war ich mehr unter den Leuten und weniger als Tourist unterwegs, konnte Zeit mit Italienern verbringen, sie zu Hause besuchen. Am Wochenende habe ich ein bisschen die Gegend rund um die Amalfi-Küste erkundet. Und natürlich habe ich gern meinen Aperol Spritz oder Campari genossen.
Der Erfinder von „Hotel Costiera“ erzählte, Sie waren sehr interessiert an der Scugnizzo-Seite Ihrer Rolle, also der des „neapolitanischen Straßenbuben“.
Meine Figur ist geprägt von einer spannenden Dualität. Er ist ein Mann des Militärs, der sich für Recht und Ordnung engagiert. Gleichzeitig ist er in einem völlig anderen Wertesystem aufgewachsen. Seine Jugend bestand darin, Gesetze zu brechen, Gerechtigkeit und Machtkonglomerate zu verraten und trotzdem zu überleben.
Ein junger Mann, der wenig Chancen hatte, in seinem Umfeld zu bestehen.
Es ist die Ursache dafür, dass er ein Kleinkrimineller wird. Die Umstände zwingen Männer wie ihn in eine miserable Lage, sodass als einzige Option bleibt, ein Gangster zu werden. Jetzt, Jahre später, steht er auf der anderen Seite. Er fängt Diebe, obwohl er selbst einmal einer war. Dieser Ausgangspunkt der Story, dachte ich, würde wirklich Spaß machen.

Star mit Gewissen: „Ich setze mich für Chancengleichheit ein und die Freiheit, ein gesundes, produktives und sicheres Leben zu führen“, sagt Jesse Williams
©EPA/ETTORE FERRARIEin ausgekochtes Schlitzohr zu sein, können Sie da mithalten?
Ja, ich komme selber aus einem armen Viertel in Chicago, aus einer Zeitphase in den Achtziger- und Neunzigerjahren, als die Kriminalität dort sehr hoch war. Deshalb habe ich generell viel Empathie und Verständnis für Arbeiter und Menschen aus wirtschaftlich schwachen Schichten, die nicht viele Optionen haben. Sie müssen sich etwas einfallen lassen, um über die Runden zu kommen. Das ist nur allzu menschlich. Gerechtigkeit ist auch situationsabhängig.
Ihre Figur Daniel ist ein Ex-Marine und ein „Fixer“, ein Problemlöser. Mussten Sie kämpfen lernen für die Rolle?
Etwas Training hatte ich ja schon , weil ich am Broadway einen Profisportler gespielt habe. Ein hartes Work-out, das sich auf athletische Leistungen konzentriert hat. Das konnte ich auf das Kampftraining übertragen, da es ähnliche Fähigkeiten erfordert: Kraft und Explosivität. Ich habe auch mit Männern von den Special Forces trainiert, die viel Erfahrung hatten. Die waren nicht nur beim Militär, sondern wurden auch von privaten Unternehmen angeheuert, um Aufträge abzuwickeln. Typen, die einem auf den ersten Blick vielleicht nicht auffallen, aber definitiv gefährlich sind.
Daniel ist ein Mann ohne echte Heimat. Was bedeutet Zuhause für Sie?
Er ist Amerikaner, aber auch Italiener. Mit dieser Dualität konnte ich mich identifizieren, da ich auch zwei sehr unterschiedliche Herkünfte in mir trage. (Williams’ Mutter ist weiß, sein Vater schwarz, Anm.) Ich bin in Amerika auf zwei verschiedenen Planeten aufgewachsen. Mit zwei Regelsystemen, zwei Justizsystemen und zwei Systemen, wenn es um Gerechtigkeit, Geld, Fairness und Chancen geht. Das macht mich zu dem, was ich bin und das ist wirklich ein Segen. Es trägt dazu bei, dass ich besser Kontakte zu allen Seiten knüpfen kann.
In „Hotel Costiera“ klingt auch Nostalgie auf die TV-Serien der Achtziger an. Mochten Sie Serien wie „Magnum“?
Ich fände es schön, wenn die Leute die Serie auf diese Weise betrachten. Wir haben zwar nie darüber gesprochen, dass wir an Shows wie „Magnum“ erinnern wollen. Aber wir sind nun mal mit diesen Serien aufgewachsen. Sie haben sowohl eine Leichtigkeit als auch einen Punch, mangelnde politische Korrektheit und einen bissigen Humor. Freunde, die sich gegenseitig veralbern und Witze übereinander machen. Das hat etwas unwiderstehlich Ungeschliffenes an sich. Und dann kommt noch die wunderschöne Kulisse dazu. Bei „Magnum“ war es Hawaii, bei uns ist es Italien.

Jesse Williams als Problemlöser für Reiche in „Hotel Costiera“. Serienstart ist der 24.9. (Amazon Prime)
©Amazon MGM StudiosSie haben nach Ihrem Abschluss an der Universität in Philadelphia ein paar Jahre lang an einer Highschool unterrichtet. Waren Sie ein guter Lehrer?
Ich war ein guter Lehrer und habe diesen Job wirklich geliebt. Es war vielleicht der beste Job, den ich je hatte. Auf jeden Fall war er unglaublich bereichernd. Wissen Sie, Schauspieler zu sein ist dem Beruf des Lehrers nicht unähnlich.
Inwiefern?
Man muss vor einer Gruppe von Menschen stehen und sie unterhalten, ihnen etwas beibringen, ihre Aufmerksamkeit fesseln. Und das, obwohl sie vielleicht gar nicht im Unterricht sitzen wollen – oder, umgekehrt, dabei sind den Fernsehkanal zu wechseln. Wir erinnern uns doch alle an unsere eigene Schulzeit zurück, da bringt man nicht immer die nötige Hingabe mit. Also muss man als Lehrer seine Stunden interessant gestalten, das Interesse der Schüler entfachen, den Unterricht für sie relevant machen. Das sind ähnliche Fähigkeiten, wie sie auch ein Schauspieler benötigt. Wobei ich damals als Lehrer nicht im Entferntesten daran gedacht habe, dass Schauspielerei ein echter oder potenzieller Job sein könnte. Ich hatte keine Ahnung, dass ich später einmal im Fernsehen landen würde.
Sie sind auch politischer Aktivist, setzen sich für die afroamerikanische Community und soziale Gerechtigkeit ein.
Das habe ich immer schon getan und es entspricht mir auch mehr als die Schauspielerei. Ich bin einfach ich selbst geblieben, auch wenn die Kameras gelaufen sind. Es kam also nicht zu einer Veränderung bei mir, es war eher eine Art Weigerung, mich zu verändern. Ich kümmere mich um arbeitende Menschen, ich kümmere mich um arme Menschen, setze mich dafür ein, dass alle die gleichen Chancen bekommen und die Freiheit, ein gesundes, produktives und sicheres Leben zu führen. Das sind Anliegen, für die ich mich immer leidenschaftlich engagieren werde und die ich verteidige. Auch wenn sich meine Plattform, von der ich spreche, verändert hat – ich habe mich nicht verändert.
Man lernt bekanntlich nie aus: Was haben Sie während Ihrer Arbeit an „Hotel Costiera“ über sich selbst gelernt?
Ich bin nicht nur der Hauptdarsteller, sondern gleichzeitig leitender Produzent bei dieser Serie. Dabei habe ich gelernt, dass ich diese Aufgabe bewältigen kann und es liebe. Zwar habe ich schon vorher Arbeiten produziert, bei denen ich mitgewirkt habe. Als Produzent habe ich sogar einen Oscar gewonnen. Trotzdem war es nicht das Gleiche. Und obwohl es jetzt sehr anstrengend war, hat es sich gelohnt. Wir lernen unglaublich viel, wenn wir uns an schwierige Dinge wagen und unsere Komfortzone verlassen. Das war ein großer Schritt für mich.
Was war die größte Herausforderung, um diese beiden Dinge unter einen Hut zu bringen?
Die größte Herausforderung war es, nicht bei meinen Kindern sein zu können. Und das für eine so lange Zeit, die Dreharbeiten haben viereinhalb Monate gedauert. Dazu kommt, dass die Zeitzonen von Europa und Amerika völlig unterschiedlich sind, der Unterschied beträgt neun Stunden. Das hat bedeutet, wenn ich wach bin, schlafen meine Kinder, und wenn sie schlafen, bin ich wach. Das war eine spirituelle Tortur für mich. Ein Balanceakt: Einerseits musste ich mich auf meine Arbeit konzentrieren und ein bewusstes Opfer erbringen, um beruflich ans Ziel zu kommen. Andererseits musste ich mich mit meiner Familie auf bestimmte Umstände einlassen.
Haben Sie selbst hohe Ansprüche, wenn Sie Urlaub in einem Hotel machen – oder sind Sie mehr der Backpacker-Typ?
Früher war ich eher der Rucksack-Typ. Jetzt bin ich etwas anspruchsvoller geworden. Am wichtigsten ist mir, dass ein Hotel sauber ist. Ich achte auf das Badezimmer, ich achte auf das Schlafzimmer, immerhin haben in so einem Bett vor einem schon tausend andere Menschen geschlafen. Und mir ist wichtig, dass die Angestellten freundlich und rücksichtsvoll sind. Meine Ansprüche sind also nicht besonders schlimm, aber ich bin vielleicht etwas snobistischer geworden.

Arzt mit Leidenschaft: Jesse Williams in der Serie „Grey’s Anatomy“. Zwölf Jahre Herz und Schmerz
©ORF/Ron TomDie meisten kennen Sie aus „Grey’s Anatomy“. Werden Sie noch oft als Herr Doktor angesprochen?
Die Serie ist sehr beliebt, in allen europäischen Ländern, in denen ich unterwegs bin, werde ich wiedererkannt. Und zwar von jeder Altersklasse. Spannend, wie sowohl 70-Jährige als auch 14-Jährige von denselben Inhalten bewegt werden. Das ist ziemlich selten. Es gibt nicht viele Serien mit einer so breiten Fan-Gemeinde.
Die letzte Frage gilt Ihren berühmten blauen Augen. Wie oft haben die Ihnen schon aus der Patsche geholfen?
Das Besondere an Privilegien ist oft, dass man gar nicht merkt, wie sie einem zum Vorteil gereichen. Ich bemerke es also nicht, aber bin mir sicher, dass sie mir schon öfter geholfen haben, als mir bewusst ist. Sie lösen Probleme, bevor sie überhaupt entstehen.
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