Frauenreisen boomen – in Marokko zeigt sich, warum
Frauenreisen boomen – in Marokko zeigt sich, warum. Wie es ist, Natur, Nähe und Neubeginn gemeinsam zu erleben.
„Es gibt Dinge, die können Frauen nur mit Frauen erleben“, ist Rosette Nicolas überzeugt. Seit Jahren organisiert sie Reisen nur für Frauen – und weiß, wie viel Überwindung es manche kostet, diesen Schritt zu wagen. „Es gibt immer wieder Vorurteile, wenn es darum geht, mit einer Gruppe anderer Frauen zu verreisen. Etwa Angst vor Konkurrenz, eine Form von Stutenbissigkeit, vielleicht sogar Gehässigkeit. Dabei wussten schon unsere Ahninnen von der unglaublichen Qualität von Frauenkreisen.“
Rosettes Worte wirken wie ein Auftakt und Schlüssel für das, was in sieben Tagen Marokko passieren wird. Frauen unterschiedlichen Alters, mit ebenso unterschiedlichen Lebensläufen und Karrieren sitzen im zauberhaften Garten von Bab Zouina. Ein malerisches Retreat-Zentrum mit Gästehäusern in traditionell marokkanischer Lehmbauweise. Und ein kleiner Kosmos der Gelassenheit, der sich rund dreißig Kilometer außerhalb von Marrakesch befindet, im Ourika-Tal, Richtung Atlasgebirge.
„Tor zur Schönheit“
Der Name ist Programm – und bedeutet „Tor zur Schönheit“. Genauso fühlt es sich an. Es ist ein Ort abseits des Weltenlärms: mit Palmen, Orangen- und Granatäpfelbäumen, üppigen Beeten mit Minze, Rosmarin, Basilikum, Wasserstellen, Skulpturen, Katzen und Schmetterlingen.
Tiefe und Leichtigkeit
Die Gruppe, bestehend aus vierzehn Frauen, hat sich hier für sieben gemeinsame Tage eingefunden. Eine Woche, die zwischen Innen und Außen pendeln soll, zwischen Stille und Abenteuer, Tiefe und Leichtigkeit.
Dass Frauen so reisen, ist längst kein Randphänomen mehr. Weltweite Tourismusdaten zeigen: Geschätzt siebzig Prozent aller Solo-Travel-Buchungen werden von Frauen gemacht. Besonders stark wächst die Gruppe der 35- bis 60-Jährigen – sie stehen mitten im Leben, tragen oft hohe Verantwortung und schaffen sich deshalb bewusst Räume, in denen sie selbst im Mittelpunkt stehen dürfen.
Jeder Morgen dieser Woche beginnt mit einem Kreis: Meditation, einfache Atemübungen, ehrlicher Austausch, nichts Überinszeniertes. Nur ein Ankommen bei sich. Rosette Nicolas sagt: „Wenn Frauen einander ehrlich und offen begegnen, stärken sie sich gegenseitig. Es entstehen sehr schnell herzvolle Begegnungen – oft Freundschaften, die über die Reise hinaus bleiben.“
Psychologisch ist das gut erklärbar: Reisen steigert die Selbstwirksamkeit, erweitert Denkwege und aktiviert das Belohnungssystem – besonders dann, wenn alte Rollen kurz abgelegt werden dürfen.
Feilschen und lachen
Zwischen stillen und spirituellen Momenten liegen Tage intensiver Impressionen. Marrakesch empfängt die Reisenden mit seinem typischen Stimmengewirr, dem Duft nach Gewürzen, Leder und Staub. In den Souks lässt sich die Gruppe (geführt!) treiben: feilschen, lachen, probieren, spüren. Nachmittags sitzen alle auf einer Terrasse hoch über der Stadt. Oben Ruhe, unten ein flirrender Teppich aus Gassen und Stimmen, darüber ein Himmel, der langsam rosé wird. Die Gespräche fließen, so viel Offenheit, so viel Lachen.
Ein weiterer Tag führt nach Anima, André Hellers magischen Garten in der Landschaft nahe des Atlasgebirges. Farben explodieren, Skulpturen tauchen wie Wesen aus einer anderen Welt auf. Manche Frauen gehen schweigend umher, jede für sich, dann wieder im Gespräch. Es ist, als würde der Garten das Innenleben auf leise Weise spiegeln. Man fotografiert, hält inne, staunt wie ein Kind.
Zurück in Bab Zouina wartet ein Essen wie ein Gemälde auf die Gruppe: Duftende Tajine mit Zitrone und Oliven, Couscous mit Gemüse, warme Fladenbrote, Salate mit Minze. Die Frauen sitzen auf Kissen am Boden, im Ofen knistert das Holz. Eine erzählt von ihrer Tochter, die andere von ihrer beruflichen Erschöpfung, noch jemand von einem Neuanfang, der holprig, aber unbedingt nötig scheint. Der Wechsel zwischen Heiterkeit und Tiefe ist organisch – niemand spielt, jede ist echt.
Sitzlounge mit Berberteppichen in der Agafay-Wüste.
©Gabriele KuhnAm Tag in der Steinwüste Agafay zeigt sich die Essenz dieser Reise am deutlichsten. Die Landschaft ist weit und archaisch. Inmitten dieser Stille stehen ein schicker Pool, eine Bar, eine Quad-Station – touristischer Glanz, der nicht recht zur Landschaft passt. Die Frauen ignorieren ihn. Jede zieht für sich los. Eine setzt sich auf einen Stein. Eine andere geht so langsam, als wollte sie die Wüste schmecken. Jede einzelne hat ihr Thema, jede ihren Rhythmus. Es sind Momente radikalen Loslassens.
Später sitzen die Frauen bei Minztee zusammen. Manche erzählen, was die Wüste in ihnen ausgelöst hat. Andere schweigen. Beides fühlt sich richtig an.
Infos
Anreise Mit Austrian Airlines von Wien nach Marrakesch. CO2-Kompensation für Flüge: 33 €.
Unterkunft Bab Zouina Yoga & Natur-Retreat, bab-zouina.com
Anschauen Anima Garden von André Heller, anima-garden.com
Pflanzen Herbalism – natürliche Pflege und Öle (Argan). herbalismmarrakech.com
Auskunft visitmorocco.com/en
Frauenreisen funktionieren genau so: Freiheit im Gemeinsamen, Freiheit im Getrennten. „Es sind Reisen zur Frau in dir und deiner Weiblichkeit, die Frauen fühlen sich im Kreis der anderen gesehen und wertgeschätzt. Dadurch lernen sie, sich selbst mit anderen Augen zu sehen, erkennen schneller ihre Gaben und Ressourcen, um diese danach vermehrt im Alltag und Umgang mit anderen Menschen einzusetzen“, weiß Nicolas aus Erfahrung.
Ein Besuch im Hamam beschließt einen weiteren Tag. Gewaschen werden, gebürstet, eingeölt, massiert – von Frauen, für Frauen. Zwei „beste“ Freundinnen liegen nebeneinander im Dampf, schauen einander an und beginnen zu lachen. „Wir waren uns selten so nah“, sagen sie später. Eine Nähe ohne viele Worte. Nein, Frauenreisen sind nicht nur Trend. Sie sind eine Art Rückeroberung.
Marrakesch ist bunt, überall finden sich Blüten und Kräuter.
©Gabriele KuhnAm Ende der Woche versammeln sich alle ein letztes Mal im Kreis – rund ums Feuer. Die Frauen sitzen auf groben Steinbänken, über die bunte Berberteppiche gelegt wurden, warm, weich und voller Muster, die aussehen, als würden sie Geschichten erzählen. Das Feuer knackt, Funken steigen in den Himmel. Jede einzelne hier spürt, wie viel sie in diesen Tagen abgelegt hat – und wie viel sie mitnimmt.
Man sagt, man geht nie so weg, wie man gekommen ist. Hier wird das besonders deutlich. Keine dramatischen Offenbarungen, stattdessen kleine innere Neuausrichtungen, sanfte Verschiebungen, die vielleicht erst Wochen später ihre Bedeutung entfalten werden. Eine nach der anderen spricht aus, was sie erfahren hat, loslassen will, sie sich wünscht. Manche heben den Blick zum nächtlichen Himmel, als könnten sie ihre Visionen direkt in die marokkanische Nacht schicken, damit sie dort weiterreifen. Das fühlt sich gut an. Und richtig.
Kommentare